It’s not only gold – Kochen und Kultur in Amritsar: der Goldene Tempel
Der Goldene Tempel in Amritsar
Der Harmandir Sahib, der Goldene Tempel, ist das allerhöchste Heiligtum der Sikh. Er befindet sich im nördlichsten Bundesstaat Punjab. Der Tempel selbst ist durch und durch mit Blattgold versehen und ist auf einer Insel im See gebaut. Der See wiederum ist umgeben von einer riesigen, quadratisch angelegten Palastanlage mit vier riesigen Toren. Demnach wäre der Tempel zumindest theoretisch von vier Seiten aus zugänglich.
Die vier Zugänge haben symbolischen Charakter: Sie stehen für die Offenheit der Sikh gegenüber Menschen und anderen Religionen.
Mein Tempel run
Praktisch sind die Palastanlage und der Tempel jedoch nur von einer Seite aus zugänglich, denn nur vor einem Eingangstor befinden sich nämlich die Schuhabgabe und das luggage room.
Trotz der Menschenmassen, die diesen Tempel besuchen, ist alles super gut organisiert und mein Zugang läuft reibungslos und sehr schnell: Ich gehe zur Schuhabgabe, gebe meine Flip Flops ab, erhalte ein Märkchen mit einer Zahl. Dann gehe ich weiter zum Tempeleingang. Vor diesem befindet sich ein Korb mit Kopfbedeckungen. Weil ich in den vergangenen Sikh-Tempeln immer orange als Farbe für mein cover hatte, entscheide ich mich auch dieses Mal wieder für orange. Ich bedecke meinen Kopf, wasche meine Hände, gehe ich durch das kleine Becken direkt vor dem Eingang des Tempels und wasche meine Füße. Nur wenige Treppenstufen trennen mich nun vom Goldenen Tempel.
Die Anlage ist riesig. Ich laufe einmal im Uhrzeigersinn um die Anlage herum. Es dauert eine kleine Ewigkeit. Nicht nur wegen der Größe der Anlage. Immer wenn ich für ein Foto stehen bleibe, werde ich angesprochen. Fotoshooting vor dem Goldenen Tempel. Lachen. Gemeinsames Posing vor dem Tempel. Gefaltete Hände, die Dankbarkeit symbolisieren. Ein herzliches „Thank you“. Weiter geht es. Für ein paar Meter. Für ein weiteres Foto. Für ein weiteres Innehalten. Ich merke erneut, wie sehr ich hier auffalle. Ich realisiere aber auch sehr schnell, dass ich tatsächlich nur dann angesprochen werde, wenn ich stehen bleibe, innehalte und ein Foto mache. Und weiß den Respekt, der mir dadurch entgegengebracht wird, zu schätzen.
Essen in der großen Halle
Nachdem ich einmal drumherum bin, frage ich mich nach der Küche durch. Sie liegt im ersten Tor nach dem Eingang. Am Eingang zur großen Halle steht eine Schlange an Menschen. Sie empfangen ihr Besteck. Ich reihe mich ein. Teller. Einen Meter weiter: Schüssel. Einen Meter weiter: Löffel. Ich schiebe mich mit der Schlange hoch in die große Halle. Nehme Platz auf dem ausgebreiteten Teppich auf dem Boden und… warte.
Es vergehen keine dreißig Sekunden bis der erste Sikh kommt und die Chapati verteilt. Ich halte meine Hände hoch, empfange das Brot. Ein weiterer Sikh geht durch. Er trägt einen großen Alu-Eimer und eine Schöpfkelle. Es ist Dal. Kurze Zeit danach kommen die Kichererbsen. Schließlich der Nachtisch: süßlicher Reisbrei. Ich nehme mein Essen zu mir. Es ist Mittagszeit. Die Halle ist voll. Überall klappert das Alu-Geschirr. Menschen stehen vom Boden auf, andere nehmen ihren Platz ein, Sikh gehen durch und verteilen erneut Essen.
Die riesige Küche des Tempels
Ich stehe schließlich auf, bahne mir meinen Weg Richtung Küche. Frage mich durch. Schließlich treffe ich auf einen Sikh, der Englisch versteht und auch spricht. Er fragt mich, ob er mich durch die Küche führen solle. Ich willige ein. Er zeigt mir den Essensvorrat an Kartoffeln. Die riesigen Töpfe und Feuerstellen. Erklärt mir den täglichen Ablauf der Zubereitung.
Zeigt mir die Menschen, die für die jeweiligen Gerichte zuständig sind. Wir erreichen die Halle, in der das Essen vorbereitet wird. Menschen sitzen auf dem Boden. Sie schälen Zwiebeln und Knoblauch. Andere schnippeln Kartoffeln. Ich frage meinen Begleiter, ob ich hier bleiben könne. Er willigt ein, sagt: „You can do whatever you want to do. And you can stay as long as you want to.“ Ich lächle und besorge mir ein Messer.
Essensvorbereitungen
Mit einem kleinen Messerchen bewaffnet setze ich mich auf einen auf dem Boden ausgebreiteten Teppich. Kurze Zeit später sitze ich dort nicht mehr alleine. Rechts, links, gegenüber haben sich Menschen hinzugesellt. Einige Minuten später bringen Helfer eine riesige Ladung an geschälten Kartoffeln. Los geht’s.
Der Sikh, der mir gegenüber sitzt, flüstert dem Mädchen neben ihm etwas zu. Sie schaut mich an. Lacht. Ich bemerke es. Schaue den Sikh an. Schaue das Mädchen an. Beide lachen. Der Sikh nickt mir zu. Sagt: „Good. Good.“ Ich schnipple weiter. Das Häufchen Kartoffelschnitze vor mir wird langsam größer.
Irgendwann gehe ich zum Teamwork mit der älteren Frau neben mir über: Sie schneidet die Kartoffeln in Streifen, ich mache daraus kleine Stücke. Schnell steigen unsere beiden Kartoffelschnitz-Häufchen an und werden zu einem.
Immer wieder beobachte ich während dem Schnippeln die Menschen um mich herum. Immer wieder lächelt mir der Sikh gegenüber zu. Ich bin begeistert von den Menschen, die sich in dieser Halle befinden. Sie opfern ihre Zeit und schneiden unermüdlich Gemüse. Eine Gegenleistung dafür erhalten sie nicht. Sie tun es aus Überzeugung. Sie leisten ihren Beitrag.
Eine Gruppe Touristen läuft durch die Halle. Mit ihrem Guide bleiben sie direkt hinter mir stehen. Ich sehe sie zunächst nicht. Der Sikh macht mich auf sie aufmerksam. Ich blicke mich um. Sie sind bewaffnet mit ihren Kameras. Knipsen was das Zeug hält. Ich schaue den Sikh an. Muss lachen. Der Sikh zeigt mir sein Messer, schaut auf meines, dann auf die Touristen. Wieder muss ich lachen. Ich drehe mich zu den Touris um. Sie bemerken mich. Ich zeige ihnen mein kleines Messerchen und frage: „Shall I give you a knife?“ Sie lehnen ab. Ich drehe mich wieder um. Der Sikh lacht. Er erzählt offensichtlich seinen Nebensitzern von dieser Aktion. Diese schauen mich an. Lachen ebenfalls. Daumen hoch. They like! Ich muss wieder lachen. Die Stimmung ist gelöst. Ich falle auf. Und irgendwie doch nicht. Denn sie geben mir das Gefühl, dass ich nicht anders bin als sie und irgendwie dazu gehöre.
Über eine Stunde später tut mir meine Hand vom Akkord-Schnippeln weh. Meine Füße schmerzen vom Schneidersitz. Trotz diverser Positionsänderungen sind mir mehrmals die Beine eingeschlafen. Ich bin ein bisschen Stolz auf mein Kartoffelhäufchen.
Der Sikh zeigt auf seine Hand, nickt dann in Richtung meiner Hand. Fragende Augen. Ich nicke ihm zu. Verziehe mein Gesicht. Er legt sein Messer vor sich ab. Lächelt mich an. Schließlich steht er auf und kommt auf meine Seite. Auch ich stehe auf. Dann begleitet er mich zum Händewaschen. Wortlos verlassen wir zusammen die große Halle. Bahnen uns unseren Weg zum Ausgang.
Wir durchqueren den Bereich, in welchem das Geschirr gewaschen wird, stehen dann wieder vor dem Tor, dem Zugang zum Tempel.
Er lächelt. Unwillkürlich muss auch ich lächeln. Unsere Augen treffen sich. Nach außen hin scheint der Blickkontakt bedeutungslos: Zwei völlig Fremde stehen sich wie zufällig gegenüber und nehmen sich für den Bruchteil einer Sekunde wahr. Und doch sagt der Blickkontakt alles. Er lächelt erneut. Dann klopft er mir auf die Schulter. „Thank you.“ Schließlich gehen wir unserer Wege…
Sonnenuntergang im Tempel
Am Abend komme ich wieder. Der Besitzer meiner Unterkunft hatte mir dazu geraten, den Tempel um 19 Uhr erneut aufzusuchen. Wegen der Atmosphäre. Ich setze mich an den Teich.
Die Atmosphäre ist verzaubernd. Menschen sitzen am Rand des Wassers. Sie schauen auf den Tempel, der in der untergehenden Sonne seine Farben verändert.
Das Gold des Tempels glänzt in dieser abendlichen Stunde noch krasser. Ich komme ins Gespräch mit zwei Indern, die neben mir sitzen. Sie kommen aus Mumbai. Angeregt unterhalten wir uns über ihren Heimatort.
Sie erzählen mir davon, welche Bedeutung der Tempel für sie hat. Sie bieten mir Tempelwasser zum Trinken an. Ich weiß das Angebot zu schätzen, lehne es jedoch dankend ab. Ein paar kurze Erklärungen. Verständnis.
Ich erzähle von meiner Reise. Über eine Stunde sitzen wir am Teich. Begeistert tauschen wir uns aus über den Anblick des Tempels zu dieser Uhrzeit. Schließlich wird es dunkel. Ein letztes Mal bahne ich mir erneut meinen Weg Richtung Ausgang…
Indien Überblick:
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Mama
August 27, 2017 @ 7:12 am
Beeindruckend. Ich hätte Dir auch gerne beim Kartoffeln schnippeln zugeschaut. Richtig ruhig da im Gegensatz zu bisher. Mittendrin zu sein…ein schönes Gefühl…?
Deine Reise nähert sich dem Ende?
Manu
August 27, 2017 @ 8:30 am
Es war wirklich einfach nur schön. Die Ruhe und Ausgeglichenheit der Sikh färbt auf einen ab. Es ist wie in einer anderen Welt. Eine Welt, die jenseits des Chaos liegt. ?
Aber auch ein durchaus langsames Ende – ein bisschen brauche ich noch. ??