Ganges River Tour – meine Fahrt auf dem tödlichsten Fluss der Welt
Vorab-Anmerkung: Meine zwei Artikel über Varanasi – der heutige und der kommende – sind jenseits des 0815-Tourismus. Sie stehen in vielerlei Hinsicht im Kontrast zu den zahlreichen Heititei-Blogbeiträgen, die ich sonst so verfasse und beschreiben nicht unbedingt die schönen Aspekte eines Landes, sondern setzen sich u.a. auch mit einem Tabu-Thema auseinander, dem Tod. Wenn dir das ein zu heftiges Thema ist – ich könnte es durchaus verstehen – , rate ich dir, sie einfach zu überspringen.
Der Ganges
Über 2600 Kilometer ist der Ganges lang, der irgendwo in den Höhen des Himalaya entspringt und schließlich bis zum Indischen Ozean fließt. Damit zählt er zum zweitgrößten Fluss Indiens. Zahlreiche Nebenflüsse treten auf seinem Weg gen Süden (Oder Osten? Oder Südosten? – Runter!) ein. Durch zahlreiche Großstädte fließt er hindurch, wie beispielsweise Kanpur mit seiner riesigen Lederindustrie und eben auch Varanasi. Der Ganges ist also wirklich lang. Verdammt lang. Und auf keinen Fall mit dem Rhein oder dem Neckar mit seinen süßen 370 Kilometern vergleichbar. Nicht nur wegen seiner Länge nicht. Aber dazu komme ich gleich.
Anfang und Ende des Ganges
Am Ursprung des Ganges und Ganges-Delta soll sich noch eine richtige Wildnis befinden. Eine Wildnis, die mit ihrer Tier- und Pflanzenvielfalt kaum zu übertreffen ist und bei der auch die Serengeti in Afrika vor Neid erblassen würde. Elefanten sollen dort anzutreffen sein. Tiger, die durch das meterhohe Gras jagen. Krokodile, die dort problemlos auf Futtersuche gehen können, weil sie immer fündig werden. Nashörner. Delfine. Und Haie. Nicht am Fuße des Himalaya, sondern am riesigen Mündungsdelta zum Indischen Ozean.
Die erste größere, indische Stadt, die der Ganges zu diesem Delta passiert, ist Rishikesh – du erinnerst dich, ich hatte dir vor einigen Tagen davon erzählt.
Die Bedeutung des Ganges im Hinduismus
Das Wasser des Ganges wird von den Einheimischen nicht nur dazu verwendet, ihre Kleidung zu waschen, sondern auch, um sich darin zu baden. Denn das Wasser dieses Flusses, so glauben die Hindus, reinigt sie von ihren Sünden. Und wer in der Stadt Varanasi stirbt und sich nach seinem Tod dem Ganges übergibt, geht in die Ewigkeit ein und unterbricht den Kreislauf der Wiedergeburt.
Nicht grundlos wird der Fluss daher auch „Mother Ganga“ genannt. Leben und sterben in der Millionenstadt, die zu den heiligsten Städten Indiens überhaupt zählt.
Kilometerlang erstrecken sich daher auch die Ghats in dieser Stadt. Pushkar mit seinen fünfzig Ghats um den Pushkar Lake erscheint im Gegensatz zu Varanasi mit seinen über einhundert Ghats geradezu nichtig. Um dir einen Überblick über die zahlreichen Ghats zu verschaffen, bietet sich eine Ganga River Tour an.
Meine Ganges River Tour
Nachdem ich am Nachmittag aus Sarnath zurückgekehrt bin, mache ich mich daher direkt auf zu einem der Ghats, an denen Bootstouren angeboten werden. Ich werde auch sofort fündig und nach kurzen Verhandlungen über Dauer und Preis der Fahrt auf dem Motorboot – bei der Strömung während der Monsunzeit kommt nur ein Motorboot in Frage – kann die Fahrt innerhalb weniger Minuten beginnen.
Die 900 Rupies (12 Euro) für eineinhalb Stunden auf einem Motorboot, das ich sozusagen für mich allein habe und bei denen auch die 20% commission für Sunil enthalten ist (sympathisch, dass er ganz offen seine commission kommuniziert hat), sind geschenkt.
Sozusagen alleine deswegen, weil Sunil sich spontan dazu entschließt, an der sonnig-sommerlichen Bootsfahrt, die Entspannung pur verspricht, teilzunehmen, damit ich nicht mit dem Bootsfahrer alleine auf dem Boot bleiben muss und noch jemanden zum Schnacken habe (ebenfalls sympathisch – was so ein gemeinsamer Tee und eine lange Tuk Tuk-Fahrt doch alles bewirken können 🙂 ).
Auf dem Wasser kann ich während meiner Bootstour nicht nur ordentlich an meiner Körperbräune arbeiten, sondern auch erste Eindrücke von der Stadt erhalten, von der ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel gesehen habe – die Besichtigung der Stadt steht erst für den kommenden Tag auf dem Plan.
Zunächst geht die sonnig-sommerliche Bootsfahrt flussaufwärts. Ich sehe spielende Kinder, die im Wasser herumtoben. Büffel, die der Mittagshitze dadurch entfliehen, dass sie nahezu vollständig in den Fluss eintauchen. Fischer, die im trüben Wasser fischen. Oder zumindest Stöcke in das Wasser halten und so aussehen als würden sie fischen.
Wieder Kinder, die sich gegenseitig mit Wasser vollspritzen und sich in der Strömung von der Nachmittagshitze abkühlen. Menschen an den Ghats, die ihre Kleidung waschen oder auf den Stufen der Ghats irgendwelche Dinge verkaufen, die ich aus der Entfernung nicht erkennen kann.
Zwei große Türme, die mitten im Wasser stehen und mich ein wenig an eine neuzeitliche Burg erinnern, die jedoch die Filteranlage des Flusswassers sind.
Zahlreiche Boote sind an den unterschiedlichsten Ghats festgemacht. Sie warten darauf, ihrem Dasein einen Sinn zu verleihen und Menschen über das Wasser zu transportieren. Auf dem Fluss sind wir jedoch auf unserem Boot an diesem Nachmittag alleine.
Es herrscht eine absolute Stille auf dem Wasser. Fernab jeglicher Kühe, die mir immer wieder den Weg versperren. Fernab jeglicher Kuhscheiße, die mich beim Laufen durch die Straßen aussehen lässt, als wäre ich bereits am Vormittag völlig betrunken. Fernab jeglichen Gehupes, das mir hier noch schlimmer als sonst irgendwo in Indien erscheint (sogar meine Ohropax haben in der vergangenen Nacht gehörig versagt!). Fernab auch jeglichen Gebrülls, das mich heute Nacht ebenfalls vom Schlafen abgehalten hatte, denn ein gellender Schrei, von dem ich den Eindruck hatte, dass er direkt neben meinem Ohr ausgestoßen wurde, ließ mich heute Nacht ordentlich erschaudern.
Das einzige, das ich auf dem Fluss vernehme, ist das Gequake des Bootsmenschen hinter mir, der mir wie ein Roboter unablässig die Namen des Ghats aufsagt, vor dem wir uns gerade befinden. Als könnte ich das nicht selbst lesen. Ich quittiere sein Gequake mit einem netten Nicken dem Bootsmenschen gegenüber und einem frechen Grinsen gegenüber Sunil, der – ebenfalls grinsend – einfach mit den Augen rollt. Dass er mich als ein wenig anders wahrnimmt als die Menschen, mit denen er für gewöhnlich zu tun hat, hat er mir bereits beim Tee in Sarnath offenbart.
Und dann, nach all den Sympathien des Tages, bei all der Entspannung, für die diese Bootsfahrt sorgt, bei den wundervollen Sonnenstrahlen, die meinen Körper erwärmen und mir ein wohlig warmes Gefühl von Geborgenheit vermitteln, bei all der Ruhe, die ich gerade genieße, sehe ich am Ufer plötzlich Rauch aufsteigen.
Völlig unvermittelt drehe ich mich zu Sunil um: „Is this a burning ghat?“ Er nickt schweigend. Die Idylle, die Entspannung, die Ruhe sind von der einen auf die andere Sekunde verflogen.
Burning Ghats in Varanasi
Als wir uns auf dem Boot dem Ghat nähern, sehe ich Feuer, kleinere Rauchschwaden, ein paar Meter daneben größere Rauchschwaden. Menschen, am Ufer festgemachte Boote. Voll beladen mit Holz.
Sunil erklärt mir, dass für eine Verbrennung am Ganges eine Bootsladung voll Holz notwendig sei. Das Holz müsse eine ganze Weile brennen, bevor der Leichnam schließlich daraufgelegt werde. Eine Holzladung koste im Schnitt zwischen 6000 und 8000 Rupies. Viel Geld für einen Inder. Viele könnten sich so viel Holz wie benötigt werde, um ihren Körper vollständig zu verbrennen, gar nicht leisten.
Verbrannt würde der Leichnam für gewöhnlich so lange bis er entweder komplett verbrannt, der Kopf geplatzt oder eben das Holz zuneige gegangen sei. Geschieht Letzteres bevor der Leichnam komplett verbrannt ist, würden die Überreste des Leichnams dem Fluss übergeben. Sadhus und Schwangere würden nicht verbrannt, sondern direkt auf den Fluss geschickt – auch eine schöne Umschreibung für im Fluss versenkt.
Mir wird schlecht. Ich kann den Gestank des Rauches vernehmen. Mein Blick wandert unweigerlich an den Bootsrand, an welchem ich sitze. Das Wasser des Ganges ist so braun, dass man nichts sehen kann. Mir fällt Chris ein, der mir von einer Ganges River Tour erzählte, bei der man sein Geld zurück bekäme, wenn man keine Leiche sieht.
Ich frage Sunil nach einer solchen Tour. Er entgegnet, dass es diese gäbe – jedoch nur außerhalb der Monsunzeit, wenn der Fluss weniger Wasser trage als dies aktuell der Fall sei. Wieder schaue ich über den Bootsrand auf das Wasser. Mein Kopfkino setzt ein…
Snap back to reality & Fragen
Was ist mit all den Menschen, die im Ganges baden oder ihre Kleidung waschen? Mit den Kindern, die im Ganges spielen? Wo keine zweihundert Meter weiter Menschen verbrannt und deren Überreste – im besten Fall in Form von Asche, im schlimmsten Fall die einzelnen Körperteile – in den Fluss geworfen werden, die dann – der Strömung sei Dank – sozusagen direkt an ihnen vorbeischwimmen?
Ist dieser Fluss wirklich heilig oder vielleicht nicht einfach nur eine tödliche Kloake? Dient dieser Fluss als Trinkwasserspender, als Arbeitgeber oder vielleicht nicht einfach nur als Massengrab? Wie viele Leichen kann ein Fluss ertragen, bis er umkippt? Was ist mit den Fäulnisprozessen, die im Inneren eines Körpers nach dessen Tod einsetzen? All den Eiweißen und Giften, die zersetzt und produziert werden? Kann eine solche Kloake Kleidung oder gar einen Körper reinwaschen? Können die installierten Filteranlagen wirklich sämtliche Verunreinigungen beseitigen?
Stellst du einem Inder diese Fragen, wird er deinen fragenden Blick mit einem Schulterzucken quittieren und dir entgegen, dass der Fluss eine Göttin sei und kein Mensch ihn verschmutzen könne.
Paradox, wenn man bedenkt, dass kein Inder mit Straßenschuhen oder ungewaschenen Füßen jemals einen Tempel betreten würde, weil er Angst davor hat, diesen dadurch zu verunreinigen.
Und was ist eigentlich mit meinen Füßen? – Mein Verbrauch an Tiger Balm ist während meines Aufenthaltes in Varanasi enorm angestiegen. Meine Füße jucken und brennen allabendlich dermaßen heftig, dass ich mir am liebsten die Haut herunterkratzen würde. Einmal mehr bin ich froh darüber, dass ich die Straßen mit Flip Flops durchquere, die sich am Abend problemlos mit viel Seife abwaschen. Trekkingschuhe hätte ich bei der Luftfeuchtigkeit über Nacht und bei den Regenfällen, die blitz- und sturzartig geschehen, weder sauber noch in Ansätzen trocken bekommen.
Du willst nun sicher wissen, wie ich darüber denke und wie ich mich nach solch einem Erlebnis fühle?
Problemlos nachvollziehbar ist das für mich nicht. Toleranz in Bezug auf Religionen hin oder her. Zu schaffen macht mir nicht nur die Tatsache, dass Menschen in diesem Fluss baden und ihre Kleidung waschen, Kinder in diesem Fluss spielen und wenige Meter weiter Leichen verbrannt und deren Überreste ins Wasser geworfen werden. Zu schaffen macht mir auch die Tatsache, dass Menschen ganz bewusst einen bestimmten Ort zum Sterben aufsuchen und darin dann ihre Erfüllung sehen. Und, zu denken gibt mir, wie scheinbar entspannt und offen die Menschen hier mit dem Tod umgehen.
Mir ist durchaus bewusst, dass der Tod genauso zum Leben dazu gehört und ich kann von mir selbst sagen, dass ich keine Angst vor selbigem habe. Ich weiß, dass auch dieser irgendwann Teil meines Lebens sein wird. Was ich nicht weiß ist, wann er mich ereilen wird. Und was ich ebenfalls nicht weiß ist, wie ich darauf tatsächlich reagieren werde.
Wirklich wichtig ist mir eigentlich nur, dass ich auf ein freudvolles und vor allem erfülltes Leben zurückblicken kann. Aber auch, dass ich nicht irgendwo an einem Flussdelta ende und schließlich in den Indischen Ozean hinaustreibe oder von den Krokodilen dort aufgefressen werde.
Aber so unterschiedlich die Kulturen, Traditionen, Religionen und Vorstellungen, die uns in unserer Gesellschaft vorgesetzt, vorgelebt oder anerzogen werden, so bleibt mir nur, dieses Erlebnis wie all die anderen Erlebnisse auf meiner bisherigen Reise irgendwie zu verarbeiten.
Denn ein wirklich tiefes Verständnis dafür kann ich nicht aufbringen. Dafür bin ich in einer Kultur aufgewachsen, die konträrer nicht sein könnte und viel zu sehr mit meinen Wurzeln verhaftet, von denen ich mich offensichtlich nicht ganz lösen kann – und das wiederum ist auch gut so.
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