Wagah! Wagah! Wagah! – Party auf Indisch an der Indian Border
Gehst du durch das Stadtzentrum Amritsars, wird dir eines nicht entgehen und das sind die zahlreichen Menschen, die dort herumlaufen und „Wagah! Wagah! Wagah!“ rufen. In der Geschwindigkeit, in der sie es sagen, hast du sicherlich Mühe, überhaupt zu verstehen, was sie da sagen und was sie eigentlich wollen. Einen von diesen zig Wagah-Wagah-Schreiern habe ich jedoch gesucht, denn ich möchte während meiner kurzen Zeit, die mir in Amritsar zur Verfügung steht, ebenfalls „Wagah!“ machen und benötige schnellstmöglich ein paar Informationen.
„Wagah! Wagah! Wagah!“
Was wie Shakiras „Waka Waka“ auf LSD oder ein Schlachtruf klingt, ist jedoch nichts anderes als der Grenzübergang von Indien nach Pakistan: Die Wagah Border. Er befindet sich etwa 30 Kilometer von Amritsar. Die Straße, die dorthin führt, verbindet die beiden Städte Amritsar und Lahore (Pakistan). Bis 1999 war dies der einzige Grenzübergang zwischen den beiden Ländern.
Infos zum „Wagah!“
An meinem ersten Tag in Amritsar spricht mich ein nett aussehender Sikh auf der Straße mit „Wagah! Wagah! Wagah!“ an. Ich schaue auf die Bank, die neben ihm steht. Er lacht und sagt: „Come, sit!“ Zusammen setzen wir uns auf die Bank und ich frage ihn nach Informationen. Kurzgefasst: Wagah findet täglich statt, Treffpunkt ist um 14 Uhr vor dem Goldenen Tempel. Von hier aus werden die Menschen auf Taxis und Tuk Tuks verteilt, so dass mit einer Ankunft um 15:30 Uhr an der Grenze gerechnet werden kann. Die Kosten belaufen sich auf 150 Rupies (1,20 Euro) – 100 jetzt, 50 bei erneuter Ankunft in Amritsar. Ich nicke. Klingt gut, denke ich. Ein Spottpreis. Wo ist der Haken? Ich drücke dem Sikh das Geld in die Hand und auf einen Fresszettel schreibt er den Betrag meiner Anzahlung, die Uhrzeit des Treffpunktes, seinen Namen, seine Handynummer und händigt mir der Zettel aus. Zur Sicherheit wähle ich seine Handynummer an, um zu überprüfen, dass er mir keinen Blödsinn auf den Zettel geschrieben hat. Sie funktioniert. Ob es sich bei den anderen Dingen, die er auf den Zettel geschrieben hat, um Blödsinn handelt, werde ich erst am kommenden Tag herausfinden. Wir verabschieden uns voneinander nicht ohne dass er mir gegenüber formuliert: „Call me if you need help tomorrow.“
Die Wagah Border-Ceremony
Was hat es nun also mit dem Grenzübergang und dem „Wagah!“ auf sich, mit dem die hier so vehement werben? – Es ist eine Militärparade von Indien und Pakistan, die jeden (!) Abend zwischen den Grenzsoldaten abgehalten wird. Was früher sicherlich noch die Demonstration von Kampfbereitschaft veranschaulichen sollte – die beiden Länder hatten/haben schließlich ein klitzekleines bisschen ein paar Problemchen miteinander – ist heute aber mehr Show als alles andere.
Bei meiner Auseinandersetzung mit dieser Parade habe ich sogar davon gelesen, dass eigens für die Show bestimmte Soldaten ausgebildet werden, deren einzige Aufgabe darin besteht, auf der Parade den goose-step und das Kriegsgeschrei zu übernehmen.
Goose-steps. Nicht nur die erscheinen mir irgendwie völlig übertrieben. Das ganze allabendliche Ritual erscheint mir völlig absurd und erinnert eher an Monty Python oder die Hühner bei Ice Age 1. Du weißt schon. Die, die wie Soldaten durch die Gegend rennen und versuchen, sich mit drei Melonen auf die Eiszeit vorzubereiten. Aber gut. Lassen wir das. Die Menschen, die diese Parade besuchen, haben sichtlich Spaß.
Transfer nach „Wagah! Wagah! Wagah!“
Um Punkt 14 Uhr (deutsche Pünktlichkeit? Lehrerkrankheit?) stehe ich am vereinbarten Treffpunkt. Von meinem Sikh von gestern keine Spur. Ich warte die obligatorischen indischen ten minutes ab. Ein anderer „Kollege“ spricht mich an. Ich zeige ihm den Fresszettel. Wissend nickt er, sagt: „Ohh…yes. Good. Good. Wait here! Just ten minutes.“ Anmerkung an dieser Stelle: Jedes Mal, wenn ein Inder zu mir „ten minutes“ sagt, muss ich mir mittlerweile verkneifen, nicht sofort in schallendes Gelächter auszubrechen. Dieser hält Wort. Schließlich beginnt die Fahrt, ein weiteres Beispiel für incredible India.
Als ordentliche, gute Deutsche hätte ich die Option gehabt, private transfer zu buchen. Was das gekostet hätte – keine Ahnung. Aber ich hätte sicherlich nicht so viel Spaß gehabt wie beim public transfer.
Zusammengepfercht in einen SUV, in welchen zehn Menschen (inkl. Fahrer) hineinpassen würden – 3 vorne, 3 in der Mitte, vier hinten – sitzen binnen kürzester Zeit 15 Menschen. Die Klimaanlage des SUV hat sicherlich vor einigen Jahren einmal funktioniert. Nun hängt, damit hinter dem Fahrer die Menschen nicht den Hitzetod sterben, ein Ventilator mit Kabeln befestigt an der Autotür. Funktionieren tut der Ventilator nur dann, wenn man die Rotatorenblätter mit einem Stift oder Schraubendreher anstößt.
Indische Musik darf bei der lustigen Fahrt natürlich ebenfalls nicht fehlen. Und laut muss sie sein. Dass der Wagen nicht vollgetankt ist und der Ventilator nach nur wenigen Minuten ausfällt, versteht sich von selbst.
Im Wagen ist es so heiß wie draußen. Im Unterschied zu draußen kleben meine beiden Nebensitzer allerdings auf mir. Privacy in Indien?! – Wird völlig überbewertet! Ich spüre, wie mein Schweiß von den Kniekehlen meinen Waden entlang hinunterläuft. Ich bin schon völlig durchgeschwitzt, bevor der Tag überhaupt richtig begonnen hat. Mein Nebensitzer merkt davon nichts. Der pennt innerhalb der ersten Fahrminuten. Das Mädchen, das links von mir sitzt, verriegelt vorsorglich die Autotür, damit diese nicht plötzlich während der Fahrt von selbst aufgeht.
Die Wagah Ceremony
Auf beiden Seiten der Grenze wird das Schauspiel besucht. Für die Inder ist es das happening schlechthin. Es wird getanzt. Es wird gebrüllt. Es gibt goose-steps zu sehen. Die Soldaten sind wortwörtlich greifbar und machen Selfies mit den Einheimischen. Sie scheinen bekannt wie Filmstars zu sein.
Ich interpretiere die ganze Parade ein bisschen als Wechselspiel zwischen zwischenzeitlich nicht mehr ganz ernst gemeinten Manövern, die einerseits ihre Rivalität, andererseits jedoch auch in gewisser Weise Verbundenheit und Kooperation verdeutlichen. Denn wenn die Sonne untergeht, öffnen sich auf beiden Seiten die Eisentore. Perfekt koordiniert und aufeinander abgestimmt werden die Flaggen der beiden Länder heruntergelassen und gefaltet. Die Grenzsoldaten schütteln sich die Hände und die Grenztore werden schließlich endgültig für diesen Tag geschlossen.
Die Zuschauer verfolgen die 45-minütige Parade völlig euphorisch. Sie klatschen. Sie springen von ihren Sitzen auf. Sie rufen “Jai Hind!” oder “Pakistan Zindabad!” Sie tanzen. Die Stimmung könnte nicht ausgelassener sein. Und weil ich wenig Lust habe, zwischen den wenigen anwesenden foreignern zu sitzen, etwas Action brauche, stehe ich irgendwann auf und gehe runter zu den tanzenden Mädels…
Good to know zum Abschluss und ein paar Anmerkungen:
Trotz der unbequemen Situation im SUV würde ich die Hinfahrt wieder genauso machen. Es war einfach zu doof und das Erlebnis war definitiv die Strapazen wert. Mit dem Sightseeing Bus – ich habe zwei Spanier getroffen und mich mit diesen über ihren Transfer unterhalten – scheint es eine Spur bequemer zu sein, jedoch gibt es in diesem ebenfalls keine Klimaanlage und auch erheblichen Platzmangel.
Auch meine Rückfahrt würde ich wieder genauso machen, denn zwischen 400 und 500 Rupies für eine 45-minütige Tuk Tuk-Fahrt sind durchaus akzeptabel. Ein private taxi beim prepaid Taxistand (ich habe hinterher gefragt) hätte 800 Rupies gekostet.
Es ist wenig sinnvoll, bereits um 15:30 Uhr dort aufzuschlagen, denn die Zeremonie beginnt erst nach 17 Uhr. Dass die locals um diese Uhrzeit bereits anwesend sind, ist durchaus nachvollziehbar, denn als unser Auto dort eintrifft, steht vor der Grenze bereits eine mega lange Schlange mit hunderten von Menschen. Aber, sei‘ unbesorgt, als foreigner musst du hier nicht anstehen, sondern genießt deinen foreigner-Status, indem du einen anderen Durchgang nehmen kannst. Solltest du das nicht wissen, helfen dir die anwesenden locals, die geduldig in ihrer Schlange stehen und teilen dir mit, dass du nach vorne durchgehen sollst.
Auch erhältst du eine eigene Spur, auf welcher du zum Grenzbereich laufen kannst, so dass du dir den Laufweg nicht mit Indern teilen musst. Und – natürlich – einen extra Sitzbereich. Nämlich ganz vorne am Grenztor. Zwar ganz oben, aber an solchen Kleinigkeiten wollen wir uns ja nun nicht aufhängen.
Überall hängen übrigens Schilder, dass die Mitnahme von Taschen (auch kleinen Umhängetaschen) und Feuerzeugen nicht gestattet ist. Von beidem wusste ich vorab. Brav habe ich meine Kippen und mein Feuerzeug im Hotel gelassen – rauchen solltest du in Amritsar sowieso nicht auf der Straße, insofern kein Problem – aber da ich wusste, dass ich ein wenig früher abhauen, mir ein Tuk Tuk nehmen und nicht mit dem SUV zurückfahren würde, war ich alternativlos, was die Tasche anging. Ich weiß nicht, ob ich einfach nur Glück hatte oder nicht, aber die nette Security-Dame hat meine Tasche zwar genau unter die Lupe genommen, aber kein Wort darüber verloren, dass sie verboten sei.
Und, zuguterletzt, vergiss‘ auf keinen Fall deinen Ausweis. Du wirst mehrfach kontrolliert.
Und weil es auf YouTube genügend Videos zu diesem Spektakel gibt, die du dir anschauen kannst, wenn du wissen möchtest, wie es dort abgeht, verzichte ich darauf, meines hier rein zu stellen. 😉
Indien Überblick:
Die Würfel sind gefallen: Indien it is – Reiseroute Indien – Rucksack packen – Delhi Ankunft – Delhi Sightseeing – Mandawa – Bikaner – Jaisalmer – Jodhpur – Ranakpur – Udaipur – Pushkar – Jaipur: Stadt & Affentempel – Fatehpur Sikri – Agra & Taj Mahal – Haridwar & Rishikesh – Amritsar: Stadt / Goldener Tempel / Wagah Border – Varanasi: Stadt / Sarnath / Ganges River Tour – Goa – Auf Indiens Straßen – How to survive incredible India – Indien: Der Süden
Mama
August 23, 2017 @ 1:40 pm
Hast fleißig Wagah Wagah mitgemacht. War ja klar, dass Du da mitten rein musst ?
Manu
August 23, 2017 @ 8:32 pm
Na, auf der Bank sitzen kann jeder ??