Mein Heimflug nach vier Wochen in Indien
Untertitel:
Oder: Warum mich die Security aus dem Flugzeug in Mumbai holen musste
Über das Heimkommen am Ende meiner Reisen
Woran es liegt, dass sich meine Heimkehr immer spannend gestaltet und bis zum letzten Moment unklar ist, ob ich überhaupt meine Flüge antreten kann, weiß ich nicht.
Ich stand am Flughafen in Uruquay und erfuhr, dass mein Flieger erst 13 Stunden später gehen würde, weil er in Europa nicht einmal gestartet war. Ich habe Stunden am türkischen Flughafen verbracht, weil ich meinen Anschluss nicht bekommen hatte und auf einen anderen Flug gebucht wurde. Ich habe in Berlin quer durch den Flughafen gebrüllt, um überhaupt eine Chance auf meinen Heimflug nach Frankfurt zu haben. Ich saß in Saigon fest, ohne zu wissen, wann es weitergehen würde. Rannte in Madrid so schnell beim Durchqueren zweier Terminals, dass man hätte meinen können, es ginge um mein Leben und dass selbst die Security ein Einsehen hatte und mich ohne einen ausgiebigen Check weiter laufen ließ…
Ich könnte endlos so weitermachen. Denn mitgemacht habe ich in dieser Hinsicht wahrscheinlich wohl schon alles. Überraschend kommt so etwas nicht mehr. Die Frage ist nicht mehr, ob etwas geschieht. Die Frage ist nur noch, in welchem Ausmaß etwas geschieht.
Transfer zum Flughafen Goa
Es ist 16:30 Uhr als ich mich von Glena verabschiede und mich Papa Goa die zwanzig Minuten an den Flughafen fährt. Kurz nach 17 Uhr stehe ich vor dem Check-In Schalter von Jet Airways. Mein Rucksack ist bereits durchleuchtet worden, trägt brav den Sicherheitsaufkleber. Ich liege perfekt in der Zeit.
Mein heutiger Plan: einfach nur heim!
Der Flugplan für die kommenden Stunden sieht folgendermaßen aus:
18:35-19:50: Flug von Goa nach Mumbai (Dauer: 1 Stunde)
20:55-23:10: Flug von Mumbai nach Delhi (Dauer: 2 Stunden, 15 Minuten)
02:45-07:30: Flug von Delhi nach Frankfurt (Dauer: 7,5 Stunden)
Perfekt getimt und wie immer alles super aufeinander abgestimmt. Nach meinem Plan. Die Rechnung habe ich jedoch ohne Jet Airways gemacht.
Der tatsächliche Plan: Heim? – Vielleicht auch nicht!
Am Check-In Schalter erklärt mir die Dame, dass meine beiden Flüge (Goa-Mumbai und Mumbai-Delhi) zwar in Kombination gebucht worden seien, dass der Flug Goa-Mumbai jedoch bereits jetzt 45 Minuten Verspätung hätte und ich meinen Anschlussflug nach Delhi mit großer, sehr großer Wahrscheinlichkeit heute nicht bekommen würde.
Ich mache der Dame klar, dass ich unter anderen Bedingungen damit kein Problem hätte, dass ich jedoch heute Nacht, spätestens um 0 Uhr am Flughafen in Delhi sein müsse, weil ich meinen Heimflug nach Deutschland antreten würde.
Die Dame wird blass. „Wait!“ Sie nimmt ihr Telefon in die Hand. Wählt eine Nummer. Spricht in wahnsinnig schneller Geschwindigkeit. Ich verstehe natürlich kein Wort außer „Germany“, „Delhi“ und „delay“.
Sie wendet sich mir wieder zu. Es würde heute kein anderer Flug mit Jet Airways von Mumbai nach Delhi fliegen. Würde ich den Anschluss nicht bekommen, müsste ich die Nacht im Mumbai verbringen. Ich sei die einzige mit dieser Flugkombination und daher würde Mumbai-Delhi auch nicht auf mich warten. Ich frage sie, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass eine weitere Verspätung zur bereits vorhandenen Verspätung hinzukommen könne. „Let’s just hope that there is no rain!“ entgegnet sie mir. Mein weiteres Vorgehen bestehe nun darin, dem Bordpersonal Bescheid zu geben, dass sie bereits während des Fluges von Goa nach Mumbai alles in die Wege leiten könnten. Was das genau sei, würde ich kurz vor Ankunft in Mumbai erfahren.
Ich begebe mich schließlich durch die security, warne meine Mum schon einmal vor, dass das heute chaotisch werden wird und hole mir Kaffee – die Nacht wird lang und hektisch. Würde ich eine Chance auf den Anschluss haben, müsste alles schnell gehen. Würde ich den Anschluss nicht bekommen, müsste ich heute Nacht meine Heimreise in ein paar Tagen organisieren. Im Geiste gehe ich die Möglichkeiten durch. Mumbai. Hatte ich ja schon auf dem Weg nach Goa noch nicht gesehen.
Was wäre das Schlimmste, das passieren konnte?! – Ich müsste einen komplett neuen Heimflug buchen und käme mindestens zwei Tage später nach Hause. Why not? Solange meine Kreditkarte funktioniert und ich ein Bett zum Schlafen habe.
19:20 Uhr: Boarding, Goa Flughafen
Pünktlich – pünktlich entsprechend der Verspätung – beginnt das Boarding. Ich rechne: 19:20 Uhr einsteigen, 19:45 Uhr Abflug, 20:45 Uhr Ankunft in Mumbai. Mein Abflug in Delhi ist um 20:55 Uhr. Könnte klappen. Oder auch nicht. Eines ist mir mehr als bewusst: Es hängt alles von der Kompetenz des Bodenpersonals in Mumbai ab.
Ich gebe dem Bordpersonal beim Boarding Bescheid. Der Steward am Eingang bittet mich, mit dem Steward hinten Kontakt aufzunehmen. Mein Sitzplatz: 40 C – allerletzte Reihe, Gangplatz. Das war das einzige, das die Dame des Check-In Schalters veranlassen konnte. Ich spreche mit dem anderen Steward, erkläre die Situation. Er schaut mich entsetzt an, greift direkt zum Telefonhörer und ruft den Piloten an. Wortwechsel. Stille. Wortwechsel. Er legt auf. „I guess, you will see Mumbai airport only from the outside.“ Sie würden alles Menschenmögliche unternehmen, dass ich meinen Anschluss bekäme.
Auf den beiden Plätzen neben mir sitzen zwei Sikh. Es dauert keine fünf Minuten und wir verlieren uns in einem Gespräch über meine Reise. Die Zeit vergeht wortwörtlich wie im Flug. Und als wir landen, geht alles ganz schnell. Rollfeld. Stillstand. Der Steward tippt mich an: „Come!“ Vor mir steht ein Security Beamter. Die hintere Tür des Flugzeuges ist bereits geöffnet. Ich sehe, wie die Treppe heranfährt. „Run!“ Ich renne mit ihm die Treppe hinunter.
Rein in den Bus, der direkt neben dem Flugzeug steht. Tür zu. Los. Im Bus machen wir einen kurzen Check der Bordkarte. Für weitere Checks ist keine Zeit mehr. Wir erreichen den Flieger. Bustür auf. Rollfeld. Treppe. Hoch. Es ist 20:52 Uhr als ich mich auf meinen Platz setze. Schnell schreibe ich meiner Mum eine WhatsApp-Nachricht, dass ich im Anschlussflug sitze. Dann schalte ich das Handy in den Flugmodus.
Und eigentlich könnte die Geschichte hier und jetzt beendet sein. Könnte. Eigentlich.
20:55 Uhr: Flugzeug, Mumbai Flughafen
Es tut sich nichts.
21:15 Uhr: Flugzeug, Mumbai Flughafen
Es tut sich immer noch nichts.
21:25 Uhr: Flugzeug, Mumbai Flughafen
Nichts! Ich rechne erneut. Da ich in Delhi am domestic terminal ankommen werde und zum international terminal muss, muss ich meinen Rucksack an der baggage claim holen, den Flughafen verlassen, an anderer Stelle den Flughafen betreten: Durchleuchten des Rucksacks, erneuter Check-In bei Lufthansa, Security Control, Immigration. Das Boarding bei Lufthansa ist für 02:20 Uhr angesetzt. Ich sollte spätestens um 00:15 Uhr in Delhi am Gepäckband stehen.
Um das zu schaffen, müssten wir hier spätestens um 22 Uhr abfliegen. Gut. Lufthansa wird nicht ohne mich fliegen. Rede ich mir ein.
21:35 Uhr: Flugzeug, Mumbai Flughafen
Nichts.
21:37 Uhr: Immer noch Flugzeug, Mumbai Flughafen
Ich suche das Bordpersonal auf und schildere meine Situation.
21:40 Uhr: Und immer noch Flugzeug, Mumbai Flughafen
Eine Durchsage des Piloten: Eine Person sei nicht in der Lage mitzufliegen. Das Gepäck dieser Person müsse aus dem Flugzeug geholt werden. Dann stünde dem Start nichts mehr im Wege.
Ganz ursprünglich hatte mich auf einen chilligen Aufenthalt von drei Stunden Transit in Delhi eingestellt: Kaffee, Futtern, ein bisschen einkaufen, ab in den Flieger nach Deutschland und schlafen. Mir wird klar: Das wird heute definitiv nichts. Ich werde in Delhi erneut rennen müssen.
22:03 Uhr: Rollfeld, Mumbai Flughafen
Wir starten! Hallelujah!
00:35 Uhr: baggage claim, Delhi Flughafen
Ich stehe am Gepäckband in Delhi und warte auf meinen Rucksack. Es dauert. Und dauert. Und dauert. Woran liegt es, dass man in solchen Situationen immer das Glück hat, dass das eigene Gepäckstück scheinbar das letzte ist?
00:50 Uhr: immer noch baggage claim, Delhi Flughafen
Mein Rucksack! (Zur Erinnerung: 00:30 Uhr war meine persönliche Deadline, um nicht komplett in Stress zu verfallen.) Uuuund los! Ich renne zum Ausgang, rufe dem Security Beamten beim Laufen entgegen, in welcher Richtung das international terminal läge. „Left! All the way straight!“ All the way. Verdammt… Delhi Flughafen ist nun wahrlich nicht klein. Screening des Gepäcks am Eingang zum Flughafen.
01:05 Uhr: Check-In Schalter, Delhi Flughafen
Check-In Lufthansa. Ich liege gut in der Zeit. Denke ich. Vorsichtig frage ich die Dame des Check-In Schalters: „How long will security and immigration take?“ Die Antwort: „More than an hour. You should go NOW. Be quick!“ Das könnte eine zeitliche Punktlandung werden.
01:10 Uhr: Security Check, Delhi Flughafen
Lautstark drängle ich mich vor. Ein Hoch auf die getrennten Schlangen für Männer und Frauen. In der Männer-Schlange stehen locker drei Mal so viele Menschen an. Die Security Dame in der Kabine realisiert meine Eile, schaut auf meine Bordkarte, haut ihren Stempel darauf, scannt nicht einmal die Hälfte meines Körpers, organisiert mir netterweise sogar noch mein Handgepäck und lässt mich direkt weiter.
01:20 Uhr: Immigration, Delhi Flughafen
Wenn’s mal wieder länger dauert. Ich will doch nur einen Ausreise-Stempel!
01:30 Uhr: immer noch Immigration, Delhi Flughafen
Okay, ich mache jetzt wieder eine auf die Irre! Los geht’s!
01:50 Uhr: Gate-Bereich, Delhi Flughafen
Wie ist das denn nun passiert?! Security und Immigration innerhalb von 40 Minuten?! 30 Minuten bis zum nächsten Boarding?!
Da ich nun bei all der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit völlig planlos bin, was ich damit anstellen soll, steuere ich den erstbesten Duty Free-Laden an und gehe einkaufen. Tee. Schokolade. Magnete. Zigaretten. Dann verziehe mich erst einmal in die nächste smoking lounge. Danach mache ich mir ein Bild von der Situation am Gate, wo der A380 gleich mit dem Boarding beginnen soll.
Als ich dort ankomme, sagt Lufthansa gerade eine Verspätung von zwanzig Minuten durch. Ich muss laut auflachen… und werde von den Menschen, die sich bereits vor dem Gate aufgereiht haben, völlig verständnislos angeschaut.
Die verbleibende Zeit verbringe ich im Starbucks. Diesen hatte ich die vergangenen vier Wochen schließlich kein einziges Mal beehrt. Und langsam merke ich, wie sehr mir der Tag in den Knochen hängt und wie sehr mir der Sinn nach ein paar Stunden Schlaf steht…
Und Dank des Augenwischerei-Konzeptes der Lufthansa bei den Flugzeiten lande ich überpünktlich um 7:15 Uhr in Frankfurt, erreiche das baggage claim um 07:30 Uhr.
Und weil sich auch um 8:15 Uhr das Band immer noch nicht bewegt hat und ich nun seit gut 18 Stunden unterwegs bin, denke ich bei mir: Scheiß auf den Rucksack! Ich steuere den Schalter von LH an und gebe den Damen zu verstehen, dass ich nicht länger warten werde. Einen Anruf später teilt mir die nette Dame mit, dass sie Verständnis habe und der Fraport Kurierdienst mir meinen Rucksack im Laufe des Tages nach Hause liefern würde.
Ich bin Zuhause! Deutschland hat mich wieder! Meine Mum hat mich wieder!
Indien Überblick:
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