Volcano Relief – unsere Spendenaktion in Hunapu-18
Volcano Relief – unsere Spendenaktion in Hunapu-18
Es ist 7:15 Uhr, als ich an diesem Morgen das Schulgelände betrete. Auf dem Weg zu Raum M101 organisiere ich beim Mantimiento zwei Transportwagen. Meine SV-Jungs warten bereits vor der Tür des Raumes auf mich. Ungläubig schauen sie mich an, als ich die Tür zum Raum öffne und sie die zwei großen Haufen Spenden sehen. Wow, der gestrige Tag war wirklich ein Erfolg.
Wenige Minuten später kommen die Transportwagen und mithilfe zweier Hausmeister beladen wir binnen weniger Minuten die Transportwagen mit den Spenden, karren sie zum Schulbus auf dem Parkplatz der Schule, beladen den Schulbus, verabschieden uns voneinander.
Aufgrund der Tatsache, dass meine SV’ler heute und morgen ein weiteres SV-Projekt haben, hatten wir uns darauf verständigt, dass sie nicht persönlich an unserer Spendenaktion für Hunapu-18 teilnehmen, sondern ich diese Fahrt zusammen mit Mauricio, unserem guatemaltekischen Schulleiter, unternehme.
All alone on a chicken bus to Hunapu-18
Als ich um kurz vor 8 Uhr alleine im schulischen Chicken Bus sitze, der Bus vom Hof fährt, ich Mauricio schreibe, dass wir unterwegs sind – denn ihn wollen wir auf dem Weg nach Hunapu einsammeln, realisiere ich, dass es das allererste Mal seit meinen knapp elf Monaten in Guatemala ist, dass ich sozusagen mit Erlaubnis in einem Chicken Bus sitze. Fahrten mit dem Chicken Bus nämlich hat mir mein Dienstherr aufgrund der Sicherheitsproblematik des Chicken Bus strengstens untersagt.
Spendenaktion in Hunapu-18 – das Dorf und die Familien
Hunapu-18 ist eines der Shelter, die seit dem Ausbruch des Fuego in Guatemala existieren. Das Dorf zählt zu den 30 offiziellen Shelter (die inoffizielle Zahl ist unbekannt, es sind aber wohl mehr als 100!), die in den Wochen nach dem Ausbruch von World Central Kitchen regelmäßig mit warmen Mahlzeiten versorgt wurden. Als die Regierung Ende August jedoch beschloss, die Versorgung von 15 der offiziellen 30 Shelter von nun an selbst zu übernehmen und World Central Kitchen die weitere Unterstützung der Dörfer untersagte, war Hunapu-18 vom einen auf den anderen Tag komplett auf sich alleine gestellt und erhielt keine Unterstützung mehr.
Neben den Dorfbewohner, die in Hunapu-18 wohnen, leben in der Albergue von Hunapu 15 Familien, die aus den Dörfern stammen, die beim Ausbruch des Fuego völlig zerstört wurden – darunter unter anderem das Dorf San Miguel Los Lotes, in welchem Carlos Hernandez lebte und welches dem Vulkan Fuego am nächsten lag.
Größtenteils handelt es sich bei den Bewohnern der Albergue um alleinerziehende Mütter, die ihre Ehemänner beim Vulkanausbruch verloren haben.
Unser Empfang in der Albergue von Hunapu-18
Überaus herzlich werde ich von Rossi Moran und Maida de Leon in Hunapu-18 empfangen. Es ist circa sechs Wochen her, dass wir uns das letzte Mal im Rahmen eines medical pop ups gesehen haben. Die Freude ist daher riesig. Aber auch die Familien und Kinder empfangen uns herzlich. Umarmungen, Küsse, schüttelnde Hände, liebe Worte. Ich fühle mich wohl im Kreise dieser Menschen, deren Schicksal ich zwar nicht teilen muss, für die ich aber ein wahnsinnig großes Mitgefühl empfinde.
Rossi lädt uns alle zu einem gemeinsamen Gebet ein. In stiller Runde danken die Bewohner der Albergue Gott für den Segen, denen er ihnen brachte, den mit unseren gesammelten Spenden werden die 15 Familien für ein paar Wochen regelmäßige Mahlzeiten erhalten und vor allem auch ihre Kinder versorgen können.
Als mich Rossi fragt, ob ich eine Rede halten möchte, zucke ich zunächst zusammen und blockiere völlig. Meine wenigen Spanisch-Skills, die ich besitze, haben sich von der einen auf die anderen Sekunde völlig aus meinem Kopf verabschiedet. Ich bin lediglich in der Lage zu erklären, dass ich total wenig Spanisch spreche, es jedoch als einen Segen empfinde, heute hier sein und helfen zu dürfen.
Hilfesuchend blicke ich zu Mauricio, der die weitere Kommunikation übernimmt, den Bewohnern erklärt, dass ich Lehrerin an der Deutschen Schule sei, aus Deutschland käme, vom Schülerrat der Schule zur Verbindungslehrerin gewählt worden sei und dies unser erstes Projekt sei, das wir starteten…
Verteilen der Spenden aus der Spendenaktion für Hunapu-18
Während die Bewohner der Albergue damit beginnen, den Bus auszuräumen und alle Spenden in die Mitte des Gemeinschaftsraumes zu legen, verkrümle ich mich mit Maida im hinteren Bereich der Albergue. Ich hatte am gestrigen Tag Q1.000 (circa 110 Euro) erhalten, die ich gerne weitergeben möchte und für die ich nun eine Quittung benötige.
Da ich aus der vorangegangenen Kommunikation mit Rossi wusste, dass die Albergue ebenfalls dringend Gas zum Kochen und Küchenutensilien benötigte, wir jedoch vor allem das Gas nicht in der Schule lagern geschweige denn in einem Schulbus transportieren konnten, hatte ich mich dazu entschieden, nicht etwa weitere Nahrungsmittel für die Albergue zu besorgen, sondern das Bargeld direkt zu überreichen, so dass Rossi und Maida genau diese Anschaffungen machen können.
Als ich zurück in den Gemeinschaftsraum kehre, halt mir Rossi einen großen Kleidersack entgegen. Komm, lass uns die Kleidung zusammen verteilen. Du fängst an.
Ich öffne den ersten Kleidersack. Frauenkleidung. Hinter mir stehen Kinder, Frauen, ein paar Jungs ein klein wenig abseits. Ich halte das erste Kleidungsstück vor meinen Körper, blicke die Frauen, die um mich herum stehen an, Creo que eso es mujer. (Ich glaube, das ist für Frauen.) Die erste Hand geht nach oben. Das Kleidungsstück wechselt seine Besitzerin und wird mit strahlenden Augen begutachtet.
Ich ziehe eine Jogginghose aus dem Kleidersack, halte sie vor mich hin. Die nächste Hand geht hoch. Ein weiteres Kleidungsstück wechselt seinen Besitzer.
Hinter mir realisiere ich, dass Rossi und Maida sich ebenfalls an das Öffnen von Kleidersäcken gemacht haben. Auch Mauricio öffnet neben mir den ersten Kleidersack.
Die Stimmung ist gelöst und geradezu feierlich. Immer mehr Hände schießen gleichzeitig in die Höhe, wenn ich ein Kleidungsstück hoch halte. Kleidungsstücke fliegen durch den Raum der Albergue. Es fühlt sich ein wenig an wie auf einem Faschingsumzug – tanzende, freudige, teilweise ausgelassene Menschen und Kinder. Mit dem Unterschied, dass hier keine Süßigkeiten durch den Raum fliegen, sondern gebrauchte Kleidungsstücke. Ich habe Mühe, den Überblick zu bewahren, dass eine gerechte Verteilung stattfindet.
Führung durch die Albergue von Hunapu-18
Im Anschluss an unsere Spendenübergabe und das Verteilen der Kleidungsstücke erhalten Mauricio und ich noch eine Führung durch die Albergue.
Beim Blick in die Küche stelle ich fest, dass es die richtige Entscheidung war, Maida Bargeld zu überreichen. In der Küche fehlt es an nahezu allem. Wie die Albergue überhaupt den Bewohnern Mahlzeiten zubereiten konnte, ist mir schleierhaft.
Auch erhalten wir einen Einblick in das Gebäude, in welchem die 15 Familien untergebracht sind. Die circa 10-15qm großen Zimmer der Albergue befinden sich in einem sehr einfachen Zustand. In den Zimmern steht lediglich ein großes Bett, in welchem alle Familienmitglieder zusammen schlafen. Dieses Bett dient gleichzeitig als Sitzgelegenheit in diesem Zimmer, denn mehr als einen Stuhl, der zuallermeist als (einzige) Ablagefläche im Raum genutzt wird, gibt es kein Mobiliar in den Zimmern.
Das wenige Hab und Gut, das die Menschen haben, befindet sich in großen Säcken, die auf dem Boden liegen oder ist an der Wand entlang aufeinander gestapelt.
Im Gebäude gibt es lediglich eine Gemeinschaftstoilette im oberen Bereich des Hauses. Zwei Duschen für die Bewohner befinden sich im Garten.
Dieser Garten jedoch wird keinesfalls zum Spielen genutzt, sondern zum Trocknen der Wäsche, die die Frauen von Hand an den großen Waschbecken unter fließend kaltem Wasser waschen – Waschbecken, die ebenfalls gespendet wurden.
Das Ende eines Spendentages
Als wir im Schulbus zurück nach Guatemala sitzen, herrscht immer noch Unklarheit darüber, wohin uns der nächste Spendentag führen wird. Klar, Alotenango! So hatte mir meine Freundin Mariel am Tag zuvor geschrieben, doch von Barbarita, die den Kontakt besorgen wollte, habe ich bisher keine Rückmeldung erhalten.
Ich wusste, dass aufgrund des anstehenden langen Wochenendes die Spenden morgen aus dem Klassenzimmer müssen, da führt kein Weg dran vorbei, koste es, was es wolle.
Abgesehen davon hatte ich etwas Druck von meiner Schulleitung, da diese natürlich den exakten Ort für den Transport erfahren wollten – sowohl aus versicherungstechnischen Gründen als auch als Information für den Busfahrer, der diese Fahrt mit uns durchführen würde. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 13 Uhr.
In Deutschland wäre ich aufgrund einer solch ungewissen Situation nervös geworden. In Guatemala habe ich jedoch realisiert, dass Dinge manchmal einfach etwas Zeit brauchen, dass sie aber immer – absolut immer – gelöst werden.
Um 19 Uhr meldet sich Barbarita mit einer Sprachnachricht. Sie sei den gestrigen und heutigen Tag in Konferenzen gewesen und hätte keine Möglichkeit gehabt, mich in Ruhe zu kontaktieren. Wir besprechen die letzten Details für den morgigen Tag, die Anzahl der Familien, die sich Alotenango befinden, die Situation, die ich vorfinden werde.
Und als ich an diesem Abend meine letzte Sprachnachricht von Barbarita abhöre, die meine Spanisch-Skills lobt, beschließe ich: Würde sich am morgigen Tag die Gelegenheit ergeben, mehr als zwei zusammenhängende Sätze vor einer größeren Gruppe auf Spanisch zu sprechen, werde ich sie nutzen.
Denn eines ist mir heute mehr als bewusst geworden: Eine völlig neue Sprache in einem völlig neuen Land zu erlernen, ist eines. Sich aufgrund von Hemmungen und der Angst, Fehler zu machen, jedoch hinter einer vermeintlichen Inkompetenz zu verstecken, ist etwas anderes.
Denn etwas anderes habe ich in den vergangenen Monaten über Guatemalteken gelernt: Egal wie furchtbar du ihre Sprache sprichst, sie werden dich immer ermutigen, sie weiterhin zu sprechen und sich an jedem Wort deines poco espanol erfreuen…
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