Ausflug in die Favelas von Rio de Janeiro
Ausflug in die Favelas von Rio de Janeiro
Ein Ausflug in die Favelas von Rio de Janeiro verspricht dir einen neuen, ganz anderen Einblick von Brasilien. Dennoch war ich mir beim Lesen einiger Blogbeiträge unschlüssig, ob ich mir einen solchen Ausflug geben sollte. Es gab Touristen, die berichteten von Armuts-Tourismus. Es gab Touristen, die gaben zu, sich anfangs in den Favelas wirklich gefürchtet zu haben. Und schließlich gab es Touristen, die einen Ausflug in die Favelas von Rio de Janeiro für eine No-Go-Zone hielten.
Ich war neugierig und beschloss, dass ich aufgrund meiner jahrelangen Erfahrungen in Guatemala, meinen Projekten, die ich dort ebenfalls in roten – ach, was sage ich – knallroten Zonen durchgeführt hatte und der Tatsache, dass ich weder Armut-Tourismus unternehmen würde, noch es für Touristen möglich wäre, eine Tour zu buchen, bei der mit Schießereien oder Überfällen zu rechnen sei, einen Ausflug in die Favelas von Rio de Janeiro zu buchen. Und so traf ich mich mit meiner Führerin um 8:30 Uhr morgens an der Shell Tankstelle, von welcher es nur drei Gehminuten zum Eingang in die Favela Santa Marta sind.
Während wir auf die Gondel warteten, die uns hoch und damit mitten rein in das Gassen-Gewirr von Santa Marta bringen sollte, sah sie mich lächelnd an und gestand: Du siehst nicht wirklich aus, als hättest du Angst oder fühltest dich irgendwie bedroht. – Nein, tu ich auch nicht. Und sie hatte Recht: Mein Security Alert war bisher nicht angegangen – und, Spoiler Alert, sollte dies an diesem Vormittag auch nicht tun. Vielmehr war es so, dass ich mich in der Favela Santa Marta nicht nur super sicher, sondern in gewisser Weise auch wohl gefühlt habe.
Auch dann als wir mehreren Gang-Mitgliedern begegneten, die uns zu verstehen gaben, dass wir für die nächsten Meter das Handy in der Tasche lassen sollten. Auf meinen fragenden Blick entgegnete mir Juliana, dass dies normal sei, da gerade Drogengeschäfte in Gang seien und die Favela sehr drauf bedacht sei, dass es keine Bilder davon im Internet gebe.
Die Favela Santa Marta war die erste Favela, die in Rio de Janeiro einem Befriedungsprogramm unterzogen wurde, bei dem die Kontrolle über die Favela an die Polizei übergeben wurde, die dann eine ständige Präsenz in der Favela einrichtete, um Drogenbanden zu beseitigen und die Kriminalität einzudämmen und gleichzeitig Projekte zur sozialen Veränderung durchzuführen. Während das eine sehr gut funktioniert, funktioniert das andere offensichtlich nicht ganz so gut.
Du findest in der Favela Santa Marta die alltäglichen Dinge, die du in jedem anderen Dorf oder Stadtbezirk einer größeren Stadt ebenfalls findest: Strom, Internet, ein paar Läden des täglichen Bedarfs, ein paar Cafés und kleine Snack-Shops.
Inmitten der Favela, sozusagen dem Dorfkern, findest du sogar eine fast lebensgroße Michael Jackson-Figur. Michael Jackson nämlich hatte 1996 einen Teil seines Videos zu “They don’t care about us” in der Favela Santa Marta gedreht.
Was die Armut in der Favela angeht, so ist es durchaus so, dass die massive ungleiche Verteilung des Wohlstands in Brasilien hier offensichtlich wird. Auch im Mikrokosmos der Favela selbst. Schaust du von der Favela auf Rio, erblickst du Wolkenkratzer mit exklusiven Wohnungen und teure Wohnhäuser und in der Favela selbst stehen Häuser aus Beton und Wellblech direkt nebeneinander.
Und während es in der Favela keine wirklich funktionierende Kanalisation für jedes Haus gibt, sondern die Abwässer über eine Betonrinne aus der Favela geleitet werden, so gibt es dennoch kein einziges Gebäude und keine Hütte in der Favela, das/die keinen Strom, kein Internet oder kein fließend Wasser hat. Zudem sehe ich Satellitenschüsseln, Wassertanks, Waschmaschinen und besagte Gondel, die zwar nicht immer voll funktionstüchtig ist oder bis zum oberen Teil der Favela fährt, aber der Favela dennoch eine Infrastruktur bietet.
Ich bin mir bewusst, dass es sich hier um eine „Vorzeige-Favela“ handelt. Dennoch komme ich nicht umhin, Vergleiche zwischen den Ghettos, Barrancos und der Zone 18 in Guatemala Stadt zu ziehen: Dort leben die Menschen teilweise auf Lehmboden, im Dreck und mit Hühnern. Wenn die Menschen dort überhaupt ein Dach über dem Kopf haben – denn häufig ist es lediglich eine dicke, schwarze Plastikplane – dann handelt es sich hierbei meist um ein Wellblech, das nur wenig vor der Witterung schützt. Das heißt: Wenn es regnet – und das tut es in der Regenzeit – dann regnet es in das Haus und der Boden wird aufgeweicht. Gewaschen wird in diesen Orten mit der Hand, denn Strom, fließend Wasser oder gar eine Internetverbindung sind dort Luxusgüter, die sich niemand leisten kann.
Und als könnte es kaum Gegensätzlicher zu dem sein, was ich bereits in Guatemala erlebt habe, auch die Atmosphäre ist eine komplett andere.
Die Favela Santa Marta ist bunt. Sie ist lebendig. Kinder spielen auf den Straßen. Aus den Häusern tönt fröhliche Musik. Und der Ausblick auf die Stadt ist spektakulär. Von hier oben siehst du nicht nur Ipanema und Leblon, sondern kommst der Christus-Statue auch ganz nahe. Mit ihren offenen Armen scheint sie die Favela auf ihrem Hügel geradezu zu überwachen.
Tipps für eine Tour durch die Favela Santa Marta
Über eine Million Einwohner von Rio de Janeiro leben in den Hunderten von Favelas in der ganzen Stadt. Durchaus, mir ist bewusst, und in Santa Marta leben über 5.000 Menschen. Organisierte Touren werden von örtlichen Reisegruppen angeboten, und es empfiehlt sich, eine Tour zu finden, die der örtlichen Gemeinschaft direkt zugute kommt. Thiago Firmino ist ein Einheimischer, der Führungen durch Santa Marta sowohl auf Portugiesisch als auch auf Englisch anbietet.
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