female solo travelling in Jordanien & Israel

Eine Stunde bin ich zurück aus Jordanien. Der Koffer ist nicht einmal ausgepackt. Ich trinke meinen ersten Nespresso-Kapsel-Kaffee seit zwei Wochen. Da erreicht mich die Schreckensmeldung aus Jerusalem. Jetzt, eineinhalb Tage später, ist mein Kopf immer noch voll von Dingen, über die ich schreiben möchte. Ich komme kaum mit der Verarbeitung meiner Erlebnisse hinterher. Diese Karfreitags-Meldung lässt mich irgendwie auch nicht los.

Heute möchte ich dir von meinen Erfahrungen als alleinreisende Frau in Jordanien und Israel erzählen. Es wird ein langer Text werden. Er wird wenige Bilder enthalten. Schon diese beiden Gründe sprechen dafür, dass ihn nur wenige lesen werden. Aber er wird umso persönlicher sein, denn er handelt von Menschen und vom  Leben in einer von den Medien, vom Terrorismus und von Religionskonflikten beeinflussten Welt.

Die Vorbereitung meiner Reise

Im Vorhinein habe ich mir viele Gedanken über meine Reise gemacht. Eine europäische alleinreisende (und blonde) Frau in einem arabischen Land. Da gehen doch die Alarmglocken los. Meine Familie und meine Freunde waren nicht begeistert und machten sich Sorgen. Einzig meine Mutter blieb irgendwie – zumindest nach außen hin – cool. Aber sie weiß, dass ich reiseerfahren bin, eine gute Intuition und trotz aller Offenheit gegenüber anderen Kulturen auch eine gesunde Skepsis habe und nie unvorsichtig oder naiv handeln würde. Sie weiß auch, dass sie sich auf mich verlassen kann und ich täglich mehrmals mit ihr in Kontakt sein werde. Und ich weiß, dass ich mich auf mein Bauchgefühl und meine Auffassungsgabe, die im Ausland weitaus höher ist als Zuhause, immer verlassen kann. Insofern habe ich bei meiner Vorbereitung einen großen Fokus auf die Menschen, die Kultur und die Religion und weniger auf das Sightseeing gelegt – für dieses war vor Ort Zeit genug. Bereits vor meiner Reise las ich über die Gastfreundschaft der Menschen in Jordanien, über ihre Herzlichkeit gegenüber anderen Menschen und ihre Hilfsbereitschaft. Aber das, was ich erlebte, war ein Abklatsch dessen, was ich gelesen hatte.

Jordan Encounter in meinen vergangenen Artikeln

Abgesehen von den Erlebnissen, über die ich bereits in vergangenen Blogartikeln geschrieben hatte, wie beispielsweise mein zufälliges Treffen an meinem ersten richtigen Reisetag mit der jordanischen Familie, die mich bei einer Rast ihr Bad benutzen ließ, weil es im coffee shop des Vaters keine Toilette gab, meine Unterstützung von den Beduinen hoch über Petra, weil ich bei meinem Abstieg irgendwo auf einem falschen, nicht mehr touristischen Pfad gelandet und schließlich total lost war oder meine beiden Abende, die ich anstatt in meinem gebuchten Hotel im Dana Tower Hotel verbracht hatte, weil ich dort von der Familie so herzlich aufgenommen wurde, wir stundenlang im Büro von Nabil Tee tranken und über Gott und die Welt diskutierten. Unnötig zu erwähnen, dass ich weder für Tee, Abendessen noch für die Shisha auch nur einen einzigen Dinar bezahlen musste, statt dessen, weil mir noch nicht genug Herzlichkeit entgegen gebracht wurde, auch noch die Einladung erhielt, nach meinem Trip nach Israel nach Dana zurückzukehren und hier (natürlich ebenfalls kostenlos) meine verbleibenden Tage in Jordanien zu verbringen. Als Zeichen meiner Dankbarkeit verfasste ich einen Blogartikel über das Abendessen im Restaurant. Nein, nicht als Werbung, nicht als Kooperation, für die ich etwas wollte, sondern weil ich all das so meinte, was ich geschrieben habe und weil es das einzige war, das ich dieser Familie im Gegenzug geben konnte.

Diese Erlebnisse waren noch nicht alle. Zig Aufeinandertreffen kamen, die unglaublichen Eindruck auf mich machten.

Jordan Encounter in Petra

Da ist Ismail, den ich zufällig beim Abendessen im Red Cave Restaurant in Petra kennenlernte. Eigentlich war ich an diesem Abend mit Ahmad, einem Vertreter der Reiseagentur, mit der ich eine Kooperation geschlossen hatte und für die ich unter anderem über Petra schreiben sollte, verabredet. Das Treffen klappt aus diversen Gründen nicht. Statt dessen lerne ich Ahmads Chef kennen, der an diesem Tag zufällig mit seiner Familie von Amman nach Petra gekommen ist. Nach einigen Tees, einer sehr langen Shisha tauschen wir unsere Kontaktdaten aus. Er ist es, der mir später, nach meiner Rückkehr aus Israel, eine Hotel-Reservierung in einem strategisch günstig liegenden Hotel macht, der mir erklärt, was ich im Norden unbedingt noch sehen müsste. Dass Ajloun dann anders kam und ich anstelle von Weinproben mit jordanischem Wein mit meinem Auto auf einem Tourist Trail fahre – dafür kann er nichts.

Jordan Encounter im Wadi Rum

Da ist der Beduine im Wadi Rum Nationalpark, der mir, weil mir nicht klar war, dass man die Jeep Touren nicht mit Kreditkarte bezahlen kann – ich hätte die 40 Kilometer zurück zum nächsten Ort fahren, dort Geld holen und wieder zurück zum Wadi Rum fahren müssen (was ich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht getan hätte, weil ich unter Zeitdruck stand und am Nachmittag noch zurück ans Tote Meer musste, weil ich am nächsten Tag nach Israel gehen wollte), anbietet, das Geld für mich auszulegen. Wir könnten nach meiner Jeep Tour alles regeln und ich könnte es ihm beispielsweise auf sein Konto überweisen. Dir ist sicherlich bewusst, dass die Kosten für eine solche Jeep Tour (zwei Stunden ab 35 JOD aufwärts – meine zwei Stunden kosteten etwas mehr, weil ich mehr reinpacken wollte) in Relation zu dem, was die Angestellten verdienen (15 JOD täglich), sehr viel Geld ist.

Dann ist da mein guide im Wadi Rum, der mich nicht nur an das Steuer des Jeeps und ein paar Kilometer durch den Sand fahren lässt, sondern der beim Hochklettern auf die Umm Fourth Bridge mein Handy an sich nimmt damit diesem nichts passiert und dann schließlich das Fotoshooting auf dem Felsen übernimmt. Schließlich lädt er mich zu sich nach Hause ein, ich lerne seine Frau und sein zwei Monate altes Baby kennen, erhalte eine Einladung, meine nächste Reise nach Jordanien mit ihnen zu verbringen – kostenlos natürlich, denn was ich zwischenzeitlich von den Bedus gelernt habe: Beim ersten Treffen musst du für deine Unterkunft bezahlen, schließt Freundschaft und beim zweiten Treffen kommst du als Freund. Geld ist nicht wichtig – die Momente sind es.

Jordan Encounter in Azraq

Dann ist da Hakem, ein guide bei den Wüstenschlössern. Da der Eingang zum Qsar Amra mit einem Sicherheitsschloss versehen ist, ist es notwendig, dass er mit mir zum Schloss geht. Für meine touristischen, europäischen Ohren klingt das Gespräch, das wir auf dem Weg dorthin führen, nach einer guided tour und ich gebe ihm klipp und klar zu verstehen, dass ich nicht an einer Tour interessiert bin. Er lacht und gibt mir wiederum zu verstehen, dass er kein Geld dafür wolle und erzählt weiter. Ich sage ihm erneut, dass er nicht einen Dinar für sein Gerede bekommen würde und wieder lacht er nur. Meine Skepsis sagt mir: Das wird später Ärger geben – wie oft habe ich genau das in Südostasien schon erlebt?! – und stelle mich gedanklich darauf ein. Fast eine Stunde später oben am Eingang angekommen lädt er mich in sein Zelt zu seiner Familie ein. Wir trinken Tee, schauen Familienfotos an, tauschen Kontakte aus. Weil mein Internet so schwach ist, stellt er mir einen Hotspot mit seinem Handy zur Verfügung. Fünf Tees später frage ich ihn schließlich, was er für die Führung wolle. Er wird fast wütend und gibt mir zu verstehen, dass er gesagt hätte, dass er mich kostenlos durch das Schloss führen würde. Mir ist allzu bewusst, dass ich nichts von dem Schloss verstanden hätte, wenn er mir nichts dazu erzählt hätte. Ich beharre auf eine Bezahlung. Hakem beendet das Gespräch, indem er mir zu verstehen gibt, dass er die Zeit mit mir genossen hätte und – Vorsicht, ich wiederhole mich – dass es um die Momente, die man im Leben zusammen hat, gehe und nicht um das Geld. Zum Abschied schenkt er mir eine goldene Schatuelle, die er in seinem Shop verkauft, in welcher ich alle meine Erinnerungen, die ich im Herzen trage, aufbewahren könne, gibt mir eine kalte Flasche Wasser und schickt mich wieder auf die Straße.

Jordan Encounter in Umm Qais

Da ist der local teacher, mit dem ich während meines Kaffees vor Umm Qais ins Gespräch komme und der mir erklärt, warum so viele Kinder/Schulen in den letzten Tagen in Jordanien unterwegs seien. Wir unterhalten uns lange über das Schulsystem in Jordanien. Schließlich muss er das Gespräch beenden, weil die Rückfahrt nach Amman ansteht – jedoch nicht ohne mir seine Handynummer in die Hand zu drücken mit dem Hinweis, ich könne ihn heute Abend anrufen, wenn ich ebenfalls zurück in Amman sei. Seine Frau sei eine super Köchin und er habe eine wundervolle Familie, die sich freuen würde, mich kennenzulernen.

Shobak Castle ©WorldCalling4Me

Israel Encounter in Jerusalem

Da ist Fadi, der Besitzer eines Restaurants in der Altstadt von Jerusalem. Ich brauche eine Pause und etwas Zeit für die Planung meiner drei Tage, die ich in Israel verbringe. Die Terrasse des Restaurants sieht gemütlich aus. Wir kommen ins Gespräch. Nach einigen Minuten setzt er sich zu mir an den Tisch. Es gibt abwechselnd Tee und arabischen Kaffee. Unser beider Köpfe sind über unseren Handys – auf seinem schauen wir Sights an, auf meinem GoogleMaps. Keine Stunde später habe ich mit ihm meine Planung für die kommenden Tage abgeschlossen. Wir tauschen unsere Handynummern aus („just in case you need somebody to help“). Tee und Kaffee gehen auf’s Haus – keine Diskussion.

 

Israel Encounter in der Altstadt von Jerusalem

Da sind die Soldaten in der Altstadt von Jerusalem, die ich anspreche, weil ich – so blöd und unsinnig es auch klingt – dringend Bargeld brauche, in dem Straßengewirr der Altstadt aber keinen ATM finden kann. Vorsichtig frage ich: „Can you help me with some information?“ und erhalte die höfliche Antwort: „That is what we are here for. What do you need to know, my dear?“

Israel Encounter in Bethlehem

Da ist der Besitzer des Starbucks mitten in Bethlehem. Etwas müde schauend, laufe ich am Starbucks vorbei, bahne mir meinen Weg Richtung Geburtskirche. Er spricht mich an, während er einen der Tische auf den Vorplatz trägt und fragt mich, ob ich nicht zuerst einen Kaffee wolle, bevor ich die Kirche besuche. Ich wehre ab, er habe ja noch geschlossen. „No problem, no problem. Have a rest first.“ Einen bezahle ich – der zweite geht auf’s Haus.

 

Ich könnte ewig so weiter schreiben. Ich könnte dir noch zig andere Begebenheiten beschreiben, von zig kurzen Aufeinandertreffen erzählen, bei denen wenig Worte aber viele Gesten im Mittelpunkt standen, von kurzen Kaffeepausen, bei denen aufgrund der Sprachbarriere mehr als „Welcome to Jordan“ und „Shukran“ nicht möglich war, von winzigen Momenten, bei denen mir einfach beim Vorbeigehen ein nettes Lächeln geschenkt wurde, das mich wiederum zum Lachen brachte.
Ich könnte dir davon erzählen, wie ich spontan von einer jüdischen Familie zum Mittagessen eingeladen wurde und auf meine nicht ernst gemeinte Frage, ob sie auf mich gewartet hätten, weil da ein Teller zu viel auf dem Tisch stand, die Antwort erhielt, dass man in ihrer Religion grundsätzlich für mehr Personen als notwendig eindecken würde, falls noch jemand spontan dazu käme.
Ich könnte dir davon erzählen, dass ich nie länger als zehn Minuten bei einer Kaffeepause irgendwo alleine saß, bis ich angesprochen wurde oder bei einem Abendessen, wenn ich alleine an einem Tisch saß, von Einheimischen an ihren Tisch gebeten wurde.
Ich könnte dir davon erzählen, dass ich, wenn ich zu müde zum Erzählen und mir nicht nach socialising war, ich mir mein Essen auf dem Markt besorgte, um es in absoluter Ruhe und Abgeschiedenheit auf meinem Hostel-Zimmer einzunehmen.
Und dann ist da noch diese vermeintliche Realität.

Israel in den Medien

Ich bin keine Stunde Zuhause und erfahre von der Messerattacke, die in Jerusalem auf eine Britin ausgeübt wurde. An dem Ort, an welchem ich mich vor wenigen Tagen noch befunden hatte. In exakt der Straße, in welcher ich meine Unterkunft hatte. In einer Straßenbahn, in welcher auch ich gefahren war, um zu Mount Herzl zu gelangen. Ich bin schockiert.

Ich klicke mich durch die Nachrichten der vergangenen Tage: Krieg. Trump. Syrien. Hass. Stockholm. Bomben. Terror. Ägypten. Nordkorea. BVB. Ich denke zurück an meine Tage in Israel und Jordanien. Mir fallen all die Soldaten in Israel ein, die sich während der Feiertage in der Stadt befanden und von denen ich den Eindruck hatte, dass ihre Zahl größer war als die der Menschen, die sich dort aufhielten. Ich denke an die Panzer, die ich entlang der Grenze Jordaniens gesehen hatte und all die police check points, an denen ich angehalten wurde und meinen Pass vorzeigen musste.

Ich klicke zurück zu den Artikeln über die Britin: „Jerusalem: Britin stirbt nach Messerangriff„, „Jerusalem: Britin von Palästinenser erstochen„, „Karfreitagsfeiern: Britin stirbt nach Messerattacke in Jerusalem“ usw. Einzig n-tv bezeichnet das Geschehene als „Zwischenfall“.
Alle Artikel aber haben eines gemeinsam: Nicht nur sind die Fotos prinzipiell immer dieselben (ist der Verfasser des jeweiligen Artikels eigentlich tatsächlich vor Ort oder schicken sich die Medien untereinander die Bilder zu?!), ausgehend von der Schlagzeile und den Geschehnissen verweisen sie am Ende des jeweiligen Artikels alle auf den Terror in diesem Land der letzten Wochen, der zurückliegenden Monate oder der vergangenen Jahre. In nur einem einzigen Artikel wird erwähnt, dass die Britin auch die israelische Staatsbürgerschaft besäße. In diesem wird ebenfalls der Terror auf der ganzen Welt erwähnt und nicht nur auf Israel oder Palästina beschränkt.

 

Was diese Länder tun, um für Sicherheit zu sorgen – darüber steht in all den Nachrichten nichts. Was diese Länder tun, damit sich die Menschen in ihrem Land wohl fühlen – darüber steht da nichts. Wie sich die Menschen dieser Länder in ihrem Alltag westlichen Menschen und, im Speziellen, Frauen gegenüber verhalten – darüber steht da ebenfalls nichts…

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