Von geschlossenen Türen und offenen Toren
Vor ein paar Wochen schrieb ich über meine Erfahrungen mit Zügen. Welche Erfahrungen kann man nun also mit Türen und Toren haben? Keine besonderen. Eigentlich. Doch. Es gibt Redewendungen. Es gibt Geschichten. Parabeln.
„Es bringt nichts, geschlossene Türen einrennen zu wollen„, „Jemandem Tür und Tor öffnen„, „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere„, um nur ein paar zu nennen. Was haben die Menschen nur mit Türen? Woher kommt dieser unterschwellige Pessimismus? Warum sind sie so gespannt, was sich hinter ihnen verbirgt und öffnen sie dann doch nicht? Geschlossene Türen einrennen zu wollen mag auf den ersten Blick tatsächlich etwas sinnfrei, auch durchaus schmerzhaft, sein. Jemandem Tür und Tor zu öffnen, klingt irgendwie nach einem Wagnis. Und Türen, die sich öffnen, weil sich andere geschlossen haben, nach Alternativen.
Warum gehen Menschen nicht einfach auf Türen zu, anstatt sie einrennen zu wollen? Warum öffnen sie ihre Tür nicht für ein Wagnis, sondern für etwas, von dem sie überzeugt sind und das keine Alternative darstellt? Warum fragen sie sich immer wieder, was hinter einer Tür versteckt sein könnte, was sich dahinter verbergen könnte anstatt einfach durch sie hindurch zu gehen, um es herauszufinden? Vielleicht ist es ja etwas Schönes, das sich dahinter verbirgt? Vielleicht ist es etwas, das sie schon immer einmal sehen wollten? Vielleicht ist es etwas, das sie positiv überraschen und ihr Leben bereichern würde? Nein, allzu häufig bleiben sie einfach davor stehen, bewundern sie fragend, gehen davon aus, dass sie die Tür sowieso nicht öffnen können, dass ihnen der Schlüssel fehlt oder reden sich ein, dass das, was sich dahinter verbirgt, nichts Gutes sein kann. Warum? – Weil sich einzureden, dass das, was dahinter verborgen ist, nichts Gutes ist, viel leichter ist, als offen darauf zuzugehen und zu sehen, was passiert. Eis. Glatteis. Ungewissheit. Angst. Ur-Ängste werden geweckt. Und wenn sich doch etwas Gutes dahinter verbirgt?
Schon Tom Petty sang: „Most things I worry about never happen anyway.“ So viel Wahrheit in so wenigen Worten. Wieviel Zeit haben wir in unserem Leben schon verschwendet, indem wir uns über negative Dinge Gedanken gemacht haben? Wieviel Schaden haben wir uns schon selbst zugefügt, weil wir uns so viele Sorgen machten und über vieles nachgrübelten? Wieviel Schaden haben wir uns schon selbst zugefügt, weil wir versuchten, unsere Ängste, Sorgen und Panik zu lindern? Und schließlich geschieht der Grund, warum wir dies taten, gar nicht. Die worst case-Situation tritt nicht ein. Ein emotionales Wrack sind wir deswegen aber trotzdem. Grundlos. Und egal, wie sehr wir instinktiv wissen, dass es so ist und wir eigentlich unsere Lektion gelernt haben, gelernt haben sollten, brauchen wir trotzdem immer wieder einen Auffrischungskurs, einen, der uns daran erinnert, dass manche Sorgen und Ängste einfach völlig überbewertet werden. Von uns selbst.
Meine Mama hat immer gesagt: Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Sie hat es von meiner Oma. Und, mal ehrlich, Omas haben tatsächlich immer recht. Ausnahmslos.
Natürlich gibt es auch die andere Seite. Diese, dass man sich mal am zu heiß gekochten Essen tatsächlich verbrennt. Man denke mal an die Zeiten, in denen man ebenfalls in diesem Zustand war, aber in denen schlechte Dinge tatsächlich eingetreten sind. Heute ist man immer noch am Leben. Haben die Sorgen, Ängste, Unsicherheiten im Vorhinein geholfen? Wieviel hätten sie denn geholfen? Die ganzen Sorgen haben nicht dazu geführt, dass es nicht passierte. Vielleicht hat man dadurch alles noch viel schlimmer gemacht, denn egal, was schließlich passiert war, war man doch die ganze Zeit zuvor in einem Zustand, dass man davon ausging, dass es passieren würde, womit man es doch nur schlimmer machte. Das einzige, das man tatsächlich erreicht hat, war doch, dass man sich davor in einem beschissenen Zustand befand, weil man von schlechten Dingen ausging und schließlich, als die schlechten Dinge eintraten, noch einmal oder, im schlimmsten Fall, immer noch. Mit den schlechten Dingen musste man sich aber dann doch auseinandersetzen. So oder so.
Wie hoch ist denn überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass einem wirklich schlechte Dinge widerfahren? Ist das Glas halb leer oder halb voll? Die meisten guten Dinge im Leben begegnen einem, wenn man sie tut. Wenn man sie tut. Gute Dinge im Leben widerfahren einem, weil man an die guten Dinge glaubt. Erfüllung ist nur dann möglich, wenn man Möglichkeiten ergreift. Erfüllung kommt nicht, während man darauf wartet, dass sie passiert.
Mir fällt Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ ein. Ein Mann stellt sich vor ein Gebäude (metaphorisch das Gesetz), dessen Eingang auf den ersten Blick von einem Türhüter bewacht zu sein scheint. Der Türhüter hat eine bedrohliche Wirkung auf den Mann, so dass er sich nicht traut hineinzugehen. Der Türhüter wiederum gibt dem Mann zu verstehen, dass er jederzeit einfach hindurch gehen könne, dass aber weitere Türen auf ihn warten würden. Der Mann wartet solange darauf, eine Entscheidung zu fällen, bis er alt ist und ihm die Entscheidung schließlich durch den Türhüter abgenommen wird, da dieser die Tür tatsächlich verschließt und dem Mann dadurch endgültig den Weg hinein unmöglich macht. Nie wird er mehr erfahren, was sich hinter der Tür befunden hat. Nie wird er erfahren, ob die anderen Türen, von denen der Türhüter gesprochen hatte und die bei diesem ja noch nicht einmal auf fundiertes Wissen basieren, tatsächlich existieren. Und nie wird er erfahren, ob das Hindurchgehen tatsächlich so schwierig gewesen wäre. Immer wird er sich fragen, wie sein Leben sich verändert hätte, hätte er nur den Mut aufgebracht, durch die Tür zu gehen als er dies noch konnte. Verpasste Chancen. Entgangene Möglichkeiten. Warum?! – Aus Ängsten heraus. Aus der Ungewissheit und Unsicherheit heraus. Und das obwohl es keinen einzigen tatsächlich sichtbaren, nachvollziehbaren Grund für diese Ängste, Ungewissheit und Unsicherheit gegeben hatte. Traurig irgendwie.
Und was, wenn diese Tür eben nun keine Tür, sondern ein Tor ist? Ein Tor ohne Tür, ohne Schlüssel, offen – auch metaphorisch offen – und durch das man theoretisch einfach völlig problemlos hindurch gehen könnte? Was also, wenn man anstatt durch eine mickrige Tür – denn mickrig erscheint jede Tür vor einem riesigen Tor – durch ein solches Tor geht?! Womöglich etwas Tolles findet? Worauf warten? Handeln anstatt nur zu denken! Sich auf etwas einlassen anstatt sich aus unbegründeter Angst heraus abzuwenden!
In diesem Sinne,
Grüße aus Trier