Der chaotische Oktober in Guatemala – oder: 10 Monate away from home
Oktober in Guatemala – eine gute Reisezeit?!
Für gewöhnlich dauert die Regenzeit in Guatemala von Juni bis Oktober. Während dieser Zeit gibt es jedoch ebenfalls eine Trockenphase, so dass während der Monate Juli, August und (teilweise) September mit wenig bis kaum Regen zu rechnen ist. Während der Regenphasen ist für gewöhnlich damit zu rechnen, dass es einmal pro Tag regnet. Für gewöhnlich setzt der Regen dann in den späteren Nachmittagsstunden bzw. frühen Abendstunden ein und es regnet für ein bis drei Stunden in unterschiedlicher Heftigkeit. Für gewöhnlich.
In diesem Jahr hat uns die Trockenperiode während der Regenzeitphase mit herrlichstem Wetter beschert, so dass ich mir sogar bei einem Einkauf in Zona 1 einen leichten Sonnenbrand auf Gesicht und Schultern geholt habe.
Der September verlief überraschend trocken. Der Oktober jedoch war bisher ein einziges Chaos. Nicht nur in Bezug auf das Wetter, sondern auch in Bezug auf alle anderen Naturgewalten. Der Oktober als Reisezeit in Guatemala in diesem Jahr?! – Eher ein No go! Was genau in diesem Monat alles passiert ist, davon erzähle ich dir heute.
Zehn Monate Guatemala
Zehn Monate bin ich nun in Guatemala. Während Februar und März aufgrund der völlig neuen Situation dabei sicherlich die spannendsten Monate waren, April und Mai aufgrund der zu erledigenden Arbeit vor Ende des Halbjahres zu den anstrengendsten Monaten zählten, Juni und Juli aufgrund des Ausbruchs des Fuego die emotional intensivsten Monate darstellten, ich im August und großen Teilen des Septembers aufgrund meiner Freiwilligenarbeit 6-bis 7-Tage-Wochen hatte, war der September einerseits aufgrund der politischen Situation der nervenaufreibendste und andererseits schulisch der korrekturintensivste Monat. Aber der Oktober in Guatemala?! – Der hat schon jetzt das Potenzial, zum chaotischsten Monat des Jahres zu werden.
Nicht nur der deutsche April macht, was er will, sondern auch der Oktober in Guatemala
Montag, 1. Oktober 2018
19 Uhr: Vor meiner Wohnung klingt es heute, als sei Silvester. Alle 15 bis 20 Minuten gibt es einen lauten Knall. Ich mache mir keine weiteren Gedanken dazu. Ist vielleicht einfach mal wieder jemand erschossen worden.
20 Uhr: Ich empfinde es als etwas seltsam, dass immer nur ein Knall zu hören ist und dann wieder lange nichts – so schießt auch kein Mensch! – und nehme mir vor, genauer auf die Abstände zu achten.
21 Uhr: Ich stelle fest, dass die Abstände kürzer werden und der Knall alle 10 bis 15 Minuten zu vernehmen ist. Dann wird mir schließlich klar: Das ist keine Schießerei, die übrigens an diesem Abend ebenfalls passiert ist, das ist Fuego, der hier rum knallt. Aufgrund der Berge, des Windes und des Halls klingt es jedoch so, als wäre es direkt vor meiner Haustür. Ich schnappe mein Handy und durchforste das Internet nach Informationen…
21:15 Uhr: Insivumeh postet eine erste Information über die Aktivität von Fuego.
Merke: Insivumeh postet für gewöhnlich am Vormittag Informationen über die seismologische Aktivität der Vulkane. Unter all diesen Infos steht für gewöhnlich immer der Zusatz Para informar y no para alarmar. Postet Insivumeh jedoch mehrmals am Tag oder vor allem spät abends, ist das kein gutes Zeichen, denn dann handelt es sich meist um eine Vulkan-Warnung.
Mittwoch, 3. Oktober 2018
Der 03.10. bescherte uns ein kleines Erdbeben der Stärke 4.0. Zugegeben, verglichen mit anderen Erdbeben ist dies ein Mini-Beben, aber gerade im Hinblick darauf, dass ich in diesen Tagen von Freunden aus Indonesien erfuhr, dass auch nach dem Tsunami in Indonesien mehrmals täglich Beben der Stärke 6.0 zu vernehmen waren, ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass es das wahrscheinlich in Guatemala noch nicht war. Denn – so habe ich mittlerweile realisiert – du kannst hier die Uhr danach stellen: Passiert etwas im Indo-Land, passiert etwas einige Stunden später in Guatemala. Ein Hoch auf den Ring of Fire!
Freitag, 5. und Samstag, 06. Oktober 2018
Am Freitagabend sitze ich auf meinem Balkon und sehe plötzlich, wie Pacaya eine mega Fontäne Lava raus schießt. Pöff! Volles Rohr! So richtig! Aufgrund der Dunkelheit, der Entfernung und der Tatsache, dass sich immer wieder Wolken vor den Vulkan schieben, werde ich fast wahnsinnig mit meiner Kamera, weil ich das, was ich da sehe, kaum mit der Kamera einfangen kann.
Am Samstagmorgen wache ich verdammt früh auf und will eigentlich nur die Kaffeemaschine anschalten. Ohne Brille wackle ich durch das Wohnzimmer in die Küche und sehe (ohne Brille!) einen riesigen Lavastrom.
Für gewöhnlich hat Pacaya einen Lavastrom zwischen 200 und 400 Metern. Ab und an sind es auch mal 500 Meter. Aber das, was ich an diesem Samstagmorgen um 5 Uhr sehe, ist weitaus mehr. Ich habe kein Maßband hier, aber aufgrund der Daten, die Insivumeh veröffentlicht, kann ich die Länge des Lavastroms mittlerweile verdammt gut einschätzen – auch aus 30km Entfernung. Das sind locker 600 bis 700 Meter!
Sonntag, 7. bis Donnerstag, 11. Oktober 2018
Es regnet. Es regnet einfach nur. Und es ist windig. Verdammt windig. Ich sehe die Sonne nicht mehr als 2 Stunden pro Tag. Im Land des ewigen Frühlings! Was da jedoch aussieht wie ein typisch deutscher Herbsttag, ist nichts Anderes als Hurrikan „Michael“, dessen Ausläufer wir hier ganz deutlich zu spüren bekommen.
Die Meldungen über Überschwemmungen sowohl an der Karibik- als auch an der Pazifikküste, in El Salvador und Nicaragua mehren sich täglich – nicht nur Malle steht unter Wasser, sondern auch Zentralamerika und Florida!
Eigentlich wollte ich das Wochenende des 12. Oktobers nach Monterrico fahren und dort das Wochenende am Strand verbringen. Doch meine Unterkunft meldet sich am Dienstagabend per WhatsApp und rät mir dazu, meine Buchung zu stornieren, da die Straße nach Monterrico aktuell aufgrund der Wassermassen nicht passierbar sei. Wir vereinbaren, uns am Donnerstagabend noch einmal kurzzuschließen, um endgültig zu entscheiden, ob ich komme oder nicht.
Donnerstag, 11. Oktober 2018
Dass Pacaya seit Monaten nahezu täglich spuckt, ist nun wirklich nichts mehr Neues für mich. Die Kamera und das Stativ stehen mittlerweile direkt an meiner Balkontür. Allzeit bereit sozusagen. Das einzige, das ich hier immer wieder bedauere, ist die Tatsache, dass ich kein besseres Objektiv habe.
Gott, ich muss nach Deutschland! Ich brauche ein Objektiv, das funktioniert. Eines mit Garantie von 24 Monaten. Und nicht irgendein Importprodukt, das dreimal so teuer ist, sich bei Unzufriedenheit nicht zurückschicken lässt oder vielleicht erst gar nicht funktioniert. #typischefirstworldproblems
Was total neu ist, ist dass ich Fuego zum allerersten Mal seit der zehn Monate, die ich nun in Guatemala lebe und arbeite, von meinem Balkon aus spucken sehe.
Mein Wochenende in Monterrico cancle ich an diesem Abend übrigens. Meine Unterkunft sagt zwar, dass die Straßen halbwegs befahrbar seien, dass sie aber nicht sicher seien, dass sie dies auch noch am Sonntag der Fall sei, da neuer Regen angekündigt wurde.
Freitag, 12. Oktober 2018
Und während Deutschland seit Wochen nur noch ein Thema kennt, nämlich die anstehende Landtagswahl, feiere ich meine Korrekturfreiheit vier Wochen vor dem Schuljahresende mit meinem Wischmob. Es ist das siebte Mal in diesem Monat, dass ich meine Wohnung putze.
(Und nein, auch wenn dies hier immer wieder auf völliges Unverständnis stößt: Ich habe nach wie vor keine Empleada, die meinen Haushalt schmeißt, für mich kocht und der ich umgerechnet 4,50 Euro pro Stunde bezahle, um die hiesige Bevölkerung zu unterstützen. Aber bei meinem letzten medical pop up habe ich 46 Warte-Zettelchen an ältere Menschen und Mütter – deren jeweils 2 bis 3 Kinder nicht mit eingerechnet! – ausgegeben, kartonweise Spielzeug, Stofftiere, Schuhe und Süßigkeiten, zig Vitaminpillen und literweise elektrolythaltige Getränke verteilt, mehrere Menschen in den Arm genommen und ihnen Mut zugesprochen, war zunächst für die Medikamentensortierung, schließlich stundenlang für deren Ausgabe zuständig und bezahlte Carlos‘ Miete für diesen Monat aus eigener Tasche. Das ist eben meine Art, ein wenig Unterstützung zu leisten…)
Als ich eine Putzpause einlege, mich für einen Moment auf meine Couch setze und mich mit Carlos über die aktuelle Aktivität von Fuego austausche (Er ist sehr aktiv, ich bin nur am Putzen. – Ich weiß, ich höre ihn heute alle zwei Minuten.) und weil ja diesen Monat offensichtlich Premieren-Monat ist, wackelt plötzlich – wie ihn mein Sandkastenkumpel liebevoll nennt – mein Sicherheits-Glas-Bunker.
So heftig, dass ich nur wenige Zehntelsekunden danach meinen Erdbeben-Beutel schnappe, weil ich davon ausgehe, dass gleich ein Erdbebenalarm im Gebäude ausgelöst werden wird.
Erdbeben sind in Guatemala durchaus keine Seltenheit. Ich habe sie schon mehrfach erlebt. Sie lösen bei mir mittlerweile nicht einmal mehr ein Zucken aus. Wenn überhaupt, dann höchstens ein Schulterzucken.
Aber ein Erdbeben im 12. Stock?! – Das ist neu! Und glaub‘ mir, das ist ein ganz besonderes Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein. Angsteinflößend.
Wie sich das anfühlt?! – Stell‘ dir vor, du bist auf einem Jahrmarkt und sitzt in einem dieser Fahrgeschäfte. Plötzlich fährt der Waggon mit einem schnellen Ruck los. Deine Beine wackeln und der Waggon, in welchem du sitzt, wackelt ebenfalls. Mit dem Unterschied, dass mein Waggon eben meine Wohnung ist und diese im 12. Stock liegt.
Meine Statistik über den Oktober in Guatemala
Heute ist der 14.10.2018. Der Oktober ist also gerade einmal zur Hälfte vorbei und ich kann bereits eine Statistik über den Oktober in Guatemala aufstellen.
In den vergangenen 14 Tagen
- hat Pacaya an zwölf Tagen gespuckt
- hat es an zwölf Tagen (mit Unterbrechungen) geregnet
- hat Fuego an neun Tagen geröhrt
- gab es zwei Erdbeben
- bekam Guatemala an fünf Tagen die Ausläufer von Hurrikan „Michael“ ab
- waren die Küstenstraßen für mehrere Tage nicht passierbar
- habe ich (mittlerweile) acht Mal meine Wohnung aufgrund erhöhten Vulkandrecks geputzt
- bin ich zwei Mal zur Schule gelaufen (für gewöhnlich tue ich das mindestens 2x/Woche)
- bin ich ein Mal bis auf die Knochen nass geworden, weil ich einen Schirm vergessen hatte
- hat mein Auto ein Mal aufgrund der heftigen Regenfälle an Bodenhaftung verloren (ich hatte es vor Einsetzen der zweiten Regenzeithälfte regenzeitfest gemacht und neue Reifen aufziehen lassen)
Oktober in Guatemala – ein Fazit
Unsere Wette (wer Samstagabend in Guatemala Stadt ausgeht, hat entweder zu viel Wein im Kopf oder ist irre 😉 ), dass wir in der Lage sind, Pacaya trotz offiziellen Verbots zu besteigen und den erschwerten Bedingungen (ich soll mit meinem Super-Spanglisch einerseits den Nationalpark davon überzeugen, dass sie uns reinlassen und andererseits einen Guide klarmachen), muss definitiv warten. Wer will denn schon bei dem vielen Regen und bei einem ungewissen Ausblick einen Vulkan besteigen?
All das Chaos in der Natur und all die Naturgewalten hatten aber auch ihr Gutes: Aufgrund der Tatsache, dass ich meine bisherigen Oktober-Wochenenden in Guatemala Stadt verbracht habe, konnte ich einiges wegarbeiten:
Ich habe für mein kommendes Schuljahr bereits den Unterricht in den Klassen 11 und 12 geplant, ein Oberstufencurriculum für das Fach Englisch verfasst, alle Noten eingegeben, eine Fortbildung für das kommende Schuljahr vorbereitet und super ausführliche Spanisch-Hausaufgaben gemacht, für welche ich sogar von meinen süßen Siebenern einen Applaus bekommen habe 🙂 und und und…
Und obwohl meine Schule erst seit ein paar Wochen eine neue SV hat, wurde ich vom einen auf den anderen Tag zur SV-Lehrerin. Trotz der Tatsache, dass wir nur noch 3 Wochen bis zum Ende des Semesters haben, sind die ersten Projekte bereits in Planung. Tausend Dank für Euer Vertrauen! Let’s rock the house! 🙂
Außerdem habe ich bereits die ersten Amazon-Bestellungen aufgegeben, sie zur Freude meiner Mama an meine Familie schicken lassen, mit meiner Freundin, die ich sehr bald auf diesem Kontinent treffen werde, ausgemacht, dass sie meinen leeren Handgepäckskoffer mit nach Hause nimmt und konnte mich mit meiner anstehenden Backpackingreise durch Kolumbien auseinandersetzen.
Wie geht Reiseplanung in einem Land ohne Post und demnach ohne aktuelle Reiseführer in Buchform?! – Ganz einfach. Man treffe eine Kollegin in der großen Pause (Wie ist Kolumbien so? – Toll! Es gibt dort die schönsten Hostels in ganz Mittel- und Südamerika, die Straßen sind besser und es ist sicher!) und lasse sich ein paar schnelle Notizen aufschreiben. Die grobe Route steht also. Wie ich sonst vor Ort reise, wann und wie lange ich wo genau bin, das entscheide ich spontan und vor allem je nach Wetter.
Ohne Reiseplan nach Kolumbien?! – Warum nicht! Was soll denn in Kolumbien schon großartig passieren?! 😉
Weitere faszinierende Wetterbilder vom Oktober in Guatemala
Und was ist eigentlich zwischenzeitlich aus dem Strand geworden?
Daraus wurde auch weiterhin nichts – denn Guatemala säuft gerade nicht nur ab, sondern es gibt – wie sich für den chaotischen Oktober voller Premieren eben gehört – für die nächsten Tage Zyklon-Warnungen.
Nina
Oktober 23, 2018 @ 11:10 am
Hi, ich lese deine Berichte ganz gern und habe auch etwas für den Herrn, der alles bei dem Vulkanausbruch verloren hat, gespendet. Ich hoffe, dass du ihm damit helfen kann. Insgesamt finde ich deine Berichte unterhaltsam, aber ich finde es etwas schade, dass du das Spanisch (?) nicht übersetzt. Natürlich sollst du nicht alles übersetzen, aber wenn der Zusatz „Para informar y no para alarmar.“ so wichtig ist, würde ich schon gern wissen, was das bedeutet. Oder was bedeuten die Überschriften bei dem Zeitungsartikel? Wurde da jemand ermordert? Wieso? Deine Whatsapp Screenshots sind bestimmt auch utnerhaltsam, aber ich (und wahrscheinlich genug andere) verstehen sie halt nicht.
Also mach so weiter, aber wenn du ein wenig mehr übersetzen könntest, wäre das mega 😉
Viele Grüße, Nina von https://www.karl-reist.de
Manu
Oktober 23, 2018 @ 12:36 pm
Liebe Nina, deine Spende ist angekommen – sowohl bei mir als auch bei Carlos! 1000 Dank dafür nochmal!
Danke auch für dein Feedback. Da ich hier ja mit null Spanisch angekommen bin, aber alle um mich herum Spanisch sprechen, denke ich in meiner kleinen Welt hier immer, dass ich die einzige bin, die kein Spanisch (oder halt nur wenig) kann. Zu übersetzen kam mir gar nicht. Stupid me. Aber das ändere ich sehr gerne. 😉