Seltsame Dinge in Guatemala, die hier völlig normal sind – Teil 2
Seltsame Dinge in Guatemala, die hier völlig normal sind – Teil 2
Fünf Jahre habe ich in Guatemala gelebt und gearbeitet. Ein anderer Kontinent, ein anderes Land gehen einher mit einer anderen Kultur. Trotz meiner langjährigen Reiseerfahrungen und meinem Bewusstsein, dass es überall auf dieser Welt anders als in Deutschland zugeht, habe ich in Guatemala in den vergangenen Jahren Dinge gesehen und erlebt, die mich manchmal wirklich stutzig machten, die total überraschend oder einfach nur seltsam für mich waren. Bereits vor einiger Zeit habe ich dir über seltsame Dinge in Guatemala berichtet, heute gibt es eine Fortsetzung.
Ich habe weitere seltsame Dinge in Guatemala, die einem Auswärtigen vielleicht komplett seltsam erscheinen, die hier in Guatemala jedoch total normal sind.
#1 Freie Tage an einem Montag
In Guatemala gibt es ein Dekret, aus welchem Folgendes hervorgeht: Fällt ein Feiertag auf einen Sonntag oder einen Mittwoch, wird dieser montags vor- bzw. nachgeholt. Fällt der Feiertag nämlich auf einen Sonntag, hat niemand etwas davon. Fällt er auf einen Mittwoch, können Unternehmen kaum ein langes Wochenende daraus machen.
Da Guatemala jedoch daran interessiert ist, die eigene Wirtschaft und den Tourismus anzukurbeln, besteht die Möglichkeit bei einem Feiertag an einem Sonntag oder Mittwoch mit einem freien Montag ein langes Wochenende zu haben, bei welchem sich viele Guatemalteken dann auf Reisen begeben.
Diese Regelung traf beispielsweise im Jahr 2019 auf den 1. Mai (dieser lag mittwochs) und den Army Day am 30.06. (dieser lag sonntags) zu.
Überdies ist im Großen und Ganzen davon auszugehen, dass an einem Wahltag (sonntags) ebenfalls der Montag frei ist. Aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche Wähler aus weit entlegenen Dörfern kommen und größere Strecken hinter sich bringen müssen, um wählen gehen zu können, soll auf diese Weise eine möglichst hohe Wählerzahl garantiert werden.
#2 Gesetzlich geregeltes Alkoholverbot
Bleiben wir bei den Wahlen: Guatemala hat den Konsum von Alkohol während bzw. vor den Wahlen geregelt. Im sogenannten seco ley (wörtlich übersetzt: trockenes Gesetz) heißt es, dass am Tag vor der Wahl und am Wahltag selbst striktes Alkoholverbot herrscht. Weder in Supermärkten wird Alkohol verkauft noch in Kneipen ausgeschenkt, denn das wäre gesetzeswidrig.
Die Konsequenz aus einem solchen Gesetz? – Hamsterkäufe von Alkohol in der Woche vor den Wahlen, boomender Schwarzmarkt und 82 Verhaftungen am Wahltag selbst.
#3 Sicherheit im Grünen – Besuch von Fincas oder Parks
Da Guatemala Stadt und viele Dörfer und Gemeinden in Guatemala als unsicher gelten und du nirgendwo so wirklich viel Grün finden kannst, verbringen Guatemalteken gerne Zeit in Parks und auf Fincas. Diese Orte bieten dabei nicht nur viel Grün, sondern auch Abwechslung und Sicherheit.
Fincas in Guatemala sind dabei nicht ausschließlich mit Kaffee-Fincas gleichzusetzen. Wenngleich es einige Fincas in Guatemala gibt, die sich auf die Produktion von Kaffee spezialisiert haben, so gibt es auch Fincas, die der Öffentlichkeit lediglich ihr Grundstück zur Verfügung stellen, um dort wandern oder spazieren gehen, picknicken, Fahrradfahren oder einfach nur mit dem Hund in der Natur und ohne Leine Gassi gehen zu können.
Wenngleich der Eintritt zu einem Park bzw. der Besuch einer Finca zuallermeist Geld kostet, so bin ich für einen Spaziergang mit Matute in der Natur gerne gewillt, zwischen Q20 und Q50 (circa 2,30-6 Euro) zu bezahlen.
#4 Polizisten regeln den Verkehr und verschlimmern ihn
Dass Guatemala und allen voran Guatemala Stadt ein Verkehrsproblem hat, ist sicherlich kein Geheimnis. Dass um dem Verkehrsfluss Herr zu werden beispielsweise zu bestimmten Uhrzeiten Straßen einspurig und deren Gegenspur dreispurig geleitet wird, ist auch noch nachvollziehbar.
Zusätzlich werden auch Polizisten an Straßen gestellt, die den Verkehrsfluss regeln sollen, indem sie den Fluss immer wieder stoppen, Querverkehr einfahren lassen oder eventuell entstehende Staus aufgrund eines erhöhten Verkehrsaufkommens in einigen Kilometern Entfernung entgegenwirken sollen.
Da jedoch die Polizisten, die den Verkehr auf einer längeren Strecke regeln offensichtlich nicht in Kontakt miteinander stehen und sich bei den Zeiten, die sie den Verkehr auf ihrem Streckenabschnitt stoppen, nicht abstimmen, führt dies häufig zu noch schlimmeren Staus.
So kann es passieren, dass du an einem Samstag für die Strecke von Antigua nach Guatemala Stadt gut und gerne mal zwei Stunden (ohne Stau: 40 Minuten) brauchst. Nicht weil es einen Unfall auf der Strecke gab. Nicht weil sowieso schon viel Verkehr herrscht. Nicht wegen der Retornos, den U-Turn-Möglichkeiten, die häufig ebenfalls zu Staus führen. Nein, einzig und allein deswegen weil die Polizisten ihren jeweiligen Streckenabschnitt scheinbar gleichzeitig lahm legen, die Staus provozieren, diese wiederum keine Chance haben, sich aufzulösen, weil in wenigen Kilometern ja bereits der nächste Stau folgt.
#5 Dauer einer Autopanne in Guatemala
Wie lange dauert eine Autopanne in Deutschland?! – Grob würde ich schätzen: Zwischen 60 und 90 Minuten. Denn so lange braucht wahrscheinlich der ADAC, um an den Ort der Panne zu gelangen.
Wie lange dauert eine Autopanne in Guatemala?! – 15 Minuten! Denn hast du in Guatemala eine Autopanne auf der Straße, wird dir binnen weniger Sekunden geholfen.
Bei meiner letzten Autopanne fragte ich den Mann einer Familie, die es sich gerade auf einer Wiese am Straßenrand gemütlich gemacht hatte, ob er mir helfen könne. Binnen Sekunden pfiff er zwei weitere Kumpels herbei, die innerhalb weniger Minuten mein Auto sicherten, aufbockten, den kaputten Reifen abmontierten, das Ersatzrad herausnahmen, drauf montierten und den kaputten Reifen in meinem Auto verstauten.
ADAC in Guatemala?! – Völlig sinnlos, wo doch praktisch jeder vierte Guatemalteke Automechaniker ist. 😉
#6 Autofahren: Grundsätzlich auf der linken Spur
Autofahren in Guatemala wirkt für diejenigen, die sich erst oder nur für kurze Zeit im Land aufhalten sicherlich völlig chaotisch. Es wird gedrängelt. Es wird geschoben. Es wird gewunken. Es wird sich mit Ansagen ausgebremst. Es wird links überholt. Es wird rechts überholt. Und häufig fühle ich mich beim Autofahren in und außerhalb der Stadt wie beim Autoscooter.
Aber es gibt eine ganz einfache Regel, die du beherzigen solltest: Egal wie viele Spuren die Straße hat, fahr‘ links! Denn auf der rechten Spur halten die Chicken Busse, Shuttles und Vans, um Menschen aus- bzw. einsteigen zu lassen. Und da es keine Haltestellen gibt, kann ein solches Anhalten aus dem Nichts und ohne vorherige Ankündigung geschehen. Du tust also gut daran, die rechte Spur zu meiden.
Außer, ja außer, es kommt ein Retorno (ein U-Turn). Dieser nämlich befindet sich auf einer Spur, die vom linken Fahrstreifen abgeht. Bei erhöhtem Verkehrsaufkommen ist es daher zuallermeist der Fall, dass der Stau länger ist als die Retorno-Spur und es sich daher auf der linken Spur staut. Zu wissen also, wann Retornos kommen, ist Gold wert, um reibungslos weiterhin Autoscooter fahren zu können.
#7 Kontoauflösung nach 2 Monaten Inaktivität
Es ist nicht unbedingt leicht, in Guatemala ein Konto zu eröffnen. Prinzipiell brauchst du neben deinem Pass und diversem Papierkram auch noch ein bis zwei Empfehlungsschreiben von Guatemalteken, die bei der jeweiligen Bank bereits ein Konto haben. Da es jedoch viele unterschiedliche Banken gibt, sind die Kriterien für die Eröffnung eines Kontos auch teilweise sehr unterschiedlich.
Überraschend ist das nicht, denn auch in Deutschland setzt die Eröffnung eines Kontos mindestens voraus, dass du einen festen Wohnsitz dort hast.
Überraschend jedoch ist, dass Konten in Guatemala ohne vorherige Ankündigung nach circa 60 Tagen Inaktivität aufgelöst werden. Das Geld, das sich zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Konto befindet, ist dann übrigens auch Geschichte.
#8 Betriebliche Weihnachtsfeiern in Guatemala
Dass einzelne Betriebe oder Unternehmen im Dezember Weihnachtsfeiern für die Belegschaft feiern ist in Deutschland gang und gäbe. Im Unterschied zu Deutschland finden in Guatemala im Dezember jedoch zahllose sogenannte Convivios statt. Nicht nur das eigene Unternehmen lädt dabei zur betrieblichen Weihnachtsfeier ein, sondern auch (größere) Kunden, Vertragspartner oder Unternehmen, die etwas mit dem Unternehmen zu tun haben, in welchem du arbeitest.
Die Orte für die Convivios können hierbei völlig unterschiedlich sein – von Restaurant-Besuchen, über den Besuch von Freizeitparks oder Treffen in einem großen Anwesen enthält die Bandbreite alles. Eines haben all diese Convivios gemeinsam: Sie sind ausschweifend, es gibt jede Menge Alkohol, Kosten werden nicht gescheut.
Und wenn du echt Pech hast, kann es passieren, dass du vier Tage hintereinander – direkt nach der Arbeit oder das komplette Wochenende – ein Convivio besuchen musst, denn eines ist ebenfalls klar: Eine Nicht-Teilnahme an einem Convivio kommt nicht in Frage.
#9 Der paso misterioso – Aushebung der Schwerkraft?!
Außerhalb von Guatemala Stadt, im Departamento Suchitepequez gibt es einen Punkt, an welchem offensichtlich die Schwerkraft außer Kraft gesetzt ist. Wenn du dort eine mit Wasser gefüllte Flasche auf den Boden legst, rollt diese den Hügel hinauf. Stellst du dein Fahrzeug in den Leerlauf, rollt es einfach weiter. Ob optische Täuschung aufgrund der Umgebung oder tatsächliche Aushebung der Schwerkraft – das überlasse ich dir. Wenn du ein paar Minuten Zeit hast, ist es ein witziger Ort, über den du sicherlich stundenlang diskutieren kannst. 😉
#10 Guatemaltekische Hotdogs
Guatemala ist ein wahres Fast Food-Land. Neben den gängigen, größtenteils amerikanischen Fast Food-Franchise-Unternehmen, wie Mc Donald’s, Pollo Campero, Wendy’s, TGIF, Panda Express und ähnliche gibt es auch wahnsinnig viel Streetfood. Und während du in den USA nahezu an jeder Ecke Bagel, Pizza oder Hotdogs bekommst, hat Guatemala seinen ganz eigenen Hotdog, den Shuko. Auch der Shuko ist ein Würstchen in einem Brot, allerdings ist das Brot ein getoastetes Baguette. On top gibt es dann für gewöhnlich Mayonnaise, Guacamole, Ketchup, Chimichurri (ein Mix aus Petersilie, Zwiebeln, Knoblauch und Gewürzen), Senf und Weißkraut.
Als persönliches Food-Highlight habe ich den Shuko nicht erlebt, denn aufgrund der Fülle an Soßen habe ich weder Würstchen noch Baguette mehr geschmeckt. Und um ehrlich zu sein war mir hinterher kotzübel und hatte das Gefühl, dass ich löffelweise, fett Soßen in mich reingeschaufelt hatte (was ja auch stimmte). Aber erst wenn du ihn einmal probiert hast, kannst du mitreden! 🙂
#11 Das Monatsende und der 15. eines Monats
Ein Großteil der Guatemalteken bekommen ihr Gehalt auf zwei Zahlungen pro Monat ausbezahlt: Am Monatsende und am 15. eines jeden Monats. Die Konsequenz daraus ist, dass die Tage danach nicht nur die Geschäfte, Märkte, Restaurants, Cafés oder Strände voller sind, sondern auch die Straßen. Fällt der 15. oder das Monatsende dann vielleicht auch noch auf einen Freitag, dann solltest du dir keine großen Strecken an diesem Wochenende vornehmen, weil das halbe Land dann unterwegs sein wird.
Gerade der Verkehr in der Hauptstadt ist ein einziges Chaos – alle zwei Wochen wird dieses Chaos aber durch die Gehaltszahlungen noch größer.
Der sogenannte „Bono 14“ übrigens ist eine außergewöhnliche Arbeitsleistung in Guatemala, die von jedem Arbeitgeber an seinen Arbeitnehmer im Juli eines jeden Jahres bezahlt werden muss. Die Höhe des Bono 14 entspricht dabei dem durchschnittlichen Monatsgehalt. Es ist also sozusagen das 14. Monatsgehalt. Die Auswirkungen im Land?! – Neben steigendem Verkehr und erhöhtem Tourismus findest du ab Ende Mai/Anfang Juni überall Werbeplakate, die auf vergünstigte Waren aufgrund des Bono 14 aufmerksam machen. Brauchst du also eine neue Waschmaschine, dann warte die Aktionen des Bono 14 ab. Mit ein bisschen Glück kannst du einen richtig guten Schnapp machen.
#12 Autofahren in der Regenzeit
Autofahren an sich ist in Guatemala schon eine Herausforderung – die Straßen sind in einem wahnsinnig schlechten Zustand und gekennzeichnet durch tiefe Schlaglöcher, zerbrochene Betonplatten und auch Sinkholes aufgrund einer mangelhaften Kanalisation geschehen immer wieder. Zu einer richtigen Herausforderung wird es aber erst, wenn es noch in Strömem schüttet und die Straßen vom einen auf den anderen Moment plötzlich 20 bis 50cm (oder mehr) unter Wasser stehen.
Häufig kommt der Verkehr dann binnen Minuten zum Erliegen und es bilden sich kilometerlange Staus aufgrund von überschwemmten Straßen, Erdrutschen, Zusammenbrüchen von Bergwänden oder einfach nur mangelhafter Fahrkompetenz.
Kennst du weitere Dinge, die im Ausland anders sind als in Deutschland und daher geradezu seltsam erscheinen? – Erzähle mir von diesen in den Kommentaren.
Blogbeiträge über die Stadt Antigua
Sightseeing in Antigua – Besondere Orte in Antigua – Günstige Restaurants – 4 tolle Orte zum Frühstücken – Kunstausstellung in Antigua – Dörfer/Umland von Antigua – El Tenedor del Cerro Antigua (Bildergalerie)
Blogbeiträge über Fincas und Parks rund um Guatemala Stadt und Antigua
Altamira – Earth Lodge – Hobbitenango – Finca Filadelfia – Parks in der Gegend von Antigua – Fincas um Antigua – Jardines de Provenza (Lavendelblumenfelder) – Finca El Pilar und El Cucuruchu – Huerto Chikach
Übersicht über die Departamentos in Guatemala
Alta Verapaz (mit Semuc Champey) – Baja Verapaz – Chimaltenango – Chiquimula – El Progreso – Escuintla – Guatemala (mit Guatemala Stadt) – Huehuetenango – Izabal – Jalapa – Jutiapa – Peten (mit Flores) – Quetzaltenango – Quiché – Retalhuleu – Sacatepéquez (mit Antigua) – San Marcos – Santa Rosa – Solola (Lago Atitlan) – Suchitepequez – Totonicapan – Zacapa
Mama
November 27, 2022 @ 6:13 am
Du hast die Tumulos vergessen. Ein Highlight der besonderen Art bei meinem Besuch bei Dir in Guatemala.
Manu
November 29, 2022 @ 12:23 am
Ohhh, stimmt! Ich erinnere mich noch, wie wir damals volles Rohr auf der Landstraße unterwegs waren, dann eine „Tumulo!!!“ brüllte und wir ne Vollbremsung hinlegten… Mehr als! 😀