Sicherheit in Guatemala ist eine Illusion – Leben in Guatemala
Das touristische Bild von Guatemala
Immer wenn ich Reiseberichte von meinen Blog-Kolleginnen lese oder mit anderen Reisenden über ihre Reisen durch Guatemala spreche, schwärmen die Touristen von Guatemala. Sie heben hervor, wie schön das Land sei, wie einfach es sei, es mit öffentlichen Bussen zu bereisen, betonen, wie nett die Guatemalteken seien und wie sicher sie sich in Guatemala während ihrer 5- bis 10-tägigen Reise durch das Land gefühlt hätten. Ich erfreue mich an diesen Berichten, ziehe jedoch auch gedanklich immer wieder skeptisch die Augenbraue hoch. Denn ich weiß: Sicherheit in Guatemala ist eine Illusion.
Die Sicherheit und die Statistik
Statistisch gesehen – das habe ich auf meinem dreitägigen Sicherheitstraining, welches ich besuchen musste, um überhaupt einen Fuß in das Land setzen zu dürfen – steigt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Überfalles oder einer Gewalttat zu werden mit der Länge des Aufenthaltes in einem Land. Heißt: Bei einem Aufenthalt von 5 bis 10 Tagen (das entspricht der durchschnittlichen Reise-Dauer, die Touristen durch Guatemala reisen) ist es sehr unwahrscheinlich, einem Kriminellen zum Opfer zu fallen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass Touristen in Guatemala für gewöhnlich „nur“ den Peten, den Lago Atitlan, Antigua und vielleicht noch den Strand an der Pazifikküste bereisen. Einen Teil der Orte besuchen sie hierbei mit einem Guide; ein anderer Teil der Orte ist touristisch völlig überlaufen.
Mit einer wirklichen Reise durch Guatemala, mit einem wahren Eintauchen in diese Kultur, einem wirklichen Kennenlernen des Landes – verzeih‘ mir, wenn ich das so sage – hat das aber wenig bis gar nichts zu tun. Es ist nicht einmal die Spitze des Eisberges.
(Un-) Sicherheit in Guatemala ist sichtbar
Kriminalität in Guatemala – nicht nur in Guatemala Stadt, sondern im ganzen Land – ist allgegenwärtig.
Dass dem so ist, siehst du an den Häuserfronten, die praktisch nur aus dunklen Stahl- oder Eisentoren bestehen. Du siehst es an den zahlreichen Polizisten, die sich auf der Straße befinden und Patrouille laufen. Du erkennst es daran, dass sich vor ausnahmslos jedem Supermarkt, jeder Apotheke oder nahezu jedem auch noch so kleinen Geschäft ein bewaffnetes Sicherheits-Männlein befindet.
Es vergeht keine Woche, in welcher ich nicht in den sozialen Medien oder der Zeitung damit konfrontiert werde. Es vergeht keine Woche, in welcher ich nicht von Überfällen oder von erschossenen Taxi- oder Busfahrern höre, die ihr Schutzgeld nicht bezahlt haben.
Und es vergeht kaum eine Woche, in welcher ich nicht beim Scrollen durch meine Facebook-Startseite zugedeckte Leichen, Bilder mit Blut auf der Straße oder Gesuche nach verschwundenen Menschen sehe, die dort von öffentlichen Institutionen, wie beispielsweise der Feuerwehr, der Zeitung Prensa Libre oder dem Municipalidad veröffentlicht werden.
Was meinen Bekanntenkreis angeht, so gibt es – abgesehen von den Menschen, die erst ein paar Monate im Land sind – niemanden, der nicht mindestens eine Geschichte erzählen kann, die ihm selbst passiert ist.
Da ist eine Bekannte, deren Kumpel, der nicht in Guatemala Stadt lebt, wegen Q1.000 (110 Euro) am hellichten Tag auf offener Straße erschossen wurde.
Da ist meine Freundin, die in ihrem Auto im Stau in Zone 10 überfallen und zur Herausgabe ihres Handys gezwungen wurde.
Da ist meine andere Freundin, deren Auto vor einem stark bewachten Condominio in Zone 14 aufgebrochen wurde.
Da ist meine Putzfee, die in 200 Meter Entfernung von meiner Wohnung im Beisein ihrer Tante von einem Motorradfahrer unter vorgehaltener Waffe zur Herausgabe ihres Mobiltelefons gezwungen wurde.
Da ist ein guatemaltekischer Kumpel, der für eine große Sicherheitsfirma hier arbeitet, deren Hauptfokus Geldtransporte in diesen panzerartigen Fahrzeugen sind. Seine Aufgabe besteht darin, Überfälle auf die Fahrzeuge – sie enden meist mit dem Tod mindestens eines Fahrers – aufzuklären. Glaub‘ mir, er hat einen der sichersten Arbeitsplätze hier…
Ich habe Schüler, deren Eltern Ähnliches berichten. Nicht sonderlich überraschend also, dass meine Schüler unter der Woche nicht aus dem Haus gehen und sich ihre Wochenend-Aktivitäten auf einen Besuch in der Shoppingmall Cayala und Netflix Binge Watching beschränken.
Diejenigen Schüler übrigens, die einmal an einem Austausch nach Deutschland teilgenommen hatten, berichten bei der Frage nach ihrem schönsten Erlebnis in Deutschland mit strahlenden Augen davon, dass sie in Deutschland auf offener Straße Fahrradfahren und spazierengehen konnten.
Nicht verwunderlich auch, dass meine Freunde bei der Frage, was das Schönste bei einem Besuch von Mexiko Stadt sei entgegen, dass sie völlig frei durch einen Park hätten spazieren können, sich während einer Fortbildung in Lima fühlten, als seien sie in Europa und bei einem Spaziergang durch Downtown New York hervorheben, wie gesittet es zugehen und wie sicher es dort sei.
Sicherheit in Guatemala ist wie ein schlechter Western-Film. Ein Film, der leider blutige Realität ist.
Meine persönlichen Kategorien von Sicherheit
Nicht verwunderlich also, dass ich meine eigenen Kategorien über Orte in Guatemala entwickelt habe, für deren Besuch ich mich dann entsprechend vorbereite.
Die Bandbreite dieser Kategorien beginnt bei „total gefährlich“ (das sind die Orte, in welche ich keinen Fuß setze) und geht über „absolut nicht sicher“ (das sind die Orte, in welchen ich ausnahmslos alle Wertgegenstände verteilt am Körper und nur das wirklich Notwendigste bei mir trage), „wenig sicher“ (das sind die Orte, an welchen ich zwar eine Tasche bei mir habe, sich in dieser aber nur eine begrenzte Menge Bargeld befindet) zu „unsicher“ (das sind die Orte, an welchen ich auch mal mein Handy in meiner Tasche trage, wie beispielsweise die Zone, in welcher ich meine Wohnung habe).
Auch wenn ich dazu neige, die Zonen 10, 14 und die Zone 11, in welcher ich wohne, als „prinzipiell sicher“ zu bezeichnen, gilt die Faustformel: There is no such thing as a safe place in Guatemala.
Sicherheitsmaßnahmen bei (m)einem Leben in Guatemala
Auch das Wohnhaus, in welchem ich lebe, erscheint wie der Zugang zu einer öffentlichen Institution. Möchtest du mich besuchen, kommst du für gewöhnlich nicht weiter als an den Empfangsbereich. An diesem musst du deinen Ausweis vorlegen. Erst wenn deine Daten aufgenommen worden sind, ruft die Garita bei mir an und lässt mich wissen, dass ich Besuch habe.
Wenn du nun aber davon ausgehst, dass du jetzt frei durch das Condominio zu meiner Wohnung spazieren kannst, liegst du falsch: Ich muss dich nämlich unten abholen! Selbst dann, wenn der Garita bekannt ist, dass wir befreundet sind und selbst dann, wenn du mich bereits mehrfach besucht hast.
Auch meine Putzfee muss mehrere Sicherheitsschleusen passieren, um während meiner Arbeitszeit in der Schule in meine Wohnung zu gelangen: Nachdem ich sie per Formular, in welchem sämtliche Daten von ihr, der genaue Tag und die exakte Uhrzeit ihrer Arbeitszeiten aufgenommen worden waren, angemeldet hatte, erhielt sie einen vierstelligen Code.
Diesen Code muss sie an zwei Systemen im Abstand von 50 Metern eingeben. Gibt sie diesen Code ein, klingelt mein Mobiltelefon. Bei Entgegennahme des Anrufs muss ich ebenfalls einen vierstelligen Code eingeben, der ihr wiederum den Zugang ermöglicht. Genau getimed kommt sie daher während meiner 15-minütigen großen Pause.
Und wenn ich durch die Straßen Guatemalas laufe, spiele ich „Straßen-Memory“. Was zunächst witzig klingt, ist nichts anderes als dass ich, sobald ich in eine Straße einbiege, die komplette Straße scanne – nach parkenden und fahrenden Autos, nach Motorradfahrern, nach Fußgängern.
Das Straßen-Memory habe ich mittlerweile so sehr verinnerlicht, dass ich binnen Sekunden weiß, wie viele Menschen und Fahrzeuge sich auf einer Straße befinden und potenzielle Gefahrenherde ausgemacht habe.
Sobald ich mich also außerhalb meiner Wohnung aufhalte, befinde ich mich in einem Alert Status. Ein genussvoller Spaziergang durch einen Park, bei welchem ich meinen eigenen Gedanken nachhängen und völlig abschalten kann – das ist in Guatemala nicht möglich; das gab es bei mir das letzte Mal vor Jahren in Deutschland.
Eigene Erfahrung in Guatemala – bitte nicht nachmachen!
Und dennoch garantieren mir dieses Wissen und dieser beständige Alert Status keine hundertprozentige Sicherheit!
Denn vor einiger Zeit ist es passiert. Auf einer Straße direkt vor meinem Condominio. Auf einer Strecke, die ich mehrmals wöchentlich, nahezu täglich laufe. Auf dem Weg zu meinem Freunden. Eine Strecke von nicht einmal 500 Metern. Am hellichten Tag. An einem Wochentag. Freitagmorgen. Um 7:40 Uhr.
Weil wir zusammen mit dem Auto zum Kollegenausflug fahren wollten, schnappte ich Matute und machte mich auf den Weg. Raus aus dem Condimino, 50 Meter die Straße hoch, links abbiegen, weiter der Straße entlang. Die Straße war leer. Lediglich ein Motorradfahrer fuhr mir entgegen. Er drosselte seine Geschwindigkeit, als er mir entgegen kam.
Noch dachte ich mir nichts dabei, denn ich hatte gerade den Eingang zu einem anderen Condominio passiert und es erschien mir, als wolle er dort hinein. Als er jedoch dann auf meinem Trampelpfad weiter und mir hinterher fuhr, wurde mir klar, dass dem nicht so ist.
Im Schneckentempo fuhr er neben mir her und murmelte durch seinen Helm etwas, das sich wie Celular! [Handy] anhörte. Ich blieb stehen. Que? [Was willst du?]
Binnen Zehntelsekunden hatte ich mir ein Bild der Szene gemacht. Trampelpfad. Motorrad. Der Typ hatte keine Waffe in der Hand. Er trug keinen Rucksack. Der Gepäckträger seines Motorrades war leer. Der Boden war uneben und sandig. Er hatte beide Hände am Lenker. Die brauchte er auch, denn das Motorrad hier abzustellen kam nicht in Frage.
Binnen Zehntelsekunden realisierte ich, dass er nicht nur keinen sicheren Stand hatte, sondern auch bei einer schnellen Bewegung, wie beispielsweise dem Ziehen einer Waffe, sofort das Gleichgewicht verlieren würde.
Und ich realisierte, würde ich ihm hier und jetzt einen Schubs geben, dass er umfallen und das Motorrad auf ihn drauf fallen würde.
Celular!
In einer Entfernung von circa 100 Metern sah ich zwei große, teuer aussehende, herannahende Fahrzeuge. In weniger als 5 Sekunden würden diese auf meiner Höhe sein. Ich blickte dem Motorradfahrer in die Augen. Du bist doch verrückt! Dann machte ich drei große Schritte auf die Straße und der Motorradfahrer düste schnell ab.
Unter anderen Bedingungen hätte ich ihm mein Mobiltelefon gegeben. Ohne Diskussion. Auf dem Sicherheitstraining habe ich nicht nur gelernt, in gefährlichen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, diese rational einzuschätzen und einzuordnen und sämtliche Emotionen erst einmal auszublenden, ich habe auch gelernt, dass materieller Besitz ganz weit unterhalb der körperlichen Unversehrtheit steht.
Warum ich den Motorradfahrer nicht geschubst habe? – Weil ich auch gelernt habe, einen Gefahrenbereich so schnell wie möglich zu verlassen und auf mich aufmerksam zu machen und weil ich bei einer solchen Aktion die Reaktion nicht hätte einschätzen können…
Schlussbemerkung
Trotz meiner negativen Erfahrung, die im Übrigen kein Einzelfall blieb und der Tatsache, dass ich dort aufgrund der Kriminalität eine deutsche Kollegin verloren und mich schlussendlich vor allem deswegen dazu entschieden habe, meinen Vertrag aufzulösen und zurück nach Deutschland zu kommen, bedenke bitte Folgendes:
Ich lebte hier fünf Jahre. Das sind fünf Jahre, in welchen ich auch wahnsinnig viele positive Erfahrungen gemacht habe. Fünf Jahre, in welchen ich vollständig in eine für mich bis dahin völlig unbekannte Kultur eintauchen durfte. Du wiederum kommst mit großer Wahrscheinlichkeit „nur“ als Tourist nach Guatemala; Touristen bekommen von diesen Dingen nur relativ wenig bis gar nichts mit. Touristen braucht das Land.
Übersicht über die Departamentos in Guatemala
Alta Verapaz (mit Semuc Champey) – Baja Verapaz – Chimaltenango – Chiquimula – El Progreso – Escuintla – Guatemala (mit Guatemala Stadt) – Huehuetenango – Izabal – Jalapa – Jutiapa – Peten (mit Flores) – Quetzaltenango – Quiché – Retalhuleu – Sacatepéquez (mit Antigua) – San Marcos – Santa Rosa – Solola (Lago Atitlan) – Suchitepequez – Totonicapan – Zacapa
Meine Rundreise durch Guatemala – Vom Dschungel, brodelnder Lava und der Maya-Kultur – Esther's Travel Guide
Mai 5, 2019 @ 3:48 pm
[…] LEBEN UND ARBEITEN IN GUATEMALA: SICHERHEIT IN GUATEMALA IST EINE ILLUSION […]
Mama
Mai 5, 2019 @ 6:12 pm
Na toll. Hast schön alles für Dich behalten. Nicht die Mama verrückt machen🙄
Manu
Mai 5, 2019 @ 6:21 pm
Na, na, keine Sorge! Wäre die Situation anders gewesen, hätte ich auch anders reagiert. 😉 Aber wer nen (spontanen) Überfall so mega schlecht vorbereitet und nicht einmal einen festen Halt mit seinem Motorrad hat, hat es echt nicht anders verdient, als tatsächlich leer auszugehen!!!
Eine Bekannte hatte es vor einiger Zeit zum 8. Mal erwischt. Die war so sauer, dass sie schon wieder ihr Handy hergeben musste, dass sie den Typen anschrie: Du willst mein Handy? Dann hol’s dir! Daraufhin hat sie es weit von sich weg geworfen und der Typ stolperte dem Handy hinterher. Auch ne Möglichkeit, schnell aus ner Situation zu kommen…
Markus Ortmann
September 10, 2021 @ 10:44 am
Hallo Manu,
unsere Tochter überlegt, als Aupai für 3 Monate nach Guatemala zu gehen.
Würdest Du grundsätzlich davon abraten oder kann man das machen?
Vielen Dank für eine kurze Info.
Liebe Grüße
Markus Ortmann
Manu
September 14, 2021 @ 5:21 am
Hallo Markus, ganz so pauschal vermag ich das nicht zu beurteilen, wenngleich ich mich sehr über dein Vertrauen freue. Ich denke, grundsätzlich ist das keine schlechte Wahl/Idee, hängt aber auch maßgeblich davon ab, wo deine Tochter untergebracht sein wird und welche Vorstellungen sie von ihrer Freizeit hat. Antigua und Lago Atitlan lassen sich da sicher gut machen. In der Hauptstadt ginge das sicherlich auch, allerdings mit weniger Auswahl, was die Freizeit betrifft.
Nicht ganz außer Acht zu lassen ist bei dieser Frage die aktuelle Covid-Situation: Guatemala befindet sich Stand heute (September 2021) in der 3. Welle, von der aktuell absolut unklar ist, wann und wie sie enden wird. Die Positiv-Fälle (in Relation zu den durchgeführten Tests) liegen bei teilweise 35% und die Covid-Ampel steht fast im ganzen Land auf Rot. Restriktionen gibt es aktuell – abgesehen von dem, was über die Covid-Ampel geregelt wird, wie beispielsweise Anzahl der Menschen pro qm – keine, weil die Regierung keine Einigkeit über einen potenziellen Ausnahmezustand erreichen kann. Die Impfungen schreiten nur sehr langsam voran. Nach letztem Stand sind weniger als 10% geimpft. Im Vergleich zu den anderen Ländern Latein- oder auch „nur“ Zentralamerikas hat Guatemala gerade kein besonders gutes Ranking – weder in Bezug auf Impfungen, Todeszahlen und Fallzahlen.
So sicher sind Mittelamerika und Südamerika wirklich
September 5, 2023 @ 7:01 am
[…] Mehr Details zum Thema Sicherheit in Guatemala gibt Manuela in ihrem Artikel Leben und arbeiten in Guatemala: Sicherheit in Guatemala ist eine Illusion ↗. […]