Island ist schön, aber…
Island ist schön, aber…
Island ist Land #75, das ich bereist habe. Als ich Freundinnen und Freunden oder auch meinen Schülerinnen und Schülern erzählte, dass ich einen Island Roadtrip im Oktober geplant hatte, bekam ich ausschließlich positive Rückmeldungen: „Boooaah, Island!“, „Mega schön!“, „Der Wahnsinn!“, „Ohhh, das muss so schöööön sein dort!“ oder „Ich bin voll neidisch!“
Nun, nach zehn Tagen auf der Insel weiß ich nicht so richtig, wie ich in ein paar Tagen auf die Frage „Und, wie war Island?“ und deren erwartungsvolle Blicke antworten soll. „Island war schön.“ Das werde ich sagen. „Mehr aber auch nicht.“ Sie werden wahrscheinlich etwas verduzt sein ob der Kürze der Antwort. Wahrscheinlich werden sie etwas anderes erwartet haben. Mehr Enthusiasmus. Mehr Feuer in meinen Worten. Mehr Begeisterung.
Die Aussage „Island ist schön“ ist keine negative. Für jemanden, der die halbe Welt gesehen hat und für die es immer schwieriger wird, sich von etwas verzaubern zu lassen, ist das durchaus ein gutes Urteil.
Und dennoch: Ich kann den Shitstorm wegen meines heutigen Blogbeitrages schon förmlich auf mich zukommen sehen. „Wie kannst du nur?“ „Dann reis‘ doch woanders hin!“ „Wie kann man so urteilen?“ „Du bist doch verwöhnt!“ „Dir kann man es auch nicht recht machen, oder?!“
Weißt du was?! – Mit großer Wahrscheinlichkeit kennen wir uns nicht persönlich und du hast dir allein aufgrund dieser wenigen Zeilen ein Bildnis von mir gemacht. Das allein sagt mehr über dich als über mich. Aber ich gehe einen Schritt weiter. Weißt du noch was?! – Das ist mein Reiseblog und meine Meinung. Ich entscheide, was ich auf meinem Blog veröffentliche. Wenn dir das nicht passt, geh‘ weiter, denn dann gibt es hier nichts für dich zu sehen.
Wenn dich aber tatsächlich meine Gründe interessieren, dass ich Island einfach „nur“ als schön bezeichne, bist du herzlich dazu eingeladen, weiter zu lesen.
Island ist schön!
Mit 2.233 gefahrenen Kilometern kann ich behaupten, dass ich etwas von Island gesehen habe. Sicherlich im Schnelldurchlauf, aber auch das war so gewollt. Ich wollte weder drei Wochen auf Island bleiben, noch 5.000 Euro für einen Urlaub ausgeben, um dann ggf. nur die Hälfte zu sehen, um dann wieder zurückzukehren und die andere Hälfte dessen zu sehen, was ich hätte sehen wollen.
Werde ich nämlich nicht!
Durchaus, den Diamond Beach fand ich total faszinierend, der Gulfoss war atemberaubend schön, der Große Geysir stellte eine komplett neue Erfahrung für mich dar und die Halbinsel Snaefellsnes war mein ganz persönliches Highlight, an das ich mich sicherlich noch lange erinnern werde.
Island ist schön!
Und dennoch…
Ich habe – abgesehen vom Großen Geysir – auf Island nichts erlebt, erfahren, gesehen oder gefunden, das ich nicht schon vorher, in einem anderen Land, erlebt, erfahren, gesehen oder gefunden habe.
Vulkane auf Island und anderswo
Fünf Jahre lang habe ich in Guatemala gelebt und gearbeitet. Wenn du meine vergangenen Blogbeiträge gelesen hast, dann weißt du, dass es in Guatemala 27 Vulkane gibt, von denen drei noch sehr aktiv sind. Einen Roadtrip in einem Land zu machen, in welchen es (aktive) Vulkane gibt, ist für mich daher keine Besonderheit.
Ich habe in der Vergangenheit regelmäßig wegen des Vulkanstaubs und wegen der Vulkanasche mein Auto putzen müssen. Ich habe nach dem verheerenden Vulkanausbruch im Jahr 2018 Hilfe an die Bevölkerung geleistet, habe einfach so spontan sonntagsmorgens entschieden, mit meinem Hund einen Spaziergang auf den Acatenango zu unternehmen oder habe mir eine Tour nach dort oben gebucht und war nachts im Angesicht eines ausbrechenden Vulkan Fuego unter freiem Himmeln pinkeln. Und wenn Vulkan Pacaya von meinem Balkon aus sichtbar aktiv wurde, stieg ich spontan in mein Auto ein, rief meinen Guide Marina an und fragte sie, ob wir Vulkan Pacaya besteigen könnten. Oder ich rief David an und ließ mir von ihm auf Pacayas Lava eine Pizza brutzeln. Auf Island einen ausbrechenden oder aktiven Vulkan zu sehen, stand daher überhaupt nicht auf der Liste meiner Reisevorhaben.
Gletscher auf Island und anderswo
Was Gletscher angeht, hat Island natürlich so einiges zu bieten. Es ist allerdings keine zwei Jahre her, dass ich durch Patagonien und Feuerland gereist bin, dort den Perito-Moreno Gletscher zuerst auf einem Boot, dann von den Aussichtsplattformen aus allernächster Nähe gesehen habe. Zudem bin ich den W-Trekk im Torres del Paine gelaufen, auf welchem du auch einen Hike auf einen Gletscher unternimmst. Und du vergisst wahrscheinlich, dass ich vor drei Jahren in Alaska unterwegs war und dort zum Exit Glacier hochgelaufen bin.
Wasserfälle auf Island und anderswo
Island wartet auf dich mit wahnsinnig vielen Wasserfällen. Der Gulfoss ist dabei sicherlich der größte Wasserfall auf der Insel. Aber der Gulfoss ist nicht der größte Wasserfall, den ich jemals gesehen habe. Und beim Anblick des Gulfoss bekam ich keine zittrigen Knie. Diese nämlich bekam ich beim Besuch des Kaieteur in Guyana. Und – wenn du von Höhen sprechen willst – dann definitiv auf dem Preikestolen in Norwegen.
Die Landschaft auf Island und anderswo
Natürlich ist die Landschaft von Island wahnsinnig schön. Unterschiedliche klimatische Verhältnisse sorgen zudem dafür, dass du sie immer unterschiedlich wahrnehmen kannst. Aber soooo sehr unterscheidet sich Islands Landschaft nicht von der Landschaft Norwegens, Guatemalas oder von den Felsmassiven Chiles, Argentiniens oder Alaskas. Interessant dabei, dass mich Island tatsächlich in vielerlei Hinsicht an Alaska und Patagonien erinnert hat.
Schwarzer Sand auf Island und anderswo
Natürlich kannst du einwerfen, dass die schwarzen Sandstrände auf Island total faszinierend sind. Sicherlich. Sie sind schön anzusehen. Aber auch in Guatemala und Nicaragua und vielen anderen Ländern in Zentral– und Südamerika gibt es Vulkane. Und wo es Vulkane gibt, gibt es häufig auch Strände mit schwarzem Sand.
Preise auf Island
Und dann sind da noch die überaus hohen Preise. Ich verstehe, woher diese rühren. Ich bin in der Lage, dies kognitiv nachzuvollziehen. Bis zu einem gewissen Punkt trage ich das auch mit. Ich stelle mich darauf ein. Es ist Teil einer Islandreise. Es ist Teil des angesparten Reisebudgets. Dennoch muss ich zugeben, dass ich es sehr grenzwertig finde, für einen Filterkaffee mit einem Stück Kuchen zwischen 9 und 11 Euro oder für eine Tomatensuppe teilweise 20 Euro zu bezahlen.
Nun denn, Preise sind temporär und auf die Reisezeit beschränkt. Die Situation verändert sich wieder, sobald man das Land verlässt. Dann weiß man auch die deutschen Preise wieder zu schätzen. 😊
Wetter auf Island
Auch temporär ist das doch sehr unbeständige und teilweise eiskalte Wetter. Eine Kombination der besonderen Art ist dabei im Oktober vor allem Schnee mit Wind. Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch in einer Unterkünfte mit der Rezeptionistin. Während ich konstatierte, dass das Wetter heute nicht so doll sei, da es schneien würde, saukalt und extrem trüb mit Sichtweiten unter 100 Meter sei, warf sie ein, dass es schlimmer gehe, da heute der Wind fehlte.
Und weil es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung gibt, hatte ich meine Snowboardkleidung dabei – sowohl die Jacke als auch Thermounterwäsche, gute Handschuhe, Stirnband, Mütze und trug immer diverse Lagen an Kleidung. Auch Kälte ist temporär.
Tourismus auf Island
Und was die Massen an Touristen angeht, die sich auf der Insel befinden, denen entkam ich, indem ich außerhalb der Hauptreisezeit auf Island war und meine Tage früh beginnen ließ, um vor den Touristenbussen, die es auch im Oktober gibt, an Hotspots einzutreffen.
Touristenmassen bin ich im Oktober nicht begegnet, aber überall den Zeichen wie es hier in den Sommermonaten zugeht. Im Besucherzentrum des Gulfoss beispielsweise gab es allein fast 20 Frauentoiletten – die waren während meines Besuches nicht notwendig, aber ich bin mir sicher, dass diese dort nicht umsonst stehen.
Island ist schön…
Verstehe mich nicht falsch, Island ist schön! Ich habe meine Reise hier genossen. Ich habe viel erlebt, viel erfahren und viel gesehen. Ich habe in wahnsinnig guten Unterkünften genächtigt, richtig viel geschlafen und wahnsinnig gut gefrühstückt. Aber zurückkehren möchte ich nicht. Und den Hype um Island teile ich ebenfalls nicht.
Island ist schön!
Aber mehr eben auch nicht…