Wenn Faszination zu Entsetzen wird: Ausbruch des Fuego in Guatemala
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Faszination Natur: Der Vulkan Fuego in Guatemala
Seit Ende Januar 2018 lebe und arbeite ich in Guatemala. Als ich mich in der Stadt nach einer Wohnung umschaute, hatte ich zwei Kriterien: Ich wollte in der Nähe eines Fitnessstudios wohnen und ich wollte einen Ausblick auf die Vulkane haben. Ich hatte tatsächlich das Glück, eine bezahlbare Wohnung in der Nähe meiner Schule zu finden, die mir beides bot: Ein Fitnessstudio und einen täglichen, traumhaften Blick auf die Vulkane Pacaya, Agua, Acatenango und Fuego in Guatemala.
Jeden Morgen konnte ich sie sehen. Jeden Morgen konnte ich verfolgen, wie die Sonne über der Stadt aufging, wie sich die Wolken verzogen und einen klaren Blick auf die Vulkane freigaben.
Jeden Abend verfolgte ich den Sonnenuntergang über der Stadt, beobachtete die unterschiedlichen Wolkenformationen am Himmel, sah, wie die Sonne langsam hinter den Vulkanen verschwand.
Gebannt saß ich tagsüber auf meinem Balkon in der Sonne und blickte auf Fuego. Ich sah, wie er in regelmäßigen Abständen Rauch ausstieß. Ich sah, wie sich die Aschewolken langsam wieder auflösten. Und ich sah, wie sich an bewölkteren Tagen die Aschewolken mit den Wolken am Himmel verbanden und eins wurden.
Ich war fasziniert von seinen Ausbrüchen, von seinem Grummeln und konnte kaum genug bekommen von seinem Anblick.
Und wenn ich am Nachmittag von der Schule nach Hause kam, er sich hinter Wolken versteckt hatte und ich ihn nicht sehen konnte, war ich geradezu traurig.
Dass es sich bei Fuego um einen der aktivsten Vulkane in Guatemala und auf der Welt handelte und er bereits mehrfach 2018 ausgebrochen war, konnte meiner Faszination nichts anhaben. Dass diese Aschewolken, die ich als so faszinierend empfand, für eine große Naturgewalt mit einem riesigen Zerstörungspotenzial standen, sah ich nicht. Und dass es sich bei diesem Vulkan um ein Monstrum handeln, das einmal Hunderte von Menschen unter sich begraben könnte, darüber dachte ich keine Sekunde lang nach.
Wenn Faszination zu Entsetzen wird: Der Ausbruch des Vulkan Fuego in Guatemala
All das änderte sich am 03.06.2018! Denn am 03.06.2018 brach der Vulkan Fuego in einer solchen Heftigkeit aus, wie sie weder jemand kommen gesehen hatte, noch wie sie in den Jahren zuvor jemals geschehen war.
An diesem Sonntagmorgen, nur wenige Stunden vor seinem Ausbruch, stand ich lange auf meinem Balkon. Es war bereits warm. Meine Balkontür war offen. Aus meiner Wohnung klang leise Musik. Weil ich mitten in den letzten Reisevorbereitungen war, hatte ich irgendeine YouTube-Dauer-Musik-Schleife laufen. Absolut willkürlich und völlig wahllos spielte YouTube irgendwelche Songs ab. Oder war es doch eine bittersüße Vorausdeutung dessen, was da kommen würde?!
Oh, send them your heart
So they know that someone cares
And their lives will be stronger and free
As God has shown us by turning stones to bread
And so we all must lend a helping hand.*
Während ich der Musik lauschte, die riesigen Aschewolken aus der Ferne sah, es ein wenig bereute, dass ich meine Kamera bereits in meinem Reisegepäck verstaut hatte und etwas skeptisch die Augenbraue hochzog, flüsterte ich Fuego zu: Schätzelein, Du wirst mir aber nicht ausbrechen, oder?!
Ich schrieb meiner Mutter eine WhatsApp: Fuego sieht heute nicht gut aus. Er saut sich mehr ein als sonst und mehr als in den vergangenen Tagen. Dann holte ich mir einen letzten Kaffee, rauchte eine letzte Zigarette, schnappte meinen Rucksack, verabschiedete mich von meinen Vulkan-Schätzchen und machte mich auf an den Flughafen.
Dass ich mich ewig an diesen Vormittag erinnern würde, dämmerte mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dass ich diesen Vormittag immer wieder in Zeitlupe durchleben würde, ahnte ich zu dieser Stunde ebenfalls nicht. Und dass ich Fuego von nun an nie mehr mit den Augen betrachten würde, wie ich es die letzten Monate getan hatte, schien mir an diesem Morgen völlig unvorstellbar.
Oh, send them your heart
So they know that someone cares
And their lives will be stronger and free
As God has shown us by turning stones to bread
And so we all must lend a helping hand.
Pompeji 2.0
Und auch wenn ich irgendwie spürte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, wurde mir erst Stunden später wirklich klar, welch eine Katastrophe sich in Guatemala tatsächlich ereignet hatte. Pompeij 2.0!
Fuegos Ausbruch ist für das Leben Hunderter von Menschen verantwortlich. Seine Lava begrub Häuser, Kirchengebäude, Autos und Menschen unter sich. Ganze Dörfer wurden von ihm binnen Minuten völlig verschlungen. Die pyroklastische Lava zerstörte alles, was sich auf ihrem Weg befand.
Von Menschen blieben nur noch ihre Knochen übrig. Von Autos nur noch Metallgerippe. Und die Häuser, die dort einmal gestanden hatten, sind entweder teilweise wie zu Staub zerfallen oder begraben unter einer vier bis sechs Meter hohen Lavaschicht.
Diejenigen Dörfer, die sich geografisch auf der anderen Seite der zerstörten Straßen befanden, waren wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Andere Dörfer verloren ihre Äcker und damit ihre Lebensgrundlage.
Mehrfach habe ich versucht, herauszufinden, wie viele Menschen tatsächlich betroffen sind. Die geschätzte Anzahl liegt bei 1,7 Millionen. Mehrfach habe ich versucht, herauszufinden, wie viele Menschen tatsächlich gestorben sind. Die offizielle Zahl liegt bei knapp über 300.
Wenn ich mir die Menschen in den Dörfern jedoch anschaue, wenn ich spüre, dass der Großteil der Menschen, dem ich begegne, Depressionen und Ängste hat und auf meine Frage, wie es ihnen gehe, nur eine leichte Bewegung ihrer Köpfe und eine kurze Berührung an meiner Schulter wahrnehme, ansonsten nur Stille begegne, dann weiß ich: Da draußen ist ein riesengroßer Friedhof. Ein Friedhof, der aufgrund der Lahare, die nach wie vor von Fuego herunterkommen, noch immer bei über 100 Grad kocht. Ein Friedhof aufgrund eines Vulkanausbruchs, der den Menschen sowohl die Kleidung als auch das Fleisch abzog und lediglich Knochen hinterließ.
Die Frage, die du den betroffenen Menschen da draußen stellst, lautet normalerweise nicht: Warst du in Ground Zero? Du fragst auch nicht: Hast du nach verschütteten Leichen gegraben? Die Frage, die du den betroffenen Menschen da draußen stellst, heißt ebenfalls nicht: Wie geht es dir? Die Frage lautet schlicht: Wie viele? – Wie viele Familienmitglieder hast du verloren? Und zuallermeist erhältst du die Antwort: Alle!
Denn je nachdem, in welchem Dorf du dich befindest, wirst du erfahren, dass an diesem Sonntag ein wenig außerhalb der Dörfer landestypische sonntägliche, sportliche Veranstaltungen stattgefunden hatten, an welchen der Großteil der männlichen Bewohner zugegen war. Ihre Familien, Frauen und Kinder waren jedoch Zuhause geblieben – und hatten nicht den Hauch einer Chance, die Katastrophe zu überleben.
Die Frage, warum in Ground Zero eine so große Anzahl an Kinder- und Frauenknochen ausgegraben wurde, erübrigt sich damit.
Oh, send them your heart
So they know that someone cares
And their lives will be stronger and free
As God has shown us by turning stones to bread
And so we all must lend a helping hand.
Wenn ich nun an all die medizinischen Versorgungstage in den Dörfern, meine Fahrten zu Krankenhäusern, bei welchen ich bisher Spenden ablieferte, meine Fahrten durch Ground Zero in meinem Auto, den Blick auf Fuego von der geografisch anderen Seite denke, dann durchfährt mich ein Gedanke mit einer immer wiederkehrenden Heftigkeit:
Ich liebte ein Monster! Ich liebte sein gefährliches Aussehen! Ich war süchtig danach, seine Kraft zu sehen, mit welcher er seine Rauchwolken ausstieß! Ich war fasziniert von seinem Zerstörungspotenzial!
Und dann wird mir immer wieder allzu klar: Dieser Sonntag hat alles verändert. Nicht nur das Land. Nicht nur die Menschen. Sondern auch mich. Denn ich werde Fuego nie mehr mit dieser kindlich-naiven Faszination betrachten – weder können, noch wollen!
Spendenaufruf für Hilfsmaßnahmen aufgrund der Katastrophe des Vulkan Fuego in Guatemala
In den vergangenen Wochen habe ich mich neben meiner alltäglichen schulischen Arbeit an meinen Wochenenden für die Menschen in den betroffenen Dörfern und Krankenhäuser in Guatemala Stadt eingesetzt. Unter anderem fuhren wir mit Helferteams nach El Rodeo oder Hunapu zum medical pop up.
Abgesehen davon koordinierte ich mit einer mittlerweile guten, sehr verlässlichen und überaus liebevollen Freundin die Abholung und Zustellung von Spenden für das Krankenhaus für krebskranke Kinder in Guatemala Stadt.
Was ich dabei leider immer wieder feststellen muss, ist dass es an nahezu allem fehlt. In Bezug auf Medikamente fehlen vor allem Insulin und Asthmasprays. Des Weiteren benötigen die Dörfer dringend Unterstützung bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, denn an Grundnahrungsmitteln, wie Reis, Mais, Milch für die Kinder etc. fehlt es ebenso.
Außerdem möchte ich gerne weiterhin Carlotos Hernandez unterstützen. Er hat seinen ganzen Besitz und seine komplette Familie beim Ausbruch des Fuego in Guatemala verloren, wurde mit schwersten Verbrennungen gefunden und aufgrund der Schwere seiner Verbrennungen in einem Krankenhaus in Mexiko wochenlang behandelt. Nach seiner Rückkehr war es möglich, eine kleine Wohnung in Jocotenango für ihn zu finden. Seine monatliche Miete von Q500 (knapp 50 Euro) möchte ich gerne mit einem kleinen Teil der Spenden aus meiner GoFundMe-Kampagne übernehmen.
Möchtest du helfen? – Dann unterstütze mich bei meiner Kampagne auf GoFundMe. Mit deinem kleinen Beitrag, den du bei GoFundMe übrigens auch anonym spenden kannst, kann ich bereits große Teile an Grundnahrungsmitteln einkaufen und sie mit meinem kleinen Team den Dörfern zur Verfügung stellen. Alternativ, wenn du nicht über GoFundMe spenden möchtest, kannst du auch dein Paypal-Konto verwenden. Meine E-Mail-Adresse auf Paypal lautet: m-kistner@web.de.
Und natürlich werde ich dich mit aktuellen Informationen über den Stand meiner Kampagne, unsere erreichten Ziele und neue Projekte regelmäßig auf meiner Facebook-Seite informieren. Alternativ kannst du dich auch über das Facebook-Profil von Amy Farrow auf dem Laufenden halten. Seit Wochen arbeitet sie in Ground Zero und gräbt dort die Leichen der Verschütteten aus, damit deren Familien endlich ihre verlorenen Familienmitglieder beerdigen können.
Das (scheinbar notwendige) Kleingedruckte: 99% deiner Spende wird bei den Opfern/Menschen/Bedürftigen hier ankommen (1% geht an GoFundMe). Ich arbeite werde mit einem NGO noch mit der Regierung zusammen, sondern entscheide selbst, ich mit den Spendengeldern mache. Ich bin ganz nah an den Menschen dran, habe mittlerweile mein eigenes Netzwerk und vor allem kein Interesse daran, Spendengelder zu unterschlagen – remember, ich habe hier einen relativ gut bezahlten Job an der Schule und kann von meinem Gehalt selbst für meine Ausgaben (auch Benzin 🙂 ) aufkommen! 🙂
Update vom 23.08.2018: Gestern Abend genehmigte die Regierung Ausgrabungsarbeiten in Ground Zero (hier geht’s zum Video einer kurzen Fahrt durch Ground Zero) von 20 Tagen am Stück! Unser primäres Ziel der kommenden Tage wird nun darin bestehen, Maschinen zu organisieren, so dass mit den Grabungen, die bis vor einigen Tagen (mal wieder) untersagt waren, schnellstmöglich wieder begonnen werden kann.
Oh, send them your heart
So they know that someone cares
And their lives will be stronger and free
As God has shown us by turning stones to bread
And so we all must lend a helping hand.
* Lyrics von USA for Africa: We are the World
Zustimmung zur Veröffentlichung der Bilder durch die Patienten/abgebildeten Menschen erhalten!
Anmerkung zum eingesetzten Sprach-Plugin: Es handelt bei um automatisierte Übersetzungen durch Google Translator.
Gitte Rodriguez
August 25, 2018 @ 3:28 pm
Liebe Manuela,
ich bin beeindruckt und ziehe den Hut vor Deinem Engagement. Da sieht man sich ab und zu und weiß nichts von dem, was Du hier auf den Weg bringst. Respekt vor, nicht viel reden, machen. Bitte lass mich wissen, wie, wann und mit was ich helfen kann. Ganz liebe Grüße Gitte (Kitaleitung DSG)
Manu
August 25, 2018 @ 5:16 pm
Meine liebe Gitte, ich danke dir für deine motivierenden Worte! 😉 Näheres gerne nächste Woche – da, wo wir immer sitzen! Freu mich! 🙂