Über die Sinnhaftigkeit von Slow Travel
Früher Fast Food, Fast Casual, Fast Fashion – heute ist das Slow Movement in aller Munde. Slow Fashion ist total angesagt, Slow Food wird als das Essen schlechthin angepriesen. Das Prinzip der Entschleunigung, der Nachhaltigkeit als oberste Maxime – in einer Welt, die aufgrund ihrer Hektik, die sie an den Tag legt, ihrer Geschwindigkeit, die sie vorgibt und vorlebt, es nahezu unmöglich macht, tatsächlich einmal runterzufahren, abzuschalten und statt dessen noch viel mehr Stress schafft und die Zahlen der Burn Out-Geplagten in immense Höhen schnellen lässt.
Schon Dan Kieran hat in seinem Buch „Slow Travel: Die Kunst des Reisens“ das Reisen als Nicht-Tourist fernab vom Massentourismus und von Sightseeing Hotspots gepriesen. Was meint er damit? – Für Kieran ist das Wichtigste beim Reisen – darauf lässt ja bereits der Titel seines Buches schließen – die Geschwindigkeit, denn die sollte langsam sein. Nur aufgrund der Langsamkeit würde man etwas über die Welt herausfinden, etwas über sich selbst, nur so könne man ein Land in sich aufsaugen, Veränderung (mit)erleben, in Beziehung mit seiner Umwelt treten.
Zahlreiche Gedanken habe ich mir in den letzten Wochen dazu gemacht und bevor ich mich oute, möchte ich mich einmal ganz ernsthaft mit dieser neuen Bewegung auseinandersetzen.
Die Vorteile von Slow Travel oder die Nachteile von Fast Travel
1. Slow Travel ist günstiger
Ironischerweise ist es so, dass langes Reisen tatsächlich günstiger ist, wenn man es auf langsame Weise tut. Es ist bedeutend einfacher, Deals/Rabatte in Hostels, Hotels, Apartments, bei Airbnb, für Bungalows, usw. zu erhalten, wenn man dort einen längeren Aufenthalt plant. Tut man dies zusätzlich außerhalb der Hauptsaison, wird es noch einmal günstiger. Auf Airbnb gibt es beispielsweise Übernachtungsmöglichkeiten für 30 Euro pro Nacht. Bucht man einen längeren Aufenthalt von, sagen wir einmal zwei Wochen, schlägt die Unterkunft mit 250 Euro zu Buche. Eine Einsparung von 140 Euro. Immerhin. Man muss auch nicht ständig mit zusätzlichen Kosten für die Weiterreise mit Bus, Zug oder Flugzeug rechnen, die schnell einmal das Reisebudget sprengen können.
Und, grundsätzlich, so meine Erfahrung, ist es auch so, dass die Kosten für Essen im Urlaub zu den größten Posten zählt – sieht man einmal von geführten Tagestouren ab. Bei einem längeren Aufenthalt jedoch, bei dem man seine Nahrungsmittel selbst einkauft und schließlich selbst im eigenen Bungalow verarbeitet, kann man diese Ausgaben um einiges dezimieren. Allerdings sollte man sich je nach Land vorab informieren, denn in manchen Ländern, ich denke hier vor allem an Thailand oder Kambodscha, ist es tatsächlich so, dass sich ein Auswärtsessen eher lohnt als tatsächlich selbst zu kochen.
2. Bei Slow Travel erfährt man mehr über Menschen und Orte
Es hat sicherlich etwas Zauberhaftes, wenn man einen Ort mit all seinen kleinen Details kennenlernt, die an jemandem, der sich nur ein, zwei oder drei Nächte dort aufhält, wahrscheinlich völlig vorübergehen. Man kommt sozusagen weg vom beaten track, bekommt Orte zu Gesicht, die in keinem Reiseführer zu finden sind und die wahrscheinlich die schönsten Erinnerungen hinterlassen. Abgesehen davon ist man in der Lage, Beziehungen mit Einheimischen aufzubauen. Was mögen sie an einem bestimmten Ort? Was mögen sie nicht? Was liegt unter der Oberfläche eines Menschen oder eines Ortes? Fragen, die unbeantwortet bleiben, wenn man sich weniger als 24 Stunden an einem Ort aufhält. Die Antwort aber eigentlich eine Bereicherung, denn nur auf diese Weise kann man in einem Land ja erst so richtig versinken.
3. Slow Travel vermeidet Travel Burnout
Das Travel Burnout ist sicherlich ein bekanntes Problem unter denjenigen, die schnell reisen. Nach einiger Zeit stellt man fest, dass es absolut unmöglich ist, die schnelle Reisegeschwindigkeit vom Anfang länger zu halten. Nicht nur wegen der Geschwindigkeit an sich und weil man ständig unterwegs ist, neue Orte in einer begrenzten Zeit sehen möchte, sondern weil man den Input irgendwann nicht mehr verarbeiten kann. Eine Pause muss her.
4. Slow Travel schafft einen hohen Grad an Flexibilität und ermöglicht Nichtstun
Ohne den Druck im Hinterkopf zu haben, dass man ja nun irgendwo da draußen sein und sich irgendetwas anschauen sollte anstatt einfach mal zu chillen, hat man bei Slow Travel die Flexibilität, je nach Laune heraus zu entscheiden, wann man was und wie lange anschauen möchte. Man kann seine Zeit genau so verbringen wie man sie möchte, Pausen vom Sightseeing einlegen und einfach mal schlafen.
Die Nachteile von Slow Travel oder die Vorteile von Fast Travel
1. Langsam zu reisen benötigt extrem viel Zeit
Wenn man sich immer vier Wochen an diesem Ort, dann wieder vier Wochen einem anderen Ort aufhält, dauert das Reisen sehr lange. Plötzlich ist man zwei Monate unterwegs und hat nicht einmal ein Land besucht. Auf Dauer ist dies nicht machbar – auch nicht bei einem Sabbatical.
2. Slow Travel kann schnell langweilig werden
Was macht man denn in einem kleinen Dorf vier Wochen lang? Wenn man für einen längeren Zeitraum an einem Ort bleibt, passiert es häufig, dass man im wahrsten Sinne des Wortes einfach nichts zu tun hat. Natürlich muss man nicht immer produktiv sein – sicherlich schon gar nicht dann, wenn man tatsächlich über einen sehr langen Zeitraum hinweg unterwegs ist. Aber wir sind darauf konditioniert, dass wir nur dann wirklich produktiv sind, wenn wir entweder arbeiten, Geld verdienen oder Aufgaben erledigen. Freizeit als solche wird selten bis gar nicht als produktive Zeit angesehen. Man muss schließlich versuchen, auf andere Art produktiv zu werden, denn tatsächliches Nichtstun auf Dauer ist für viele alles andere als bereichernd und führt häufig zu Langeweile.
3. Bei Fast Travel gleicht kein Tag dem anderen
Wenn man schnell durch ein Land reist, ist es wie eine Varietäten-Explosion. Abwechslung, Aufregung, Spannung an jedem einzelnen Reisetag. Die monotone alltägliche Routine Zuhause ist plötzlich vorbei. Vom einen auf den anderen Tag. Man wird hineingeschleudert in eine Welt, in der man ständig etwas Neues erlebt. Jeder Tag wird zu einem kleinen Höhepunkt, die zusammengenommen schließlich zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
4. Fast Travel ist sozialer als Slow Travel und perfekt für Solo Reisende
Ständig weiterzureisen bedeutet ständig in anderen Unterkünften seine Tage/Nächte zu verbringen. Dies wiederum ist perfekt für Menschen, die soziale Kontakte suchen und gerne Menschen aus anderen Ländern kennenlernen. Gerade Hostels sind die Orte für Solo Traveller, die Kontakt suchen zu Menschen, die ähnlich ticken wie sie. Socializing bedeutet viel Spaß, viele gute Gespräche, viel Austausch zu Urlaubserfahrungen, neuen Input ins Reisen, wahrscheinlich resultiert daraus dann auch der Wunsch, wiederum neue Länder zu bereisen, Länder, die man bisher nicht auf dem Schirm hatte.
5. Durch Fast Travel kann man zahlreiche Orte in einer kurzen Zeit sehen
Nicht jeder ist in der Lage, seinen Job für eine Weltreise aufzugeben. Meist beschränkt sich die Reisezeit auf zwei bis drei Wochen im Jahr, bei einigen vielleicht auf mehrere Wochen im Jahr, aber sehr selten sind zwei zusammenhängende Monate möglich. Backpacking lohnt sich auch nur für zwei bis drei Wochen, kleine Trips lohnen sich auch schon bei zwei bis drei Tagen – man nehme einfach ein kleineres Land, eine kleinere Reisegegend oder eine Stadt und schon kann man seine Wanderlust befriedigen. Ein bis drei Tage an einem Ort zu bleiben ermöglicht es, ganz ganz viele Orte in kürzester Zeit sehen zu können anstatt während eines Trips einzig und allein an einem Ort zu bleiben.
Mein Outing
Es ist Zeit für ein Outing. Ich bin kein Slow Traveller und ich werde es nie sein. Auch wenn der Trend gerade sehr in diese Richtung geht, vieles darüber geschrieben und die Vorteile immer wieder gelobt werden, weil man dadurch so viel mehr vom Reisen hat, kann ich Slow Travel nichts abgewinnen. Auch mit Fast Travel habe ich so meine Probleme, denn der Geschwindigkeit kann und will ich nicht lange Standhalten. Aber was nun, wenn es weder ausschließlich Fisch noch ausschließlich Fleisch sein soll?! – Ich stehe für eine Mischung aus beiden Reise-Styles, denn meine Reiseerfahrung hat mich einiges gelehrt, so dass ich beispielsweise mittlerweile dazu übergegangen bin, alle paar Tage days off von der Geschwindigkeit zu nehmen, indem ich an ausgewählte Orte reise, von denen ich ausgehe, dass ich gerne dort – und zwar genau dort – eine Ruhephase einlegen und tatsächlich nichts tun möchte. Nicht nichts tun, weil es nichts zu tun gibt, sondern nichts tun, weil ich es möchte. Auch bin ich dazu übergegangen, nichts mehr darauf zu geben, was in einem Reiseführer über ein Land oder Stadt und dessen/deren must see places geschrieben steht – diese sind in den meisten Fällen sowieso nicht das, was mich wirklich interessiert – und schon gar nicht für diese mein Geld in Form von Tagestrips (selbst ist die Frau und individuelle Organisation ist und bleibt immer noch die beste Art der Organisation) auszugeben. Und, zuguterletzt, Treiben lassen als meine oberste Maxime – so vermeidet man Travel Burnout, schafft sich Freiräume und hakt nicht ständig unter (Reise-)Druck irgendwelche Listen ab.
Und weil ich mich weder zwischen Fisch noch Fleisch entscheiden konnte/wollte, entscheide ich mich für Schokolade. Für mich ist Reisen wie das Essen eines super leckeren Schokoladenkuchens. Wenn man schneller reist und nur ein kleineren Teil einer Gegend zu sehen bekommt, ist es, als würde man ein Stück des leckeren Schokoladenkuchens bekommen. Man geht weiter mit ein wenig Bedauern und dem Wunsch nach mehr. Nach mehr Land und, natürlich, nach mehr Kuchen. Aber wenn man in ein Land reist, dort sehr sehr lange bleibt, so dass man in dieses Land sehr weit vordringt, seine ganzen Urlaubstage dort und nur dort verbringt, ist es so, als würde man den ganzen verdammten Schokoladenkuchen auf einmal essen. Man wird wahrscheinlich nie mehr ein Stück von diesem Kuchen essen wollen, weil man sich völlig daran satt gegessen hat… Außer natürlich es ist der super leckere Kuchen meiner Oma – von diesem könnte ich drei Kuchen essen, ohne auch nur ein Anzeichen von Reue und (Über-)Sättigung zu verspüren. 😉