Erste Heimreise nach Deutschland – und direkt überfordert
Meine erste Heimreise nach Deutschland nach elf Monaten Guatemala
Auf meine Heimreise nach Deutschland über Weihnachten hatte ich mich knapp 8 Monate gefreut. Denn bereits Anfang April hatte ich meinen Heimreise-Flug nach Deutschland für Anfang Dezember gebucht.
Wahnsinnig freute ich mich auf meine Familie. Wahnsinnig freute ich mich auf meine Freunde. Wahnsinnig freute ich mich darauf, meine ehemaligen Schüler zu treffen. Worauf ich nach elf Monaten in Guatemala, einer Zeit, von welcher du nun wahrlich nicht davon ausgehen kannst, dass sie chaosfrei, strukturiert, ohne jegliche Gefahren und völlig stressfrei ablief, nicht vorbereitet war, war der Umstand, dass mich Deutschland auch nur in Ansätzen überfordern könnte.
Denn bei sämtlichen Unwegbarkeiten auf Reisen in den vergangenen Monaten oder Bedenken und Hilfsangeboten meiner Familie und meiner Freunde in den vergangenen Wochen und Monaten hatte ich immer einen Spruch parat: Keine Sorge, ich habe elf Monate Guatemala überstanden – Deutschland wird ein Klacks.
Und dennoch gab es Situationen in Deutschland, über welche ich mir vor einem Jahr noch gar keine Gedanken machte und die mich während meiner Heimreise nach Deutschland entweder überfordert, ein Kopfschütteln bei mir ausgelöst, für Verwirrung gesorgt hatten oder die ich schlichtweg völlig vergessen hatte. Von fünf dieser Situationen möchte ich dir heute berichten.
#1 Der Einkauf in einem deutschen Supermarkt
Ganz davon abgesehen, dass ich die Notwendigkeit des Pfands für den Einkaufswagen hinterfragte und nur Dank der Tatsache, dass meine Mutter in ihrem Auto immer ein Pfandmärkchen im Auto deponiert hat, ich sonst nicht einmal mit einem Einkaufswagen hätte meine Einkäufe tätigen können, war ich völlig überfordert von meinem ersten Einkauf in einem deutschen Supermarkt.
Das Sortiment des Discounters erschlug mich geradezu. Auch die Preise waren ungewohnt. Denn für manche Dinge in Guatemala, wie beispielsweise Reiswaffeln, Joghurt, Käse und Aufschnitt bezahlst du in Guatemala gut und gerne das Dreifache.
Die geradezu nicht vorhandene Freundlichkeit der Kassiererin am frühen Montagmorgen bei ihrem morgendlichen Grußwort – der knappe morgendliche Gruß erinnerte dabei eher an das gequälte Gekreische einer Krähe -, während welchem sie mich nicht einmal eines Blickes würdigte, ihr von absoluter Fassungslosigkeit gezeichnete Blick, als ich beim Bezahlvorgang laut und herzlich auflachen musste, als meine deutsche EC-Karte auch beim wiederholten Male nicht vom Kassensystem akzeptiert wurde (die Ironie bzgl. der Problematik, mit meiner deutschen Kreditkarte an Bargeld in Guatemala zu kommen, war in diesem Moment allgegenwärtig – ich konnte nicht anders als laut aufzulachen!) und das monoton aufgesagte Schöner [sic!] Tag!, meine gedankliche Verbesserung, es heißt: SchöneN Tag! – all das machte mein Einkauf zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art.
Smalltalk mit Angestellten im Supermarkt, Kundenfreundlichkeit, Empathie, ein Hauch guter Laune? – A hearty welcome to Germany!
#2 Die deutschen Öffnungszeiten
Dass die Geschäfte am Tag nach meiner Ankunft in Deutschland, also sonntags, geschlossen haben würden, daran erinnerte mich meine Mum noch kurz bevor ich am Abend meiner Ankunft in mein Bett fiel. Für jemanden, der aufgrund der Verkehrssituation in Guatemala Stadt und der Tatsache, dass ein Einkauf von Lebensmitteln in Guatemala trotz einer besseren Verkehrssituation doppelt so lange dauert als in Deutschland, seine Einkäufe gerne auf den Sonntag verlegt, ist diese Tatsache sicherlich eine kleine Umstellung, aber nicht der Klage wert. Mir ist bewusst, dass es sich um Luxus pur handelt, dass die Geschäfte in Guatemala an sieben Tagen die Woche, nahezu rund um die Uhr geöffnet haben.
Dass manche Apotheken (zumindest die in meinem Dorf, in welcher ich am Tag zuvor mein Rezept zur Bestellung abgegeben hatte), Postämter und einige andere Geschäfte auch an einem Mittwochnachmittag geschlossen hatten – das hatte ich komplett aus meinem Gedächtnis verbannt.
#3 Der Egoismus im deutschen Straßenverkehr
Man mag von der Verkehrssituation in Guatemala ja nun halten, was man will. Auch nach elf Monaten in Guatemala bin ich der Überzeugung, dass Autofahren in Guatemala nicht ohne ist. Auch der Satz If you can drive a car in Guatemala, you can drive anywhere in the world kam mir in den vergangenen Monaten öfter über die Lippen.
Das Autofahren in Guatemala scheint ein absolutes Chaos zu sein: Regeln werden nicht befolgt, an Geschwindigkeitsbegrenzungen wird sich grundsätzlich nicht gehalten, an roten Ampeln wird nicht länger als 2 Minuten gewartet, es wird falsch herum durch den Kreisel gefahren, weil richtig herum Stau ist, es wird geschoben, gewunken, unvorhergesehen scharf gebremst, manchmal mehr gebremst und gestanden als tatsächlich gefahren und grundsätzlich gilt das Recht des Schnelleren.
Was es beim Autofahren in Guatemala jedoch nicht gibt, ist Egoismus. Denn bei allem Regelbruch, den auch ich bereits mehrfach im Straßenverkehr begangen habe, bei allem Chaos und Geschiebe geht es zu keiner Zeit aggressiv zu, Vorfahrten werden nicht genommen, weil man sich dazu berechtigt fühlt und penetrant gedrängelt wird sowieso nicht, man fährt einfach rechts oder links am langsameren Fahrzeug vorbei. Kurz: Der Freud’sche Penisneid im Straßenverkehr existiert in Guatemala schlichtweg nicht.
Kein Wunder, dass ich zwar weniger vom Verkehr auf deutschen Autobahnen oder dem Feierabendverkehr in Städten überfordert war, sondern von der Art und Weise, wie man in Deutschland auf den Straßen miteinander umgeht. Bereits während meiner ersten Autobahnfahrt wurde mir der typisch deutsche Egoismus auf den Straßen glasklar vor Augen geführt:
Von der Landstraße fuhr ich auf die Autobahn. Noch bevor ich überhaupt den Beschleunigungsstreifen erreicht hatte, sah ich vor mir die Bremslichter der Autos eines Staus, in welchem ich mich in nicht einmal mehr 200 Metern befinden werde.
Ich reduzierte meine Geschwindigkeit, weil ich für den Bruchteil von Sekunden darüber nachdachte, die Autobahn direkt wieder zu verlassen… und erhielt binnen Zehntelsekunden sowohl die Lichthupe als auch mehrfaches Hupen eines herannahenden Fahrzeuges hinter mir.
Dass dieser Fahrer ebenfalls in wenigen Sekunden mitten im Stau stehen würde, war offensichtlich. Dass es ihm dabei scheinbar aber gar nicht schnell genug gehen konnte, löste bei mir nicht nur Fassungslosigkeit sondern auch völliges Unverständnis aus.
Übrigens, bei aller Unziviliertheit, die man Guatemala durchaus und mitunter auch berechtigterweise unterstellen kann, habe ich es noch kein einziges Mal erlebt, dass eine Rettungsgasse nicht funktionierte!
#4 Die Inbetriebnahme einer deutschen Prepaid SIM-Karte
Wenn du in Guatemala eine Prepaid SIM-Karte für dein Handy benötigst, gehst du entweder direkt in das Büro eines Handyanbieters oder in einen Supermarkt, erklärst den Angestellten dort, dass du eine SIM-Karte benötigst, übergibst dein Handy, überlässt es für einige Minuten dem Mitarbeiter, welcher die SIM-Karte einlegt, ein paar Tastenkombinationen drückt und dir schließlich ein sofort betriebsbereites Handy überreicht. Die einzige Herausforderung, die du bei diesem Vorgang hast, liegt darin, zu entscheiden, wie viel Datenvolumen du aufladen möchtest.
Prepaid SIM-Karten erhältst du auch in Deutschland in jedem Supermarkt. Dass die Inbetriebnahme einer solchen jedoch eine größere Herausforderung darstellen und die Karte erst 18 Stunden später betriebsbereit sein würde, darauf war ich wahrlich nicht gefasst.
Bevor ich überhaupt die SIM-Karte nutzen konnte, musste ich mir die Video Ident-App auf das Handy ziehen (die Alternative: PostIdent-Verfahren – dauert ja noch länger, vor allem wenn man samstags einreist), mich mit dem Service verbinden lassen, welcher meine vollständigen Daten aufnahm, von mir verlangte, mehrere Bilder von meinem Reisepass inklusive eines Selfies, auf welchem ich meinen aufgeklappten Reisepass in der Hand halte, zu machen. Die Gründe hierfür sind mir durchaus geläufig und ich kann die Vorgehensweise nur begrüßen…
Dass ich im Anschluss daran jedoch eine weitere App herunterladen soll, ein Konto beim Provider einrichten soll, in welchem ich ebenfalls sämtliche meiner Daten eingebe, mich dann für einen Tarif entscheide, welcher sich schließlich für die kommenden 12 Monate von selbst aktiviert und erst durch einen Anruf bei der Hotline wieder deaktiviert wird, ich bei diesem Konto dann entweder Kreditkarten- oder Kontodaten hinterlegen soll, ansonsten erneut in den Supermarkt muss, um eine Aufladekarte zu kaufen – da erschließt sich mit der Sinn einer Prepaid-SIM-Karte wahrlich nicht mehr.
Datenschutz und Sicherheit hin oder her – aber, liebes Deutschland, ist diese weitere Vorgehensweise nicht ein klein wenig übertrieben?! Wir sprechen von einer Prepaid SIM-Karte!
#5 Die unerträgliche Leichtigkeit des deutschen Seins
Sieht man einmal von den unschönen Situationen auf Deutschlands Straßen, bisweilen unfreundlichen Kassiererinnen in deutschen Supermärkten und der Existenz von Ladenöffnungszeiten ab und hat man überdies dann auch noch das Glück, einen Handyvertrag abgeschlossen zu haben, entspricht ein Leben in Deutschland doch dem Paradies auf Erden.
Für alles gibt es entweder Regelungen, Geschäfte oder einen Kundenservice, an welchen man sich wenden kann. In Supermärkten erhält man Waren zu relativ günstigen Preisen und darüber hinaus nahezu alles, was das Herz begehrt. Das Leitungswasser ist trinkbar, das Handynetz gut ausgebaut, die heimische Internetverbindung stabil, der Verkehr vorhersehbar und selbst Google Maps ist mit Zeitprognosen von A nach B zuverlässig und Routen daher planbar. Alles läuft. Alles läuft rund. Alles läuft perfekt.
Nach elf Monaten in einem Land, in welchem das Abarbeiten eines einzigen To-Do’s von insgesamt fünf auf der Liste abzuarbeitender Punkte bereits einen erfolgreichen Tag darstellt, ist die Leichtigkeit, mit welcher in Deutschland offensichtlich alles geschieht, geradezu überfordernd.
Überforderung in Guatemala?! Oder business as usual?
Ein Hauch von Überforderung gab’s natürlich auch! Denn nachdem ich wieder in Guatemala angekommen war, mussten direkt zahlreiche organisatorische und logistische Dinge erledigt werden. Abgesehen davon dass mein Kühlschrank abgeschaltet und (natürlich) leer war, ich dringend meine Telefon- und Internetrechnung bezahlen musste (das geht online nicht) und ich mir nicht sicher sein konnte, ob mein Auto nach zwei Monaten überhaupt noch anspringen würde – die Lebensdauer von Fahrzeugen ist aufgrund der hohen Dreckbelastung nicht sonderlich hoch und ich muss spätestens alle 3.000km zur Inspektion -, benötigte ich Bargeld, um ein finanzielles Polster für den Fall der Fälle zu haben, denn aus Prinzip habe ich immer so viel Bargeld in meiner Wohnung, dass ich von heute auf morgen ein Flugticket für einen Flug buchen könnte, der mich außerhalb des Landes bringen kann.
Witzigerweise gibt es seit ein paar Wochen in einem abschließbaren Raum meines Sicherheitsglasbunkers nun einen (funktionierenden!) Geldautomaten meiner Bank, so dass ich für Bargeldabhebungen nun nicht einmal mehr auf die Straße muss!
Außerdem ließ der Zustand meiner Wohnung vermuten, dass Fuego während meiner Abwesenheit in dieser Urlaub gemacht hat – schwarze Füße und schwarzes Putzwasser waren das Resultat. An die Reinigung meines Balkons habe ich mich bisher nicht herangewagt. Davor graut mir aktuell noch. Man reiche mir bitte einen Dampfstrahler, um diese Sauerei zu beseitigen.
Bei all diesen Luxusproblemen genieße ich im Moment aber vor allem eines sehr: Die Sonnenstrahlen und die Wärme! Wenngleich es nach Einbruch der Dunkelheit deutlich abkühlt, ich mich mangels vorhandener Heizung am Abend gut eingepackt in meiner Wohnung aufhalte und mit einem Longsleeve schlafe, so habe ich doch ab der Mittagszeit 25 Grad!
Kasia Oberdorf
Januar 6, 2019 @ 6:32 pm
Schon krass, wie anders einem die Heimat vorkommen kann nach einer relativ kurzen Abwesenheit… Das Vertraute fühlt sich nicht mehr vertraut an und man beginnt, vieles mit anderen Augen zu sehen. Dafür können auch schon wenige Wochen reichen… 😉 Lg Kasia
Manu
Januar 7, 2019 @ 1:09 pm
Liebe Kasia, du hast absolut Recht! Manchmal reichen auch nur 4 Wochen. Vor Guatemala – also bei normalen Reisen von Deutschland aus – war das natürlich auch existent, aber es kam mir nicht so heftig vor. 😉