Mein heutiges Tagesziel sollte eigentlich lediglich Palolem Beach sein. Nachdem ich mir auf Google Maps jedoch am Abend zuvor dir Route angeschaut (runter, einfach immer nur runter!) und festgestellt hatte, dass es nur vierzig Kilometer bis dorthin sind, zoomte ich ein bisschen weiter in die Karte hinein und fand schließlich noch ein paar kleine Schätzchen in der näheren Umgebung. Nähere Umgebung in Goa ist relativ. Denn eigentlich befindet sich alles in Goa in der näheren Umgebung.
Cabo de Rama Fort
Nach knapp fünfzig Minuten Fahrt durch allerschönste, nahezu unberührte Natur, ein paar Dörfchen, ein paar Hügelchen und einigen Tests, wie schnell der Roller eigentlich wirklich fahren kann – 80km/h, denn danach konnte ich aufgrund des Fahrtwindes, der mir die Augen tränen ließ, nichts mehr sehen…
…erreiche ich schließlich die süße, kleine Burg.
Wegen dieser bin ich nicht wirklich her gekommen – ganz ehrlich, Burgen hatte ich in den vergangenen Wochen nun wahrlich zu genüge gesehen – , sondern vielmehr aufgrund des Ausblickes, den du von hier oben auf das Meer hast. Der Blick auf die gesamte Länge des Colva Beach: geradezu majestätisch.
Stundenlang hätte ich hier oben sitzen und einfach dem Meer und den Wellen zuschauen können. Stundenlang hätte ich hier oben auch sitzen und einfach die Ruhe genießen können, denn auf Menschen treffe ich hier nicht.
Auch Affen – in welcher Form auch immer – oder Kühe gibt es hier keine. Mit einem Wort, es gibt hier schlichtweg: Nichts! – Außer mich und einen Wahnsinns-Blick auf das Meer!
Palolem und Patnem Beach
Keine fünfzehn Fahrminuten später erreiche ich Palolem Beach. Der Ort, der in der Anfangsszene der „Bourne Verschwörung“ auftaucht. An diesem Ort suchen Matt Damon und Franka Potente Zuflucht und genießen ihre Abgeschiedenheit, bis sie schließlich ein Auftragskiller aufspürt.
Im Unterschied zu den beiden kann ich meine Zeit hier unendlich lange genießen. Und so lege ich hier einen ausgiebigen Zwischenstopp für einen leckeren Masala Chai ein.
Ganz menschenleer und komplett abgeschieden ist dieser Strand jedoch nicht. Zahlreiche Familien sind hier her gekommen. Sie baden. Sie liegen am Strand. Sie genießen die Sonne. Sie lassen es sich mit ein paar Drinks in Strandbars gut gehen. Oder essen gemütlich in den zahlreich vorhandenen Strand-Restaurants.
Und während ich so am Strand sitze und die Menschen beobachte, setzt sich ein Einheimischer neben mich und schlägt mir vor, mit meinem Roller einen Strand weiterzufahren, zum Patnem Beach, da ich den nicht nur sicherlich ganz für mich allein hätte, sondern dieser mindestens genauso schön sei wie Palolem Beach.
Gesagt getan. Enttäuscht werde ich nicht. Kein Mensch befindet sich hier. Ich. Das Meer. Der Strand. Und die Wellen.
Das Cotigao Wildlife Sanctuary
Um dem Tag schließlich noch ein bisschen Action zu verpassen – der Auftragskiller ließ ja auf sich warten – mache ich mich auf zum Cotigao Wildlife Sanctuary.
Circa zehn Kilometer südöstlich von Palolem befindet sich nämlich Goas zweitgrößtes Naturschutzgebiet. Um dieses jedoch besuchen zu können, solltest du motorisiert sein, denn organisierte Touren oder Busse, die Touristen durch das Gebiet fahren, gibt es hier nicht. Ich melde mich an der Ranger Station, bezahle meinen Eintritt (25 Rupies! – Kein Scheiß!), erhalte eine schlecht kopierte Karte des Naturschutzgebietes, ein paar Erklärungen, wo sich was befände, den Hinweis, dass der Park in drei Stunden schließen würde und passiere schließlich die Schranke.
Mehrere Trekking Trails unterschiedlicher Länge kannst du hier auf eigene Faust laufen. Und da ich scharf auf das Baumhaus bin, ist dieser Trail mein erstes Ziel.
Angegeben sind insgesamt 700 Meter Wegstrecke. Ein Kinderspiel. Denke ich. Wenn du nun aber denkst, dass dieser Trail tatsächlich richtig beschildert oder auf welche Weise auch immer ausgebaut ist, liegst du völlig falsch. Denn bereits nach den ersten hundert Metern hören die Schildchen an den Bäumen auf.
Der sogenannte Weg führt mehrmals durch kleinere Flüsschen, in welchen du abwechselnd knöchel-, knie- oder oberschenkeltief im Wasser stehst. Mehrmals bleibe ich stehen und suche ein paar Meter weiter nach Anhaltspunkten für einen Pfad. Mehrmals überprüfe ich mein Handy auf ein Handysignal. Mehrmals frage ich mich, ob ich hier überhaupt richtig bin. Und mehrmals denke ich darüber nach, einfach umzudrehen, weil ich nicht das Gefühl habe, dass hier tatsächlich ein Baumhaus stehen soll.
Aber – man höre und staune – nach ziemlich genau 700 Metern (Danke an meine Fitbit für ihre treuen Dienste) tut sich plötzlich eine große Leiter vor mir auf. An ihrem Ende: Ein Baumhaus!
Besondere Tiere sehe ich aber von hier oben keine.
Unten sehe ich übrigens auch keine. Kühe. Ja. Durchaus. An Besonderheit haben diese jedoch mittlerweile etwas eingebüßt.
Innerlich muss ich während meines Trekks irgendwie lachen, denn nicht vorhandenes Handysignal, keine Menschenseele, auf die ich hier treffe und nicht ganz ungefährliche Situationen (bist du schon einmal mit nassen Füßen auf einer Eisenleiter herumgeklettert?!) und all das am letzten Reisetag sind Dinge, die mir irgendwie seltsam vertraut erscheinen.
Mein Weg führt mich schließlich weiter in das Naturschutzgebiet hinein in Richtung eines kleinen Dorfes. Die Fahrt wird zu einer kleinen Herausforderung. Ich stelle fest: Wenn du hier her kommst, solltest du nicht nur motorisiert sein, sondern dein Gefährt auch unbedingt beherrschen. Schlaglöcher, Kies und Schutt bestimmen das Straßenbild.
Für die kleine Offroaderin Fahrspaß pur. Mehrmals muss ich hier fast bis zum völligen Stillstand herunterbremsen. Mehrmals lasse ich die kleinen Räderchen meines Gefährts beim Anfahren ein bisschen durchdrehen. Was ich bei all dem Fahrspaß und ausgelebten Spieltrieb nicht bemerke, ist die Sonne. Und so kommt es, dass ich mir an meinem allerletzten Tag in Indien tatsächlich ganz gehörig die Schultern verbrenne.
One night in… Martin’s Corner
Mein allerletztes Abendessen in Indien gibt es schließlich in Martin’s Corner. Von mehreren Einheimischen habe ich die vergangenen Tage diesen Tipp erhalten. High time, sich davon zu überzeugen, ob der Schuppen tatsächlich hält, was er verspricht.
Das Abendprogramm darf natürlich ebenfalls nicht vergessen werden.
Thank you, Goa! Thank you for a very last night to remember! 🙂
Und ich?! – Ich könnte jetzt eigentlich einigermaßen ausgeschlafen und entspannt nach Hause fliegen! Wieder einmal: Könnte. Eigentlich. Warum dieser Plan aber mal so gar nicht aufging, davon erzähle ich dir hier:
Ja, das war’s jetzt! Zumindest für Indien! Ich danke dir ganz herzlich für das Lesen meiner zahlreichen Blogbeiträge und vor allem dafür, dass du mich auf meiner Indien-Reise begleitet hast. Ich hoffe, ich konnte dich mit ganz viel Bildmaterial verzaubern und mit witzigen und interessanten Texten unterhalten. 😉
Goa ist nicht nur der kleinste indische Bundesstaat, sondern sicherlich auch die mitunter am wenigsten dicht besiedelte Region Indiens. Als ehemalige Kolonie Portugals hat der Staat seinen ganz eigenen Charme und ist kaum mehr vergleichbar mit dem, was du in Indien sonst so zu Gesicht bekommst. Auch die Bevölkerung gehört zu einem Großteil dem katholischen Glauben an. Und so verwundert es nicht, dass du in Goa in jedem Dorf mindestens eine Kirche findest. Mindestens.
Beach-Hopping in Goa
Wenn du „Goa“, „Goa Urlaub“, „Goa Reise“ oder „Goa Tipps“ bei Google eingibst, erhältst du neben all den Thomas Cook-Pauschalangeboten und Restaurantempfehlungen eines ganz sicher: Jede Menge Strände, die angepriesen werden. Dabei ist es nahezu relativ egal, in welcher Region Goas – im Norden oder im Süden – du suchst, denn eines wird dir hier allzu schnell klar: Beach-Hopping ist hier möglich. Täglich. Täglich könntest du hier einen anderen Strand besuchen. Täglich könntest du dich hier an einen anderen Strand legen. Täglich an einer anderen Ecke Goas im Meer planschen. Die Sicherheit ist hierbei immer gegeben, denn nahezu jeder Strand zeichnet sich auch dadurch aus, dass ein paar Aufseher der Marke „Baywatch“ auf dich Acht geben!
Was aber, wenn du beispielsweise gar nicht sooo der mega Strandmensch bist?
Mit dem Bus und dem Auto lässt sich Goa sehr gut bereisen. Da ich aber in den vergangenen Wochen lange genug im Auto gesessen habe und mir nach Unabhängigkeit ist, habe ich mich gegen einen Transport mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und stattdessen für einen Roller entschieden. Die Entfernungen auf Goa sind durchaus überschaubar.
Panjim oder Panaji ist die Hauptstadt des Bundesstaates. Bei 40.000 Einwohnern (mit den Vorstädten circa 100.000) könnte man meinen, dass es dort ordentlich ruhig zugeht. Aber damit liegst du falsch. Denn Panjim ist kein Dorf, sondern ein richtiger Multikulti-Mix aus vielem: Europa, Südostasien und ein bisschen Indien.
Du findest hier kleine, verwinkelte Gässchen, Häuser, deren europäisch-portugiesische Prägung aufgrund der Verzierungen, der Architektur und der teilweise bunten Balkone nicht von der Hand zu weisen ist.
Der portugiesische Kolonialstil ist vor allem im Viertel Fontainhas vorherrschend und die dortige Kirche, die Our Lady of Immaculate Conception, ist ein tolles Beispiel von vielen, was die zahlreichen vorhandenen katholischen Kirchen angeht.
Kleiner Fun Fact: Es gibt ein Gesetz, nach welchem die Bürger, die im Stadtzentrum wohnen, jährlich den Putz an ihren Häusern ausbessern müssen, die aufgrund des Monsuns stark in Mitleidenschaft gezogen werden.
Der Verkehr gleicht eher dem, den du von Südostasien aus kleineren Gegenden gewohnt bist, aber keinesfalls dem indischen. Und dennoch ist es irgendwie indisch. Ein bisschen. Denn während du hier Dreck, Kühe und deren Ausscheidungen vergeblich suchst, gibt es ganz viele indische Märkte, indische Geschäfte und natürlich Inder.
Auf jeden Fall lohnt sich ein kleiner Bummel auf dem Markt in der großen Markthalle, in welcher ich auf meinem Weg nach Old Goa einen längeren Zwischenstopp einlege.
Die Halle ist gefüllt mit zig Obst- und Gemüseständen, Blumen-, Tee- und Gewürzverkäufern, so dass ich mich hier für meine verbleibenden Tage in Goa so richtig mit Obst eindecken kann. Denn mit wirklich ausgereiftem Obst wird es in ein paar Tagen, wenn ich wieder zurück in Deutschland bin, ein jähes Ende haben. Und abgesehen davon ist mein Bedarf an Frittiertem für die kommenden Tage definitiv gedeckt. Praktisch nicht mehr vorhanden. Meeh!
Auch lege ich, weil ich auf das Frühstück heute Morgen verzichtet habe, noch einen kleinen Stopp zur Nahrungsaufnahme in einem kleinen Café ein. Mir fällt auf: Die Menschen, die sich hier befinden, sind gelassen, nicht getrieben, denn sie nehmen sich Zeit für das Frühstück und ein kleines Gespräch mit mir. Und, hey, sie essen mit Besteck und nicht direkt aus der Hand.
Old Goa
Velha Goa, Alt-Goa oder eben Old Goa hieß ursprünglich eigentlich nur Goa und war früher die Hauptstadt der portugiesischen Kolonie. Und wie es sich für eine ordentliche europäische Kolonie gehört, ist dort nicht nur seit Ewigkeiten der Sitz eines katholischen Bischofs, sondern der Ort auch Erzbistum. Aufgrund diverser Malariaepidemien zogen zahlreiche Bewohner dort allerdings wieder weg, so dass das heutige Panjim schließlich zur Hauptstadt des Bundesstaates wurde.
Die Moskitos und Old Goa blieben jedoch und mit ihm seine Kirchen, Kathedralen, Kapellen, Klöster und all die anderen Relikte des portugiesischen Kolonialstils. Ein Besuch sind diese allemal wert, denn du findest hier riesige Gebäudefassaden, nach wie vor sehr gut erhaltene Kirchen, goldene Altäre und eine Basilika.
Die Besichtigung der zentralen Sehenswürdigkeiten, deren Eintritt übrigens überall netterweise kostenlos ist, schaffst du innerhalb einer starken Stunde. Zu ihnen zählen unter anderem die Kathedrale Sé Catedral, das Kloster des heiligen Franz von Assisi, die Kirche St. Cajetan, deren Vorbild der Petersdom in Rom sein soll (allein deswegen schon möchte ich einen Blick darauf werfen) und die Basilica do Bom Jesus.
Verkäufer und Verkaufsstände gibt es hier natürlich auch, aber bis auf wenige Ausnahmen werde ich hier nicht angesprochen. Zwei Ausnahmen. ZWEI! Zwei für die Kategorie: Herr, schmeiß‘ Hirn vom Himmel!
Von diesen beiden kleinen Ausnahmen möchte ich dir erzählen, denn auch Wochen später muss ich noch über diese schmunzeln. Ich stelle meinen Roller direkt gegenüber des großen Parks ab, in welchem sich die Kirchen befinden.
Situation 1:
Ich klappe den Sitz meines Rollers hoch und hole dort alles Notwendige heraus, das ich für meine kleine Sightseeingtour benötige, lege es offensichtlichst und für alle Umstehenden auf den Sitz des Rollers, um es dann in meiner Umhängetasche zu verpacken: Einen dünnen Pulli, der meine Schultern bedeckt, meine Wasserflasche und meinen Selfie-Stick, denn ich möchte ja Bilder machen. Der Verkäufer, der direkt (!) neben mir steht, verkauft Selfie-Stangen und quakt mich an: „Selfie, Selfie?“ Nachdem er mir schließlich auch noch eines seiner Prachtexemplare direkt vor die Nase hält und erneut „Selfie, Selfie?“ fragt, komme ich nicht umhin, ihm meine Selfie-Stange vor’s Gesicht zu halten und zu fragen: „You need?“
Situation 2:
Meinen Helm (ja, es herrscht Helmpflicht in Goa!) kann ich aus Platzgründen nicht mehr im Sitz verstauen, da dort das Regencape liegt. Ich trage den Helm also während meiner Sightseeingtour mit mir herum. Nachdem ich meine kleine Tour beendet habe, der Straße entlang wieder zu meinem Roller laufe – ich trage den Helm in meiner Hand, er ist wirklich nicht zu übersehen -, quakt mich ein Taxifahrer an: „You need taxi, madam?“ Worte einer Antwort wären hier zu viel gewesen: Ich blicke offensichtlich auf meinen Helm, schaue den Taxifahrer an, den Helm, den Taxifahrer und ziehe die Augenbraue hoch. Gesagt hat er dann auch nichts mehr. Er hat wohl selbst bemerkt, wie dämlich das gerade war.
Abendessen in Goa
Auch beim Abendessen geht es in Goa ganz anders zu als im Rest des Landes. Abendessen in Goa ist ein Highlight für sich. Nicht nur findest du hier zahlreiche saubere sondern zudem auch super leckere und wirklich gemütliche Restaurants, in welchen du stundenlang sitzen könntest. Zugegeben, die Preise sind nicht mit den Preisen auf dem Markt oder mit denen von Food Stalls zu vergleichen, aber auch nach wie vor weit entfernt von den durchschnittlichen europäischen Preisen. Und weil ich hier wirklich alle Zeit der Welt und vor allem einen gesunden Hunger habe, gibt es nom nom bis zum Umfallen. Fresskoma: inklusive. Nebenwirkungen: keine.
Ganz neu jedoch ist die „Partyszene“, welcher ich mich hier ausgesetzt fühle. Die Restaurants bieten Livemusik! Livemusik in Goa bedeutet: Zwei Inder spielen Instrumente und singen britische Songs in einem nahezu akzentfreien Englisch!
Was daran nun so komisch ist? – Denk‘ doch einmal darüber nach, wie es aussieht, wenn Bryan Adams‘ „Summer of ’69“ von einem Inder gesungen wird…
Aber Vorsicht, kommst du zu späterer Stunde (das heißt: nach 20 Uhr) wirst du Probleme haben, in den Restaurants einen Platz zu finden, denn das ganze Dorf scheint an den Abenden auf den Beinen zu sein. Nicht nur kommen die Einwohner zum Essen hier her, sondern auch zum gemeinsamen (Be-)Trinken – mehrere Wein- und Whiskeyflaschen im Laufe eines Abends auf den Tischen zu finden, ist keine Seltenheit – und Essen hier her, sondern auch zum Abrocken. 😀 😀
Noch früh am Abend und daher relativ leer – die Tanzwut ist aber bereits vorhanden:
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Die Frage der Fortbewegung in Indien
Als ich meine Indienreise vorbereitete, setzte ich mich natürlich ebenfalls mit den unterschiedlichsten Fortbewegungsmöglichkeiten in Indien auseinander. Ich dachte darüber nach, mit Zug oder Bus zu reisen. Ich hatte auch in Betracht gezogen, mir einen Leihwagen zu nehmen. Und für einige Minuten hatte ich auch die wahnwitzige Idee, mit dem Roller durch Indien zu touren.
Schließlich entschied ich mich dazu, meine ersten beiden Wochen mit einem Auto inkl. Fahrer von Ashok’s Taxi Tours zu unternehmen und mich dann aus Zeitgründen auf Inlandsflüge zu konzentrieren, so dass ich Amritsar, Varanasi und Goa anflog.
Während meiner Reise durch den Norden Indiens war mir schnell klar, dass weder eine individuelle Reise mit dem Auto möglich gewesen wäre noch eine Tour mit dem Roller. Denn um hier überleben zu können, braucht es 3 „goods“: 1. good horns, 2. good breaks und 3. good luck – oder einfach nur einen richtig guten einheimischen Fahrer.
In Bezug auf Goa sieht dies aber ganz anders aus. Denn Goa ist nach meinem Verständnis und nach der Zeit, die ich nun in Indien verbracht habe, nicht einmal India light, sondern Kinderkram.
Nicht nur ist Goa weit entfernt von tatsächlichen indischen Verhältnissen, sondern auch von den indischen Straßenverhältnissen.
Rollerfahren in Goa auf dem Highway
Highways in Goa sind (natürlich) nicht mit Autobahnen in Deutschland zu vergleichen. Sie sind zwar größtenteils zweispurig ausgebaut und auch sind die Straßen in einem guten Zustand, aber auf 120 km/h kommst du hier nicht einmal ansatzweise. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass man mit dem Roller auf der Autobahn fahren darf.
Die Landstraßen in Goa sind kaum unterscheidbar von den Highways. Das einzige Unterscheidungsmerkmal ist, dass sie einspurig sind und nur seltener zweispurig werden. Aber auch darüber lässt sich streiten. Ich weiß bis heute nicht, ob die Strecke zwischen Palolem und Panjim nun eine Autobahn oder eine Landstraße war.
An sich gut, denn das zeugt davon, dass du auch auf den Landstraßen gut fahren kannst. An sich aber auch total egal.
Ab und an ist auf diesen Straßen auch eine Höchstgeschwindigkeit angegeben:
two wheelers: 50km/h
trucks: 60km/h
cars: 70km/h
Dass ich mit meinem süßen Ding des Öfteren schneller als 50km/h gefahren bin, hat niemanden interessiert. Autofahrer hingegen – das konnte ich häufiger sehen – wurden regelmäßig bei Polizeikontrollen heraus gezogen. Blitzer habe ich jedoch nie welche gesehen (und nein, nicht weil ich zu schnell war! 😉 ).
Ab und an standen Polizisten mit ihren Handys am Straßenrand und fotografierten und filmten Dinge, die auf den Straßen geschahen. Sicher haben sie eine App auf dem Handy, die die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos misst. 😀
Rollerfahren in Goa durch die Dörfer
Eine wahre Wonne waren für mich die Straßen durch die Dörfer und die entlegeneren Regionen Goas. Über mehrere Kilometer kamen mir manchmal überhaupt keine anderen Fahrer entgegen. Landschaftlich total schön. Und auch die Straßen waren super ausgebaut.
Das wirklich einzige Mal, dass ich eine sehr schlechte Straße mit ausgewaschenem Fahrbahnbelag oder ausschließlich Schutt/Kies zu sehen bekam, war als ich durch den Cotigao Wildlife Nationalpark gefahren bin.
Mein Fazit zum Rollerfahren auf Goa
Do it! Du bist nicht nur innerhalb kürzester Zeit in der nächsten Stadt, sondern auch völlig unabhängig von Bussen. In diesen wiederum hätte ich nicht unbedingt sitzen wollen.
Zusätzliche Anmerkungen, worauf du dennoch achten solltest
In Goa herrscht – wie überall in Indien – Linksverkehr!
Auf den Autobahnen/Landstraßen gilt für Roller eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.
Wie überall ist von der Unachtsamkeit der anderen Fahrer auszugehen – so auch hier: Autos scheren plötzlich aus, ohne den Blinker zu setzen oder bremsen auf der Autobahn/Landstraße ohne ersichtlichen Grund. Sei‘ einfach aufmerksam.
Fußgänger, Kühe, Büffel oder Schafe kreuzen plötzlich und an eigentlich völlig unmöglichen Stellen die Straße – auch die Autobahn. Sehr selten im Vergleich zum Norden Indiens, aber es passiert ab und an mal.
In einigen Ländern musst du tagsüber mit eingeschaltetem Licht fahren. Für Goa gilt das nicht. Weder für den Roller noch für das Auto.
Tankstellen gibt es alle paar Kilometer. Eine Roller-Tankfüllung kostet circa 200 Rupies.
Das Hupen hält sich hier in Grenzen und kommt nicht ansatzweise an die Hup-Orgien im Norden Indiens heran. Wenn überhaupt, dann wird hier nur dann gehupt, wenn man vorhat, jemanden zu überholen. Ich meine, eine gewisse Regel beim Hupen erkannt zu haben – aber ich kann mich auch täuschen: 1x hupen = ich bin hinter dir, 2x hupen = ich überhole jetzt, 3x hupen = geh‘ mir verdammt nochmal aus dem Weg!
Fahrten in der Nacht solltest du nach Möglichkeit vermeiden. Nicht wegen eventueller Unsicherheiten in der Nacht, sondern wegen der speed bumps. Ein Teil der speed bumps wird zwar durch Schilder angekündigt – ein Schild, das anzeigt, dass gleich ein speed bump kommt angekündigt (hier solltest du tatsächlich super langsam drüber fahren, denn das Schild steht da nicht grundlos) und dann noch einmal ein Schild direkt am speed bump – , aber der Großteil der speed bumps erscheint einfach plötzlich aus dem Nichts. Auch gibt es immer mal wieder Bodenwellen oder Schlaglöcher in den Straßen. Insgesamt aber sind Goas Straßen ganz ganz weit entfernt von indischen Verhältnissen.
Bist du schon einmal mit dem Roller durch den Norden Thailands, Indonesien oder Vietnam gefahren? – Diese Länder könntest du gut als Anhaltspunkt nehmen, um eine Vorstellung von Goas Straßen zu erhalten.
Und bist du schon einmal mit dem Roller durch Indien gefahren und hast noch irgendwelche Tipps? – Dann rein damit in die Kommis! 🙂
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Air India und die Inlandsflüge
Spät ist es als ich endlich in Goa ankomme. Spät Dank Air India. Die haben nämlich am Tag zuvor kurzerhand entschieden, dass sie auf meinem Flug von Varanasi nach Goa mit Stopover in Mumbai einfach mal schnell den Weiterflug canceln. Am späten Abend, nachdem ich von der Ganga Aarti und dem Abendessen in Varanasi ziemlich müde zurückkehre (du erinnerst dich, ganz unemotional war mein Tag in Varanasi nicht), erhalte ich eine E-Mail von der Fluggesellschaft mit der Information, dass der Weiterflug von Mumbai nach Goa gecancelt sei und der Bitte, mich beim Kundenservice zu melden.
Jeder andere wäre wahrscheinlich explodiert, in Tränen ausgebrochen oder nach diesem ereignisreichen Tag der völligen Regungslosigkeit zum Opfer gefallen. Ich bin zu kaputt, um mich über solche Nichtigkeiten aufzuregen. Aufregen bringt nichts. Ändern ließe sich der Umstand sowieso nicht.
Der nette Herr am Telefon erklärt mir drei Mal die nun möglichen Optionen. Zumindest gehe ich davon aus, dass er mir drei Mal dasselbe erklärt, denn erst nachdem ich jeden einzelnen seiner Sätze wiederholt habe und er nach jedem einzelnen meiner Sätze brav „Yes, yes“ sagt, habe ich eine Vorstellung davon, dass mein Flug zwar gecancelt ist und auch bleibt, sie mich aber auf fünf Stunden später umbuchen können.
Binnen Sekunden überschlage ich: Zwei Stunden Flug von Varanasi nach Mumbai. Fünf Stunden Aufenthalt in Mumbai. Geplante Ankunftszeit in Goa: 22 Uhr. Realistische Ankunftszeit in Goa: 22:45 Uhr. So wie ich den Standort des Flughafens Mumbai in Erinnerung habe, würde ich schätzen, dass ein Transfer vom Flughafen in die Stadt eine Stunde dauert. Bei normalem Verkehrsaufkommen. Zuzüglich raus und rein beim Flughafen kommt eine Besichtigung Mumbais nicht in Frage. Selbst wenn es schnell geht nicht. Die Community bestätigt meinen Gedanken.
Für einige Sekunden denke ich darüber nach, den Herren zu bitten, mir einen Weiterflug am nächsten Tag zu buchen. Anflug Mumbai, dort übernachten, Sightseeing, Weiterflug. Wäre ja nicht das erste Mal. Ich atme kurz durch. Blende für einige Sekunden die Geräuschkulisse um mich herum aus. Meine Füße jucken schon wieder. Wo ist mein Tiger Balm? Ich muss dringend meine Nägel komplett runter schneiden, sonst kratze ich mir die Haut auf. Ich bin müde. Ich möchte nicht sprechen. Ich möchte keine Entscheidungen treffen. Und klar denken kann ich irgendwie gerade auch nicht. Nein, Mumbai packe ich nicht. Nicht mehr. Wäre es der Beginn meiner Reise,… – ist es aber nicht.
Ich willige ein. Fünf Stunden Transit gehen vorbei. Ich hatte schon längere. Mit der einkalkulierten Verspätung sind es vielleicht vier. Wenn man sich auf etwas bei Air India verlassen kann, dann auf die Verspätung. Schließlich kommt es wie erwartet: Ich muss lediglich vier Stunden in Mumbai überbrücken. Ankunft in Goa: 22:35 Uhr
Papa Goa holt mich direkt am Flughafen ab. Und trotz meiner Müdigkeit schießt es binnen der ersten fünf Autominuten aus mir heraus: „Where are all the cows? Where is the dirt? And why aren‘t there any other cars on the streets?“ Papa Goa lacht. „This is Goa, my dear!“
Welcome to Goa
Als ich mein Zimmer im C Pearl Guesthouse betrete, Glena mir eine gute Nacht wünscht und die Tür hinter mir schließt, lasse ich meinen Blick im Zimmer schweifen. Ich lausche nach Geräuschen. Und bin überrascht. Denn ich höre… nichts! Kein Geräusch. Kein Gehupe. Kein Gegröhle. Kein Geschrei. Und kurz nachdem ich mich auf das Bett gelegt habe, schlafe ich den Schlaf der Toten. Ohne Ohropax. Und mit geöffnetem Fenster.
Der Tag beginnt so ruhig wie er endete. Ein ausgiebiges Frühstück. Kaffee. Noch mehr Kaffee. Vom Bett auf den Balkon. Der Vormittag geht vorbei. Die Mittagszeit geht vorüber.
Schließlich besorge ich mir einen Roller. Es juckt einfach in den Fingern! 😉 Der Roller ist in überraschend gutem Zustand. Ich drehe eine Runde, überprüfe die Bremsen und den Reifendruck. Schließlich das Licht und die Hupe. Der Besitzer lacht als ich mehrmals die Hupe betätigte. Ich sage: „Come on, the horn is important.“ Und er entgegnet: „Yes, do you know the 3 most important goods on India’s roads? – Good breaks. Good horns…“ „Yes, and good luck!“ Wir verstehen uns! 😉
Die 350 Rupies pro Tag – es ist Nebensaison und eigentlich sollte es aus Kübeln schütten – sind lachhaft. Ich möchte auf den Markt und Obst kaufen. Nach drei Tagen Frittiertem schreit mein Körper nach gesundem Essen.
Kaum fünf Minuten später sitze ich auf dem Roller. Kaum fünfhundert Meter später beginnt es zu schütten. Gerade noch rechtzeitig, um eine völlige Durchnässung zu verhindern, steuere ich einen kleinen Laden an, stelle schnell den Roller ab und flitze hinein. Meine allzu gewohnte Frage „Have you got tea?“ wird kurz und knapp mit einem frechen Grinsen und „No, only beer!“ beantwortet. Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen. Gut. Was muss, das muss.
Wenige Minuten später ist der Spuk auf der Straße vorbei. Die Sonne kommt heraus. Ganz schön warm. Ab geht’s auf den Roller. Chandar it is.
Das Menezes Braganza Pereira House in Chandar
Etwa 20 Kilometer südöstlich von Majorda Beach liegt dieses kleine, schnuckelige Häuschen. Danke an der Stelle an die Community für diesen süßen Tipp. 🙂
Es handelt sich hierbei um ein über vierhundert Jahre altes portugiesisches Haus. Eher eine Villa als ein Haus. Für indische Verhältnisse gut gepflegt. Der Garten wirkt wie ein kleiner Urwald. Ein Liegestuhl wäre jetzt perfekt.
Als ich dort ankomme, bin ich mir unschlüssig, ob es überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Kein Willkommensschild. Kein Ticketschild. Nichts. Ich frage mich, ob ich überhaupt richtig bin, aber die Größe des Hauses und die Tatsache, dass es eigentlich das einzige richtige Haus im Ort ist, sprechen für sich.
Eine Frau schaut aus dem Fenster und winkt mich nach oben. Sie führt mich durch die Villa. Ich bin erstaunt, wie gut erhalten die einzelnen Möbelstücke sind. Und darüber, dass sich ein solches Schmuckstück mitten im Nirgendwo befindet.
Das Haus ist mit zahlreichen antiken Möbeln bestückt. Irgendwie ein kleines architektonisches Wunder. Alte antike Holztreppen. Alte antike Möbel. Antik ist auch die Besitzerin.
Da am Horizont Wolken aufziehen und ich unsicher bin, wie lange ich zurück nach Majorda Beach brauchen werde, mache ich mich nach einem Obst- und Nagellackkauf auf den Rückweg.
Fun Fact an dieser Stelle: Während meiner Transitzeit im Flughafen Mumbai habe ich mehrfach sämtliche Geschäfte des Flughafens nach Nagellack abgegrast und keinen finden können. Hier, mitten im Nirgendwo, mitten im Nichts, in einem alten schäbigen Supermarkt, in welchem ich eigentlich nur einen Stopp einlege, um Kaffee zu besorgen, werde ich fündig. Du kannst dir vorstellen, wie mich die Dame hinter dem Tresen anschaut, als ich nach Nagellack frage, diese Auswahl bekomme und völlig unvermittelt beim Anblick der Fläschchen in schallendes Gelächter ausbreche.
Majorda Beach
Bevor ich die Beine für den restlichen Tag hochlege, fahre ich an meinem Hausstrand vorbei. Viele Worte werde ich nicht darüber verlieren, denn die Bilder sprechen für sich. Ein absoluter Traum! Sandstrand: So weit das Auge reicht. Menschen: Keine! Geräusche: Keine! Goa, mein Paradies auf Erden! Hier bleib‘ ich!
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Surviving India als alleinreisende Frau in Indien?!
Bereits während meiner Reise und vor allem in den Tagen danach wurden mir immer wieder dieselben Fragen über Indien gestellt. Fragen, die die Sicherheit betreffen. Fragen, die auf den gesundheitlichen Aspekt und das Essen abheben. Fragen nach meiner Kleidung, nach meinem eigenen Wohlbefinden als alleinreisende Frau in Indien. Aber auch Fragen nach meiner Reiseroute, meinem persönlichen Fazit meiner Reise und vor allem wie es mir nach meiner Rückkehr in Deutschland erging.
Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, einen Blogbeitrag darüber zu verfassen in der Hoffnung, auf all diese Frage einigermaßen zufriedenstellende Antworten geben zu können.
Wie ist das als alleinreisende Frau in Indien?
Kurze, knackige Antwort: Überhaupt kein Problem.
Natürlich solltest du dich an gewisse Regeln halten: Nimm‘ nur so wenig Bargeld wie nötig mit, wenn du auf den Straßen unterwegs bist, verlasse dich auf dein Bauchgefühl, wenn du dich mit Menschen unterhältst, nimm‘ keine offenen Getränke von Unbekannten an und geh‘ bei Dunkelheit nicht mehr vor die Tür.
Indien ist kein gefährliches Land und die Menschen dort wollen dir nichts Böses. Im Gegenteil: Du triffst auf wahnsinnig viele liebe Menschen, die dir ganz viel Unterstützung zukommen lassen und dir deinen Aufenthalt dort um einiges erleichtern.
Da waren einerseits natürlich Ashok und Manish, die mir bereits von Deutschland aus Hilfestellungen bei der Planung meiner Reise und wertvolle Tipps und Empfehlungen gegeben hatten.
Dann war da natürlich Gurmeet, auf dessen Urteil in Bezug auf Sicherheit ich mich während unserer zweiwöchigen Tour durch den Norden blind vertraut habe, denn wer sonst als ein Einheimischer kennt das Land besser?!
Dann waren da aber noch ganz viele andere Menschen, denen ich unglaublich dankbar dafür bin, dass ich ihnen begegnen durfte.
Da war der junge Besitzer meines Gästehauses in Jaisalmer, mit dem ich auf der Dachterrasse im Regen getanzt habe und der auch trotz der zig Stromausfälle an diesem Tag – ich habe neun gezählt! – und dem Umstand, dass der letzte Stromausfall über zwei Stunden andauerte, bei Kerzenlicht in seiner Küche ein Abendessen für mich zubereitete, damit ich nicht mehr vor die Tür musste, um etwas zu futtern zu bekommen.
Da war der Besitzer meines Hotels in Amritsar, der mir meinen Aufenthalt in seiner Bleibe sehr erleichterte, indem er mir bereits vor meiner Anreise telefonisch ein paar Tipps zur Stadt gab. Dann war da Sunny, dessen Aufgabe eigentlich nur darin bestand, mich vom Flughafen Amritsar abzuholen und wieder dorthin zu bringen, der aber nicht nur super pünktlich und gewissenhaft diesen Job übernommen hatte, sondern auch die Fahrten zu einem Erlebnis für sich werden ließ und der sich einen Tag nach meiner Rückkehr in Deutschland danach erkundigte, ob ich wohl behalten Zuhause angekommen sei.
Dann war da Papa Varanasi, der es sich nicht nehmen ließ, mich zusammen mit einem Fahrer am Flughafen in Varanasi abzuholen und dafür die zweistündige Fahrt hin und noch einmal zurück in Kauf nahm. Einfach nur deswegen, weil es ihm wichtig war, dass er mich dort abholte und nicht bloß jemanden schickte. Und der mir während meines Aufenthaltes in seinem Haus das Gefühl gab, zur Familie dazu zu gehören und wie seine eigene Tochter behandelte.
Dann war da Sunil, den ich über Papa Varanasi kennengelernt habe. Seine Aufgabe bestand eigentlich nur darin, mich sicher nach Sarnath und wieder zurück nach Varanasi zu bringen. Schließlich verbrachten wir jedoch den ganzen Tag zusammen. Und auch er fragte schließlich nach, ob ich sicher wieder in Deutschland angekommen sei.
Dann waren da noch Papa Goa und seine Frau Glena, die mir nicht nur eine zauberhafte Unterkunft geboten haben, sondern den Familienanschluss direkt mitlieferten. Am Abend mit ihnen über meinen Tag zu philosophieren war unglaublich witzig.
Du wirst in Indien sicherlich auch ganz schnell Gesprächspartner finden, die nichts mit Unterkünften und Transfers zu tun haben. Ob sie nun fließend Englisch sprechen oder nicht, sei einmal dahingestellt. In jedem Fall haben sie ein großes Interesse daran, irgendwie mit dir in Kommunikation zu treten: Ich denke hierbei beispielsweise an den Sikh im Goldenen Tempel in Amritsar, mit dem ich mich mangels Sprachbarriere nicht unterhalten konnte.
Ich denke aber auch an all die Besitzer der food oder tea stalls, die sich einfach unglaublich darüber freuten, dass ein Tourist – nein, ein traveller (du kennst den Unterschied!) – an ihrem Stand einen Tee auf Hindi bestellte.
Und ich denke an all die Menschen, die mir zufällig auf der Straße oder bei Rastpausen auf der Fahrt begegnet sind und die mich vom einen auf den anderen Moment zum Lachen brachten.
Die Menschen lassen dich aber auch in Ruhe, wenn du nicht in Kommunikation treten und stattdessen deine Ruhe haben möchtest. Ein Kopfschütteln reichte häufig, um ein Zeichen zu setzen, dass ich kein Interesse an Kommunikation hatte. Meistens hatten die Menschen aber irgendwie ein Gespür dafür, ob es gerade für mich „passte“ oder nicht. Außer in Delhi: Da musste ich auch mal lauter und bestimmter werden.
Auf einigen Bildern trägst du manchmal Kleidung, die deine Schultern nicht bedeckt…
Das ist ein typisches Beispiel für die Diskrepanz zwischen Realität und Bildmaterial. Ich gebe zu, dass ich auf manchen Bildern durchaus aussehe, als sei ich nur halb angezogen und würde die Gepflogenheiten Indiens mit Füßen treten. Dass dieser Eindruck bei einigen Bildern entstehen kann, ist mir durchaus bewusst.
Die Realität sah aber zuallermeist anders aus. Nämlich so.
Oder so.
Oder so.
Ich wollte aber nicht nur graue-Maus-Bilder von meinen Erlebnissen und Urlaubs-Impressionen und das war genau der Grund, warum ich mir im Vorhinein meinen Bolero und die dünne Weste eingepackt hatte.
Bei meinen Fotoshootings sah das dann sicherlich immer ganz witzig aus: Ich schaute mich zuerst um, ob jemand in der Nähe war, dann positionierte ich die Kamera, warf den Bolero oder die Weste ab, schoss meine Fotos und zog mich wieder an.
Im Auto war es natürlich egal, ob ich meine Schultern bedeckt hatte oder nicht. Gurmeet war da auch immer eine kleine Hilfe: Beim Aussteigen rief er mir kurz zu, ob ich die Weste anziehen und vielleicht zusätzlich noch den Sarong überwerfen sollte oder ob ich für kurze Zeit ohne Schulter-Bedeckung aus dem Auto könnte.
In meinen Hotelzimmern, nachdem ich die Tür geschlossen hatte, war es ja dann ohnehin völlig egal. Auch in meinem Gästehaus in Varanasi sagte mir Papa Varanasi, dass ich mich wie Zuhause fühlen sollte und tragen sollte, was ich wollte – er lief im Haus auch ohne Hemd herum, seine Töchter im Trägertop und seine Frau bis zum Mittag in der Schlafhose. 😉
In Goa war es schließlich sogar so, dass ich mich mit meiner Kleidung geradezu under dressed fühlte, denn mit den Kleidern der Mädels und Frauen konnte mein kleines Sammelsurium nicht mithalten. In Goa war es völlig egal, was du anhattest, denn dort war sowieso alles irgendwie anders als in dem Teil Indiens, den ich zuvor bereits hatte: Frauen gingen arbeiten, Frauen fuhren auf dem Roller, Frauen tranken Alkohol, tanzten und lagen in Bikinis am Strand.
Wie bist du mit deinen wenigen Klamotten klar gekommen?
Ich bin super mit den wenigen Kleidungsstücken, die ich dabei hatte, klar gekommen. Eigentlich hatte ich sogar zu viele dabei. Je nachdem wo und wie lange ich an einem Ort war, habe ich abends einfach Handwäsche gemacht oder meine Kleidung in die Wäscherei gegeben (pro Stück: 30 Rupies). Wenn es nicht gerade wie in Jaipur geregnet hat, war die Kleidung ja am nächsten Tag auch direkt wieder trocken.
Auf Reisen bin ich es gewohnt, minimalistisch zu leben. Spätestens wenn du deinen Backpacking-Rucksack den ganzen Tag auf deinen Schultern tragen musst, wirst du an deinem Packverhalten etwas ändern. 😉
Bist du krank geworden?
Nope! 🙂
Was ich aber auch sehr akribisch und diszipliniert bis zum Schluss durchgezogen habe, war absolut kein Leitungswasser in den Mund zu nehmen. So hatte ich immer mehrere Wasserflaschen im Gepäck: Eine kleinere für den morgendlichen Kaffee, eine kleinere zum Zähneputzen und eben immer mindestens eine große, um meinen Wasserbedarf zu decken.
Ich hatte einmal einen gesundheitlichen Rückschlag. Eine Art grippalen Infekt. Kopfschmerzen, ein leichter Fieberschub, erhöhter Augeninnendruck. Das war nach zwei Wochen in Jaipur. Ich spürte, dass ich nicht mehr konnte, weil ich am Nachmittag nicht mehr aus dem Bett kam und mir einfach nur nach Schlafen zumute war.
Diesem Bedürfnis habe ich dann auch nachgegeben: Ich habe zwei Stunden Mittagsschlaf gemacht, war danach immer noch nicht fit und habe dann weitere zehn Stunden durchgeschlafen. Als ich morgens wieder aufwachte, war der Spuk vorbei. Ich schiebe es auf körperliche Erschöpfung: Mein Körper hat nach der Zeit, die ich nun schon ohne wirkliche Pausen unterwegs war, einfach mal die Bremse reingehauen und mir das Stopp-Schild gezeigt.
Die ruhigen Tage in Rishikesh waren dann ebenfalls notwendig. Vor allem waren sie wichtig, weil ich wusste, dass ich danach alleine weiterreisen werde und sowohl vom Kopf her als auch körperlich richtig fit sein sollte.
Warst du sehr vorsichtig mit dem Essen?
Am Anfang ja. Danach nicht mehr. Später habe ich es sogar mehrfach darauf angelegt, weil ich das Gefühl hatte, insgesamt viel zu viel während meines Trips gegessen zu haben. 😀
Während der ersten fünf Tage in Indien habe ich mich fast ausschließlich von Obst ernährt. Mangos, Bananen, Wassermelonen und Papayas gibt es in Indien ja in Massen und auf jedem Markt für ein paar Cent zu kaufen.
Abgesehen vom gesundheitlichen Aspekt hätte ich mich am Obst tot futtern können, denn hier – wie in allen anderen südlichen oder südostasiatischen Ländern – schmeckt das Obst noch richtig nach Obst und ist vor allem ausgereift. Es ist vielleicht nicht immer schön und druckstellenfrei wie du es von REWE und Co. gewohnt bist, aber es schmeckt eindeutig besser!
Zwischendurch, sozusagen um die Kohlenhydratspeicher wenigstens ein wenig aufzufüllen, gab es in der Anfangszeit immer wieder Samosas. Ich liebe Samosas! Die bekommst du ja auch hier in Deutschland beim Inder. In Indien schmecken sie natürlich noch einmal um Welten besser und sind vor allem weitaus besser gewürzt. Und abgesehen davon erschienen mir die kleinen Teilchen ziemlich safe. Sie sind ja frittiert und in ihnen befindet sich lediglich eine durchgekochte Kartoffel- und Gemüsepampe. Was sollte also passieren?!
Häufig gab es Pranthas oder Puris zum Frühstück. Pranthas mit frischem Joghurt?! – Das ging auch immer! Yummy!
Nach fünf Tagen ging ich davon aus, dass sich mein Körper an die Verhältnisse einigermaßen gewöhnt hatte und habe keine Rücksicht mehr genommen: Ich habe an Marktständen das gefrühstückt, was die Einheimischen essen und in kleineren Restaurants für Einheimische zu Mittag gegessen.
Und auch wenn mich Gurmeet zu Anfang noch davor gewarnt hat, dass ich mir etwas einfangen könnte, bin ich abends zu den food stalls und habe mir das super spicy Zeug gegeben.
Zwischendurch gab es auch gerne mal Eis. Gerade beim Eis war ich zunächst unsicher, denn bei den vielen Stromausfällen während der Monsunzeit wird ja die Kühlkette immer wieder unterbrochen. Aber, auch das ging gut! 😉
Fleisch allerdings gab es während meines Aufenthaltes nur drei Mal. Das lag aber maßgeblich daran, dass Indien ja überwiegend vegetarisch isst.
Eine Ausnahme habe ich während meines Aufenthaltes in Varanasi gemacht. Dort habe ich fast ausschließlich Frittiertes gefuttert. Während meiner Vorbereitung zu Varanasi hatte ich so viel über die Verschmutzung des Ganges gelesen, dass ich den Filteranlagen nicht vertraut habe. Wahrscheinlich wäre das nicht notwendig gewesen. Aber auf die verbleibenden Tage wollte ich nun auch nicht mehr krank werden.
Im Prinzip ist es aber wie mit allen anderen Ländern auch: Iss‘ an Orten, wo die Einheimischen essen, iss‘ an Orten, die gut frequentiert sind, denn an diesen Orten kannst du davon ausgehen, dass das Essen frisch zubereitet wird.
Ohne Sport kannst du ja nicht. Wie war das ohne Fitnessstudio?
Naja, wer mich kennt, weiß, dass ich es ohne Fitnessstudio keine vier Tage aushalte. Insofern habe ich natürlich immer mal wieder kleine Sporteinheiten in meinen Unterkünften eingelegt. Noch Zuhause hatte ich mir ein paar Home Workout-Videos auf mein Handy gezogen, um unabhängig vom Internet zu sein. Sehr gut eignen sich hier die Videos von Jillian Michaels oder Body Fit by Amy. Für diese Workouts brauchst du im Prinzip nur eine Fläche von zwei auf einen Meter – sozusagen ein bisschen mehr Platz als den, den du für Liegestütze bräuchtest. Als Hantelersatz habe ich Wasserflaschen genommen. Da ich sowieso immer mindestens zwei volle Wasserflaschen am Abend bei mir hatte, war das gar kein Problem. Und selbst ohne Workout-Videos, mal ganz ehrlich, wenn man Sport machen möchte, dann schafft man das überall. Liegestütze gehen immer, Squads sowieso und Dips kannst du auch mal gut am Bettgestell machen.
Ironie pur, dass ich während meiner vier Wochen zwar ein Kilogramm zugenommen, aber hierbei auch ein Kilogramm an Muskelmasse zugelegt habe. Muskelmasse wird ja während Phasen der Regeneration aufgebaut und aufgrund der kleineren Reize, die ich während meiner Workouts immer wieder gesetzt habe, habe ich diesen Prozess scheinbar irgendwie positiv unterstützt. Nicht dass ich davon während meiner Reise auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte, aber gut, lassen wir das.
Ironie pur deswegen, weil bei all dem „cake“, der ja eigentlich nur aus Zucker mit Zuckerguss besteht, und all den Pethas, Pranthas und Puris, die ich mir den lieben langen Tag reingezogen habe, eigentlich das Gegenteil hätte der Fall sein müssen. 😉
Wie erging es dir nach deiner Rückkehr?
Diese Frage habe ich mir mehrfach selbst gestellt und nach wie vor keine richtige und vor allem abschließende Antwort gefunden.
Psychisch war das gar nicht so leicht. Nach meiner Ankunft in Delhi hatte ich das Gefühl, dass jemand in meinem eigenen Leben den Pause-Button gedrückt hatte. Indien hatte mich vom einen auf den anderen Tag nahezu vollständig verschlungen. Mein eigenes Leben mit meinen eigenen Luxus-Problemchen, das mir zwar immer irgendwie präsent war (ich litt ja nicht an Amnesie!), erschien mir aber bei all den Eindrücken und Erlebnissen total nichtig und eher belächelnswert. Nachdem ich dann wieder Zuhause angekommen war, war mein Leben plötzlich zurück und die Eindrücke natürlich geblieben. Das musst du erst einmal verkraften. Ich hatte das Gefühl, dass mich da doppelt etwas einholte.
Körperlich war ich auch trotz meiner vier Chilltage in Goa kaputt. Das habe ich nicht sofort nach meiner Rückkehr bemerkt, sondern erst drei Tage später, als ich langsam aber sicher realisierte, dass ich wirklich wieder in Deutschland war: Ich kam morgens kaum aus dem Bett, hatte das Bedürfnis nach viel Schlaf, wenig Kommunikation und einfach nur Ruhe.
Gleichzeitig war dies aber nicht möglich, denn einerseits musste ich ja wieder arbeiten und andererseits begann ich, in meinen Ruhephasen meine Reise zu verarbeiten. Häufig wachte ich mitten in der Nacht auf und lag stundenlang wach, bevor ich wieder in den Schlaf finden konnte. Und auch wenn ich keine greifbaren Gedanken und auch kein bestimmtes Kopfkino hatte, war der ein oder andere schlechte Traum in den Nächten danach ebenfalls dabei und ließ mich in aller Deutlichkeit spüren, dass es ganz schön in mir arbeitete. Morgens dann um 5:45 Uhr aufzustehen und zu funktionieren, war alles andere als leicht.
Das nachträgliche Lesen meiner Blogbeiträge und vor allem das Schreiben der verbleibenden Blogbeiträge (Varanasi Stadt hat mich fast ein ganzes Wochenende gekostet, weil sich auch Wochen später keine Struktur in meinem Kopf finden lassen wollte, um dem Text schreiben zu können, die Muse völlig versagte und mein Inneres sich weigerte, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen!) haben mir ebenfalls geholfen, meine Reise auch in den Wochen danach noch einmal zu durchleben und für mich plastisch zu machen.
Auch heute noch blicke ich immer wieder etwas ungläubig auf die Liste meiner Blogbeiträge. Denn während du alle drei bis vier Tage einen zauberhaften Beitrag mit viel Bildmaterial zu sehen bekamst, darfst du eines nicht vergessen: Diese Dinge sind bei mir nacheinander passiert. Da waren keine drei Tage Pause dazwischen. All das ist exakt so nacheinander geschehen. An jedem einzelnen Tag meiner Reise. Meist lagen zwischen den einzelnen Stationen lediglich sechs Stunden Schlaf. Wenn überhaupt, denn viel geschlafen habe ich in den vergangenen Wochen wahrlich nicht. Das im Nachhinein zu realisieren, ist irgendwie schon ziemlich krass!
Meine Lieben sind nach meiner Rückkehr ganz süß mit mir umgegangen und haben mich erst einmal schlafen lassen. Sie wussten ja über meine Facebook-Seite, dass ich wieder Zuhause war. Ich hatte mich zwar mit meiner Freundin und meiner Familie direkt nach meiner Reise getroffen, aber mich bei vielen das erste Mal erst über eine Woche nach meiner Rückkehr mit einem Lebenszeichen gemeldet und zuvor zig Nachrichten ignoriert, weil ich erst einmal wieder einigermaßen in Ordnung kommen musste. Dem Großteil habe ich erst nach mehr als zehn Tagen mehr als drei zusammenhängende Sätze über meine Reise formuliert. Danke euch für’s Zeit geben! 🙂
Dein Indien-Fazit?
Krass! Und zwar in jeglicher Hinsicht!
Delhi war am ersten Tag wirklich ein Kulturschock. Da steigst du aus dem Flieger und ein paar Autominuten später stehst du mitten im Dreck. Kühe laufen auf der Straße, Kuhscheiße liegt überall auf der Straße. Der Verputz der Häuser hat die Farbe von Exkrementen angenommen. Überall stehen Männer und pinkeln gegen die Häuserfassaden. Und es stinkt fürchterlich.
Innerhalb kürzester Zeit hatte ich das Land angenommen und die Gegebenheiten akzeptiert, die so konträr zu unserem ach-so-behüteten-Leben in Deutschland sind, und wurde eins mit ihm. Eins in der Hinsicht, dass mich nicht mehr der Ekel packte, dass ich mich an diesen Dingen nicht mehr störte. Und dass hier Dinge einfach länger als ten minutes dauerten.
Ich legte Wert darauf, am Vormittag in meinen Tag hineinzuleben und die frühen Morgenstunden für mich zu haben, bevor ich mich auf die quirrligen Straßen begab. Und ich legte Wert auf meine Chillo-Zeiten am Abend. Denn nur auf diese Weise war es mir möglich, wieder Kraft und Energie für den nächsten Tag zu sammeln und all die Eindrücke irgendwie zu kompensieren, die den Tag über auf mich eingeprasselt waren und am kommenden Tag auf mich einprasseln würden.
Wenn ich keine Lust hatte oder zu müde war, um Blogbeiträge zu verfassen, habe ich es gelassen und lediglich meiner Mum eine „Gute Nacht“ gewünscht oder ihr mitgeteilt, wo ich mich gerade aufhielt – was Dank „Kindersicherung“-App meistens nicht notwendig war, weil sie eigentlich täglich verfolgen konnte, wo ich gerade steckte. Dennoch war mir vor allem der Kontakt mit ihr enorm wichtig – auch als seelischen Beistand, den es mehr als einmal brauchte.
Witzige Anekdote an dieser Stelle: An einem Abend erreichte mich eine Nachricht von ihr, in welcher sie mir einen Screenshot mit meinem letzten Aufenthaltsort schickte und mich fragte, wo ich gerade sei, weil sie einen seltsamen Aufenthaltspunkt auf der Karte angezeigt bekäme. Der Punkt war direkt am Ganges. Eigentlich fast im Ganges. Auf zwanzig Meter genau angegeben. Das war in Rishikesh. Keine zehn Meter vom Fluss entfernt. In meiner Unterkunft mit Blick auf den Fluss. Ein Hoch auf die Technik! 🙂
Zwei richtig gute Entscheidungen während meiner Reise waren folgende:
Mir einen Fahrer für die Anfangszeit in Indien zu nehmen war hierbei wahrscheinlich die beste Entscheidung. Denn dadurch musste ich mich neben all den Eindrücken nicht auch noch darum kümmern, wie ich vom einen Ort zum nächsten käme, sondern konnte mich darauf verlassen, am geplanten Tag sicher an einem bestimmten Ort zu sein, so dass ich mich lediglich mit meinem Sightseeing-Programm auseinandersetzen musste.
Die zweite gute Entscheidung war, Goa an das Ende meiner Reise zu setzen. In Goa gab es nicht sooo wahnsinnig viel zu sehen, so dass meine Tage eigentlich nur aus ein bisschen mit dem Roller durch die Gegend cruisen bestanden. Es war auch so, dass Goa mit seinen Menschen, seinen Gepflogenheiten und der Art und Weise, wie ich mich dort bewegen konnte, komplett anders war als das Indien, das ich zuvor erlebt hatte. Less than India light sozusagen. Hätte ich Goa an den Anfang gestellt, hätte ich einen völlig verzerrten Eindruck von Indien erhalten und mein Kulturschock wäre um ein Vielfaches höher gewesen.
Und abschließend: Indien ist ein Land der Gegensätze. Darauf war ich im Vorhinein gefasst. Es schließlich zu erleben war eine ganz andere Nummer. Denn es stellte alle meine bisherigen Reisen in den Schatten. Ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden, das Land zu erleben, es aufzunehmen, viel darüber zu lernen – und dabei auch ganz viel über mich selbst.
Oder, um es mit den Worten einer ganz lieben Freundin aus Südamerika zu formulieren: Die Welt ist bunt! In ihr gibt es viele dunkle Farben und viele helle Farben! In den vergangenen Wochen hast du von beiden viele gesehen. Lass‘ die dunklen Farben nun hinter dir und lass‘ dein Herz einzig durch die hellen Farben erstrahlen!
I survived incredible India! 😉
Und nu‘?
Ich werde dir in den kommenden zwei Wochen noch ein bisschen von Goaerzählen. Es erwarten dich Traumstrände, Rollertouren, gefährlich hohe Baumhäuser, wilde Tiere und ausgelassene Partynächte. 😀
Und dann?
Ganz ehrlich?! – Das weiß ich im Moment nicht. Ganz sicher weiß ich, dass das nächste Abenteuer irgendwo da draußen vor der Tür wartet und dass die Herbstferien anstehen. Ob ich losziehen werde, weiß ich noch nicht. Wohin es gehen wird, weiß ich ebenfalls nicht. Geplant ist bisher nichts. Was ich weiß ist, dass es dieses Mal irgendeine spontane Aktion vom einen auf den anderen Tag werden wird, nämlich genau dann, wenn ich mich wieder bereit fühle loszuziehen, denn aktuell bin ich das nicht. Auch fehlen mir im Moment der drive, die Kreativität und die Muse für eine neue Reiseplanung.
Und weil mich Sandra von See you on the flipside genau an dem Tag als ich diesen Artikel beendet habe, mit einem Bild aus Indien überraschte, komme ich nicht umhin, dieses Bild hier dazu zu posten. 🙂
Vorab-Anmerkung: Als ich diesen Artikel schreibe, bin zwei Wochen aus Indien zurück. Mein Besuch in Varanasi ist nun fast fünf Wochen her. Nach wie vor habe ich Probleme, diesen Beitrag zu verfassen. Lange Zeit habe ich darauf gewartet, dass sich eine Struktur in meinem Kopf ergibt, die es erleichtern würde, über diesen einen Tag in dieser Stadt zu schreiben. Sie ist ausgeblieben. Lange Zeit habe ich darauf gewartet, dass sich dieser Bericht über Nacht praktisch von selbst schreibt. Auch das ist ausgeblieben.
Ich werde den Beitrag nun nicht weiter vor mir herschieben, denn – wenn ich einmal in mich hineinhöre – ist es genau das, was ich eigentlich möchte: Ihn nicht schreiben!
Die Stadt Varanasi
Varanasi (abgeleitet von den Flüssen Varana und Asi) liegt im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Die Stadt zählt zu den großen Städten Indiens: 1,2 Millionen Einwohner nach einer Volkszählung 2011, 1,4 Millionen Einwohnern mit Stand 2012. Die Einwohnerzahl beschränkt sich auf die Stadt. Ohne Hinzuzählung der äußeren Distrikte. Über die Jahre danach habe ich keine gesicherten Infos mehr gefunden. Du kannst also davon ausgehen, dass dort mittlerweile deutlich mehr Menschen leben als die Zahlen im Internet verraten. Unklarheit herrscht natürlich ebenfalls über die Anzahl der Menschen, die nur für einige Zeit in der Stadt bleiben.
Auch besitzt die Stadt unterschiedliche Namen, denn sie ist ebenfalls unter Kashi (die Altstadt von Varanasi), Benares („Stadt des Lichts“) oder Mahashmashana („große Leichenstätte“) bekannt.
Was die Stadt jedoch in jedem Fall mit ziemlicher Sicherheit ist: Die heiligste Stadt des Hinduismus. Und in ihr dreht sich scheinbar alles um den Tod.
Die Bedeutung der Stadt im Hinduismus: Varanasi sehen und sterben
Seit Hunderten von Jahren pilgern Gläubige in diese Stadt, wenn sie krank und schwach sind. Ihr Ziel: In Varanasi sterben. Denn dort im Ganges zu baden, dort zu sterben, dort verbrannt zu werden und schließlich dem Ganges übergeben zu werden bedeutet, dem scheinbar endlosen Kreislauf der Wiedergeburt entkommen zu können. Dem Glauben nach soll der Leichnam innerhalb von 24 Stunden nach dessen Ableben auf den Ganges geschickt werden. Nur auf diese Weise sei eine Erlösung möglich.
Wenn man bedenkt, wie riesig dieses Land ist und wie lange man – wenn man nicht gerade wie ich mal schnell das Flugzeug nimmt – benötigt, um in Indien vom einen zum anderen Ort zu kommen und für diese mitunter beschwerliche Reise ja noch ein bisschen Kraft haben sollte, kannst du dir vorstellen, wie viele Menschen sich in der Stadt zusätzlich zu den Einwohnern aufhalten. Nein, nicht aufhalten. Auf ihren Tod warten.
Das Geheimnis und der Mythos um Varanasi
Man sagt, der riesige Fluss Ganges gleiche – wenn er durch Varanasi fließt – einer völlig verdreckten und Krankheiten bringenden Kloake.
Man sagt, es sei der mitunter tödlichste Fluss aufgrund der Bakterien, Keime und anderen Erreger, die sich in ihm befinden. Und trotzdem baden die Menschen darin. Sie waschen ihre Kleidung darin. Und sie trinken daraus.
Man sagt, dass keine Stadt in Indien so dreckig, so vermüllt, so überfüllt und gleichzeitig so geheimnisvoll sei.
Man sagt, dass man bei den Unterkünften, die man sich dort als Bleibe aussucht, aufpassen müsse, dass man nicht in einem Sterbehotel landet.
Man sagt, dass an den Ghats alte, vor sich hin verrottende Kleidungsstücke lägen, die niemand entsorge.
Man sagt, dass hier Bootstouren mit Geld-zurück-Garantie angeboten werden würden, wenn man keine Leiche zu Gesicht bekäme.
Man sagt auch, dass an den Ufern des Ganges leblose Körper lägen, überall der Geruch von verbranntem Holz und verbrannter Haut in der Luft hinge, man diesen Geruch tagelang nicht mehr aus der Nase und die Bilder nie mehr aus dem Kopf bekäme.
Und, man sagt, dass ein Besuch in Varanasi einen Menschen verändern würde.
Ich sage: All das ist kein Mythos – all das ist wahr!
Varanasi sehen und… überleben
Während es in einigen Städten Indiens recht langweilig, teilweise geradezu sterbenslangweilig ist, trifft dies – zumindest was das Langeweile-Potenzial angeht – ganz sicher nicht auf Varanasi zu.
Unzählige Tempel, eine Fülle an Schreinen und eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an anderen heiligen Orten zeichnen diese Stadt aus. Zu Gesicht bekommst du all dies nur, wenn du dich zu Fuß auf den Weg machst, denn Tuk Tuks können in den schmalen, verwinkelten Gassen der Altstadt nicht fahren.
Und weil ich Varanasi hautnah erleben möchte, mache ich mich früh am Morgen in die Straßen auf. Um voller Energie in den Morgen starten zu können und weil mir Frittiertes für die kommenden Tage doch irgendwie lieber ist, nehme ich zunächst ein paar Puris zu mir – ohne Soße.
Einige hundert Meter weiter mache ich einen kurzen Stopp, um einen Masala Chai zu trinken. Ich komme mit den teetrinkenden Menschen dort ins Gespräch. Sie geben mir ein paar Tipps für meinen heutigen Tag, werfen mit Namen von Ghats um sich, die ich mir nicht merken kann. Sie geben mir Wegbeschreibungen, die ich mir ebenfalls nicht merken kann, die mir aber bei den kleinen Gässchen hier sowieso völlig sinnlos erscheinen. Denn eines ist bereits jetzt sicher: Ich werde mich hier und heute verlaufen.
Das mir nur allzu bekannte Spiel beginnt: Ich lasse mich in den Straßen treiben, laufe hin, wo ich Geräusche und Laute höre, laufe den Sonnenstrahlen oder anderen Menschen hinterher. Ich steige Ghats hinunter, werfe einen Blick auf den Ganges, steige Ghats wieder hinauf oder laufe auf ihnen am Ufer des Ganges entlang.
Nach einiger Zeit gelange ich auf eine größere Straße. It’s time for tea! Ich steuere den nächsten Tea Stall an, bestelle ek chai kam cheenee (einen Masala Chai mit weniger Zucker). Man bittet mich, mich zu setzen. Kurze Zeit später wird der Tee gereicht.
Noch bevor ich daran genippt habe, bittet mich der Besitzer des Tea Stalls: „Come, please, sit inside. Come!“ Ich bin verwirrt, komme seiner Bitte jedoch nach. Bänke und Stühle werden gerückt. Die Dame soll einen bequemen Platz haben. Ich bin immer noch verwirrt. Ich frage den netten Herren neben mir, warum ich rein sollte. Er sagt, draußen würden gleich die Aufräumer kommen, weil die Bänke zu weit auf der Straße stünden. Der Besitzer wolle nicht, dass ich von diesen weggescheucht werde. Nett.
Wir kommen ins Gespräch. Ich berichte von meiner Indienreise. Er berichtet von seiner Familie. Von seinen Kindern. Von seinen Enkelkindern. Schließlich fragt er mich, was ich in Indien bisher nicht getan oder erlebt hätte. Schwierige Frage. Ich muss einige Zeit nachdenken. Entgegne schließlich: Ich hätte noch keine Rituale in einem Shiva-Tempel erlebt. Kurzerhand springt mein Gegenüber auf. „Come!“ Ich folge ihm schnellen Schrittes durch die kleinen Gassen der Altstadt.
Blumenkauf. Schuhe ausziehen. Rein in den Tempel. Ein paar kurze Erläuterungen. Den Erläuterungen folgen. Die Reihenfolge der Blüten. Die Art und Weise der Drapierung. Sitzen. In einer ruhigen Ecke chillen. Die anderen Gläubigen beobachten. Ich drücke ihm 100 Rupies in die Hand. Es ist das Mindeste, das ich tun kann, um mich erkenntlich zu zeigen.
Er lehnt ab. Ich bestehe darauf. Nach einem weiteren Zickzack durch die kleinen Gassen setzt er mich am Goldenen Tempel der Stadt ab, den ich ganz sicher sooo schnell alleine nicht gefunden hätte. Mein Weg geht schließlich weiter: Gasse entlang. Ghat runter. Ghat hoch. Gasse weiter.
Mittlerweile hat es 38 Grad. Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit sind kaum zu ertragen. Mein Shirt klebt an meinem Oberkörper. Meine Hose klebt an meinen Beinen. Schweißperlen laufen mir die Stirn herunter. Ein Hoch auf den Dutt! Die Frisur sitzt. Eine eisgekühlte Coke Light hätte jetzt etwas.
Und als ich das nächste Ghat ansteuere, weil ich einen Tea Stall mit Schattenplatz ausmachen kann, fragt man mich nicht, ob ich Tee wolle, sondern stellt mir die Frage: „Did you come to see the burning?“
Das verschwitzte Shirt, die an mir klebende Hose, die Frage, ob der Dutt immer noch der Hitze standhält und der Wunsch nach einer eiskalten Coke Light: Von der einen auf die andere Sekunde völlig vergessen. Komplett nebensächlich. Ich bin wie vom Blitz getroffen. Sitze wie versteinert auf den Treppenstufen. Schaue völlig entsetzt mein Gegenüber an. Dieser zeigt nur Richtung Ganges: „Look!“
Ich atme durch.
Ich sehe Menschen. Ich sehe Holz. Ich sehe Rauch. Ich schärfe meinen Blick. Und dann sehe ich, …
… dass zwei von den vier Feuerstellen gerade in Gebrauch sind. Während an der hinteren Feuerstelle Holz verbrennt – mir wird erklärt, dass das Holz zunächst einige Zeit brennen müsse, bevor der Leichnam darauf gelegt wird – realisiere ich, dass auf der Feuerstelle davor ein in ein Leintuch eingepackter Leichnam liegt. Mit Holz bedeckt. Die Umrisse, das Leintuch in aller Deutlichkeit erkennbar. Ich beobachte, wie die Anwesenden weiteres Holz auflegen.
Mir wird schlecht. Ich habe das Bedürfnis, mich hier und jetzt zu übergeben. Meine Schläfen beginnen zu pochen. Mein Körper befindet sich in einer Schockstarre. Ich bin völlig regungslos. Die Umstehenden beachten die Szenerie kaum. Sie unterhalten sich miteinander. Sie lachen miteinander. Sie trinken Tee. Für mich ist es wie ein Autounfall: Ich empfinde es als furchtbar schlimm, als absolut grauenhaft und dennoch kann ich meine Augen nicht davon abwenden.
Und während mein Kopf zu mir sagt „Du tust das jetzt nicht. Du gehst da jetzt nicht runter und schaust dir das aus nächster Nähe an“, haben meine Beine längst die Kontrolle über meinen Körper übernommen.
Ein Windhauch weht mir den Rauch mitten ins Gesicht. Ich rieche verbranntes Holz. Ich nehme einen seltsamen Geruch wahr, der meiner Nase völlig unbekannt ist. Ich halte die Luft an. Als sich der Rauch verzieht, offenbart er einen klaren Blick auf das Eisengrab vor mir.
Ich frage mich, wie ein Mensch in seiner körperlichen Breite dort hineinpasst. Ich erinnere mich dunkel, irgendwo gelesen zu haben, dass man den Toten die Gliedmaßen abtrennt, damit sie in die Verbrennungskästen passen. Ich erinnere mich dunkel, irgendwo auch gelesen zu haben, dass früher eine Frau, deren verstorbener Mann verbrannt wurde, parallel zu seiner Verbrennung bei lebendigem Leib ebenfalls verbrannt wurde.
Gelesen. Irgendwo. Irgendwann. In einer anderen Welt…
Auf dem Weg zurück zu meiner Unterkunft laufe ich durch einen kurzen und sehr schmalen Tunnel. Er ist nicht breiter als eineinhalb Meter. Auf dem Boden liegen der Wand entlang und auf Matten gebettet Menschen. Ausgezehrte, dünne, sehr krank aussehende Menschen.
Während ich hindurch laufe, frage ich mich, wieso sie dort liegen, was sie dort machen. Der Sonne entfliehen? Frau meiner Sinne bin ich offensichtlich nicht mehr. Erst Minuten später wird mir klar, dass dies ein paar der Menschen sind, die in die Stadt gekommen sind, um dort auf ihren Tod zu warten und wahrscheinlich kein Geld für ein Bett in einem Sterbehotel aufbringen können.
Erst Stunden später bin ich in der Lage, mich von meinem Bett zu erheben und wieder vor die Tür zu gehen. Ich mache mich auf zur Ganga Aarti am Dasashwarmedh Ghat. Die Aarti dort soll die farbenprächtigste und schönste von allen in Varanasi sein. Glockenläuten. Feuer. Musik. Licht. Gesang. Choreografien. Ein Spektakel, welchem zahlreiche Menschen beiwohnen. Ein olfaktorisches Fest aufgrund der Massen an Räucherstäbchen, die hier abbrennen. Und nach diesem Abendprogramm setzt dann auch endlich wieder mein Hungergefühl ein…
Fragen, die ich mir während meiner Zeit in Varanasi stelle
Wie gehe ich mit so etwas um? Wie gehe ich überhaupt mit diesen Dingen um, die ich in Varanasi erlebt habe? Hake ich das ab unter been there, done that? Kann ich das überhaupt? Lasse ich das an mich heran? Und wenn ja, wie lange? Oder schiebe ich es beiseite, weil es mich nicht persönlich betrifft? Weil es nicht meine eigene Kultur ist? Weil es mit meiner Religion nichts zu tun hat? Weil es nicht mein eigenes Land ist? Oder liegt das Problem schließlich genau darin, dass es eben nicht mein Land ist und daher Identifikation und Verständnis nur schwierig – vielleicht sogar gar nicht – möglich sind? Gibt es eine Grenze für Toleranz? Für Akzeptanz?
Dieser redaktionelle Beitrag kann Werbung für genannte Unternehmen enthalten, auch wenn keine Bezahlung stattgefunden hat.
Wer mich kennt, weiß allzu gut, dass ich Lufthansa für gewöhnlich nicht ganz positiv gegenüber gestimmt bin. Ausgerechnet die deutsche Airline, mit der ich immer wieder meine Problemchen habe. Da 7 Stunden (oder 6,5) genügend Zeit bieten, sich einmal mit der Fluggesellschaft auseinanderzusetzen, habe ich mich für einen Blogbeitrag über unsere bekannteste deutsche Fluggesellschaft entschieden. Here we go!
Mein Flug
Mein Flug LH760 von Frankfurt nach Delhi war für 13:45 Uhr angesetzt. Boarding: 13 Uhr, Dauer: 7 Stunden. Neugierig wie ich am Gate nun einmal war, erkundigte ich mich nach einem Upgrade. Für 249 Euro – ach nein, halt, es war gerade das Sommer-Special: von 1. Juli bis 31. August gab es das Upgrade für 200 Euro. Da war ja fast wie „Only for you, my friend“ und daher hatte ich mich spontan dazu entschieden, das Angebot anzunehmen. Give it a try, LH! Jeder hat seine Chance – und notfalls auch eine zweite, dritte und vierte verdient.
Spoiler Alert: LH hat sämtliche Chancen noch an diesem einzigen Tag aufgebraucht.
Das Lufthansa Premium Economy Upgrade oder: Wenn’s mal wieder länger dauert
Ein Upgrade ist ein routinemäßiger und daher schneller Prozess: Du gehst an das Gate, fragst nach einem Upgrade, die Flugbegleiterin checkt die Möglichkeiten, nennt dir einen Preis, du gibst ihr deine Kreditkarte, sie scannt deine aktuelle Bordkarte, zieht deine Kreditkarte durch das Gerät, druckt deine neue Bordkarte aus – fertig.
Nachdem leider der Akku des Scanners, der notwendig war, um meine Boardkarte zu scannen, leer war, sich die Suche nach einem neuen etwas schwieriger gestaltete, das Gerät dann mehrmals neu gestartet werden musste, war das erst einmal nichts mit einem schnellen Upgrade. Vielmehr musste nun telefoniert werden. Lange. Häufig. Irgendwann gab ich der Dame dann einfach meinen Pass und meine Kreditkarte, ging noch einmal auf Toilette, telefonierte mit meiner Mum, setzte mich schließlich in eine ruhigere Ecke im Gate-Bereich – die gate lice hatten 15 Minuten vor dem eigentlichen Boarding (mal wieder) damit begonnen, sich zum Boarding vor dem Gate zu versammeln. Geschlagene 35 Minuten und mehrere Entschuldigungen später war ich endlich in Besitz meiner neuen Bordkarte und konnte boarden.
Chance Nummer 1: verspielt – Zonk!
Das Boarding: Je mehr Verspätung desto pünktlicher
Das Boarding dauerte um einiges länger als angedacht und so war auch um 14 Uhr noch nicht davon auszugehen, dass gleich gestartet werden würde. Machte aber nichts. Ich war mir sicher, wir würden trotzdem pünktlich um 00:55 Uhr Ortszeit ankommen. Lufthansa-Konzept eben. Dass es allerdings soooo lange dauern würde, damit hatte ich nun auch nicht gerechnet. 14:35 Uhr war es schließlich so weit (gescheduled auf 13:45) und der A380 bewegte sich Richtung Rollfeld. Mit einer Stunde Verspätung war der Flieger dann in der Luft.
Die Lufthansa Premium Economy
Ausstattung
Der Bereich der Premium Economy besteht aus insgesamt drei Reihen: Zweisitzer, Viersitzer, Zweisitzer. Auf dem Sitz hat man ausreichend Platz nach vorne und zum Sitznachbarn. Die Sitze lassen sich gut zurückfahren, so dass man zwar keine wirkliche Liegeposition hat, aber dennoch bequem chillen kann. Die Beinfreiheit nach vorne überraschte: Sicherlich 30 Zentimeter waren zwischen meinen Knien und dem nächsten Sitz.
Die Tische sind in die Armlehnen der Sitze eingelassen. In der Seite des Sitzes befindet sich ein kleines Täschchen mit ein paar basic Utensilien.
Erfrischungstuch, ein Paar Socken, Ohropax, Schlafmaske. Des Weiteren im Sortiment und bereits auf dem Sitz liegend: ein Kopfkissen und eine Decke. Nichts Neues. Standard auf Langstreckenflügen. In der Economy! Zumindest bei anderen namhaften Fluggesellschaften!
Versorgung
Im Vordersitz verstaut war eine 0,5 Liter-Flasche Wasser für jeden Gast untergebracht. Auf diese Weise musste man nicht – wie in der Economy – den ersten Service abwarten.
Eine Stunde nach Abflug (15:30 Uhr) erfolgte der erste Getränkedurchgang. Gewohnheitsmäßig bestellte ich meinen Kaffee und eine Coke Zero. Dazu wurde ein kleiner Snack von 12 Gramm gesalzenen Mandeln gereicht.
Meine letzte Upgrade-Erfahrung ist nicht allzu lange her, hatte mich Ukraine Airlines doch erst vor einigen Wochen upgegraded und so rechnete ich mit einem gescheiten Kaffee. Frisch gemahlen. Mit einer Crema. Aus einer Porzellantasse… und erhielt: Labberbrühe aus dem to go-Becher.
Chance Nummer 2: verspielt – Zonk!
Das erste Futter gab es gegen 16 Uhr. Wenn’s mal läuft, läuft es. Zur Auswahl standen – laut Menü – Sommersalat oder Eisbergsalat als Vorspeise, Hühnchen oder Curry als Hauptgang und Mandarinenkuchen oder Milchsüppchen als Nachtisch. Tatsächlich zur Auswahl stand Hühnchen oder Curry, denn sowohl der Salat (es gab Eisberg) als auch der Nachtisch (Milchsüppchen) waren bereits auf den Tabletts vorgerichtet.
Angerichtet wurde in Porzellanschüsselchen. Immerhin. Trotzdem Fail.
Sorry Lufthansa, ihr könnt hier aber echt nicht mit einer Menüauswahl glänzen wollen und sie dann nicht anbieten.
Chance Nummer 3: verspielt – Zonk!
Den Kaffee nach dem Essen gab es dann auch in Porzellantassen – die Plörre jedoch blieb. Einen weiteren Zonk verteile ich aber nicht. 😉
Das Abendessen wurde gegen 20 Uhr serviert. „Mischgemüse“ war durchaus sichtbar auf dem Tellerchen – geschmeckt hat es nach… nichts.
Das Entertainment
Der Bildschirm im Vordersitz ist natürlich das Entertainment-Programm. Hier findest du eine riesige Auswahl an Musik, Filmen (über 120 Filme – ich hab‘ sie gezählt, ich hatte Zeit – stehen zur Auswahl: von „Die Vögel“ bis „Die Schöne und das Biest“ ist hier nahezu alles vertreten, was die unterschiedlichen Interessen angeht), Kameras, die nach vorne, nach unten und nach hinten gerichtet sind, Fluginformationen, Spiele, etc. Auch gibt es einen USB-Anschluss.
Ich zählte 16 Filme aus dem Jahre 2017 (ja, ich hatte Zeit! 😉 ). Eigentlich ein guter Schnitt. Nur konnte ich mit wenigen Filmen überhaupt etwas anfangen. Gut, ich bin nun auch nicht wirklich ein Movie-Junkie – aber wie bekannt ist denn „Wilde Maus“, „The Yuppie Fantasia 3“, „The LEGO Batman Movie“? Sorry, nie gehört.
Und was bringt mir ein Entertainment-Programm oder die vielleicht beste Filmauswahl, die je existiert hat, wenn ich ab 17 Uhr nicht mehr darauf zugreifen kann? – Du liest richtig. Nach dem Essen wurden um 17 Uhr die Rollläden heruntergefahren und die Bildschirme ausgeschaltet. Zum Schlafen verdammt um 17 Uhr? Selbst bei der Zeitverschiebung von 3,5 Stunden machte das irgendwie wenig Sinn für mich.
Nun gut, ich korrigiere: eine Stunde später lief das Programm wieder, so dass ich – dass mache ich auf Flügen immer total gerne – den Flugverlauf beobachten konnte. Aber erneut Fehlanzeige, denn auch nach mehreren Stunden Flug bewegten wir uns von Frankfurt nicht weg.
Chance Nummer 4: verspielt – Zonk!
Ich nutzte schließlich die verbleibende Zeit und zog mir noch knapp zwei Filme rein.
Kommen wir also zur Ausgangsfrage: Lohnt sich das Premium Economy Upgrade?
Ich fasse zusammen:
Nachteile des Premium Economy Upgrade:
-Kaffee-Plörre
-teilweise to-go-Geschirr
-unterbrochenes Entertainment-Programm
-zwar eine durchaus große Filmauswahl, aber überwiegend völlig unbekannte und hauptsächlich chinesische/asiatische Filme
-keine wirkliche Menüauswahl (die Auswahl zwischen vegetarisch und Fleisch gibt es auch in der Economy) trotz eines durchaus angesprechenden Menüs
Vorteile des Premium Economy Upgrade:
-gute Beinfreiheit
-bequeme Sitze
-sehr netter Service
-aufgeladenes Handy bei Ankunft in Delhi
Rechnen sich diese Vorteile für 200 (bzw. 249) Euro? – Ich fürchte, das musst du selbst für dich entscheiden. Was mich angeht, so komme ich zu folgendem Schluss:
Mein ganz persönliches Fazit
Ich bin 170 groß und wiege 59 kg. Für gewöhnlich buche ich mir einen Fensterplatz. Auf diese Weise habe ich relativ viel Platz zum Fenster hin. Ich bin klein genug, um meine Füße an den Anfang der Armlehne des Vordermanns zu legen und, funktioniert das nicht, lege ich sie für gewöhnlich in die Sitztasche des Vordersitzes – nicht mit Schuhen, sondern in meinen bunten Flauschisocken, die ich immer auf Langstrecke im Handgepäck habe. 🙂
Aber ich bin dennoch klein genug, um die gebotene Beinfreiheit der Premium Economy nicht unbedingt zu benötigen. Außerdem bin ich ausreichend beweglich, um mir auf andere Weisen Platz zu schaffen und es trotzdem noch irgendwie gemütlich zu haben. Notfalls kommen die Beinchen einfach mit auf den Sitz. 🙂
200 Euro in ein paar Zentimeter Beinfreiheit und ein bisschen Porzellanschüsselchen-Heititei zu investieren, finde ich ganz schön happig. Für diesen Preis könnte ich knapp 2 Wochen in Indien in einem Hotel unterkommen.
Ergo, Chance Nummer 5: verspielt – Zonk!
Liebe Lufthansa, ich mag euch echt. Ich finde es klasse, dass die Flüge mit euch unkompliziert laufen, ihr in Frankfurt das Terminal 1 voll in eurem Besitz habt und ich mir auf diese Weise lange Wege und/oder das T2 sparen kann, eure App ist toll und ihr kommt dank eures Augenwischerei-Konzeptes von „wir setzen einfach eine längere Flugzeit an als sie tatsächlich ist“ immer pünktlich – auch noch nach über 35 Minuten Verspätung – aber euer Service, eure Ausstattung und eure Upgrade-Möglichkeiten können mit anderen Fluggesellschaften, wie Thai Airways oder Etihad einfach nicht mithalten.
Überraschend war das nicht für mich. Was tatsächlich überraschend für mich war, dass selbst eine Fluggesellschaft wie Ukraine Airlines mehr bietet.
Mag sein, dass der ein oder andere beim Lesen das Gefühl hat, dass ich zu streng mit Lufthansa bin. Mag auch sein, dass der ein oder andere wirklich tolle Erfahrungen mit LH gemacht hat. Ich sage auch nicht, dass das hier eine miese Erfahrung war, es war okay. Nicht mehr. Nicht weniger. Ich gehe auch nicht so weit wie bei Pegasus, dass ich mir vornehme, nie mehr einen Fuß in einen Flieger dieser Fluggesellschaft zu setzen. Mitnichten. Aber ein Upgrade wird nicht mehr geschehen und über einen zukünftigen Langstreckenflug wird ausschließlich der Flugpreis entscheiden, denn wenn ich die Wahl zwischen Singapore Airlines, Etihad, Thai Airways und Co. habe, würde ich diese immer vorziehen. Ausnahmslos!
Die LH Eco auf Langstrecke von DEL nach FRA
Über meinen Rückflug in der Economy und das Frühstück werde ich lieber nicht ein einziges Wort verlieren!
Abgesehen vom Frühstücksbild noch einen Satz zum Abendessen:
Als sogenannte Mahlzeit (es wird beim Bordservice ja immer unterschieden zwischen nichts, Snack oder Mahlzeit), dem Abendessen auf dem 7-stündigen Flug (!), wurde eine Art warmes Chicken Wrap im Kichererbsenmantel gefüllt mit Chicken-Bröckelchen, Panschegemüse und undefinierbarer indischer Masalasoße gereicht, ausgegeben als Fingerfood in einem Papier-Lunch-Beutelchen – selbiges Essen wurde bei JetAirways, der indischen Billig Airline (!), auf meinem einstündigen Flug (!) von Goa nach Mumbai als „Snack“ (!) im Alu-Tellerchen inkl. Besteck (!) verteilt.
Und nun die spannende Frage, die hier wahrscheinlich alle Leser*innen interessiert: Hat die Lufthansa jemals auf meine Reklamation oder diesen Beitrag reagiert?
Nein, das hat sie nicht. Ich hatte meine Mängel über die Internetseite der Lufthansa ausführlich beschrieben. Ich erhielt darüber auch eine Lesebestätigung und den Hinweis, man würde sich innerhalb der nächsten Tage mit mir in Verbindung setzen. Das geschah nicht. Nach Ablauf der von Lufthansa angekündigten Tage schrieb ich Lufthansa erneut und machte sie schließlich auch darauf aufmerksam, dass ich einen Beitrag dazu verfassen würde. Auch darüber erhielt ich eine Lesebestätigung mit dem Hinweis, man würde sich innerhalb der nächsten Tage mit mir in Verbindung setzen. Auch das geschah nicht. Daraufhin habe ich meinen Artikel online gestellt. Ironischerweise rankt er mittlerweile auf Google direkt auf der Seite, auf welcher man das Premium Economy Upgrade buchen kann. 😉
Mein Tipp für alle Reisende, die einem Upgrade bei Lufthansa nicht widerstehen können: Reklamiert noch im Flugzeug! Verlangt euer Geld noch im Flugzeug zurück! Ich habe gehört, die Crew hätte für solche Situationen Gutscheine dabei. Ob da etwas dran ist, weiß ich nicht. Selbst versuchen konnte ich es nicht. Und leider, leider hatte ich bisher auch keine Gelegenheit mehr, mit Lufthansa zu fliegen! 🙂
Vorab-Anmerkung: Meine zwei Artikel über Varanasi – der heutige und der kommende – sind jenseits des 0815-Tourismus. Sie stehen in vielerlei Hinsicht im Kontrast zu den zahlreichen Heititei-Blogbeiträgen, die ich sonst so verfasse und beschreiben nicht unbedingt die schönen Aspekte eines Landes, sondern setzen sich u.a. auch mit einem Tabu-Thema auseinander, dem Tod. Wenn dir das ein zu heftiges Thema ist – ich könnte es durchaus verstehen – , rate ich dir, sie einfach zu überspringen.
Der Ganges
Über 2600 Kilometer ist der Ganges lang, der irgendwo in den Höhen des Himalaya entspringt und schließlich bis zum Indischen Ozean fließt. Damit zählt er zum zweitgrößten Fluss Indiens. Zahlreiche Nebenflüsse treten auf seinem Weg gen Süden (Oder Osten? Oder Südosten? – Runter!) ein. Durch zahlreiche Großstädte fließt er hindurch, wie beispielsweise Kanpur mit seiner riesigen Lederindustrie und eben auch Varanasi. Der Ganges ist also wirklich lang. Verdammt lang. Und auf keinen Fall mit dem Rhein oder dem Neckar mit seinen süßen 370 Kilometern vergleichbar. Nicht nur wegen seiner Länge nicht. Aber dazu komme ich gleich.
Anfang und Ende des Ganges
Am Ursprung des Ganges und Ganges-Delta soll sich noch eine richtige Wildnis befinden. Eine Wildnis, die mit ihrer Tier- und Pflanzenvielfalt kaum zu übertreffen ist und bei der auch die Serengeti in Afrika vor Neid erblassen würde. Elefanten sollen dort anzutreffen sein. Tiger, die durch das meterhohe Gras jagen. Krokodile, die dort problemlos auf Futtersuche gehen können, weil sie immer fündig werden. Nashörner. Delfine. Und Haie. Nicht am Fuße des Himalaya, sondern am riesigen Mündungsdelta zum Indischen Ozean.
Die erste größere, indische Stadt, die der Ganges zu diesem Delta passiert, ist Rishikesh – du erinnerst dich, ich hatte dir vor einigen Tagen davon erzählt.
Die Bedeutung des Ganges im Hinduismus
Das Wasser des Ganges wird von den Einheimischen nicht nur dazu verwendet, ihre Kleidung zu waschen, sondern auch, um sich darin zu baden. Denn das Wasser dieses Flusses, so glauben die Hindus, reinigt sie von ihren Sünden. Und wer in der Stadt Varanasi stirbt und sich nach seinem Tod dem Ganges übergibt, geht in die Ewigkeit ein und unterbricht den Kreislauf der Wiedergeburt.
Nicht grundlos wird der Fluss daher auch „Mother Ganga“ genannt. Leben und sterben in der Millionenstadt, die zu den heiligsten Städten Indiens überhaupt zählt.
Kilometerlang erstrecken sich daher auch die Ghats in dieser Stadt. Pushkar mit seinen fünfzig Ghats um den Pushkar Lake erscheint im Gegensatz zu Varanasi mit seinen über einhundert Ghats geradezu nichtig. Um dir einen Überblick über die zahlreichen Ghats zu verschaffen, bietet sich eine Ganga River Tour an.
Meine Ganges River Tour
Nachdem ich am Nachmittag aus Sarnath zurückgekehrt bin, mache ich mich daher direkt auf zu einem der Ghats, an denen Bootstouren angeboten werden. Ich werde auch sofort fündig und nach kurzen Verhandlungen über Dauer und Preis der Fahrt auf dem Motorboot – bei der Strömung während der Monsunzeit kommt nur ein Motorboot in Frage – kann die Fahrt innerhalb weniger Minuten beginnen.
Die 900 Rupies (12 Euro) für eineinhalb Stunden auf einem Motorboot, das ich sozusagen für mich allein habe und bei denen auch die 20% commission für Sunil enthalten ist (sympathisch, dass er ganz offen seine commission kommuniziert hat), sind geschenkt.
Sozusagen alleine deswegen, weil Sunil sich spontan dazu entschließt, an der sonnig-sommerlichen Bootsfahrt, die Entspannung pur verspricht, teilzunehmen, damit ich nicht mit dem Bootsfahrer alleine auf dem Boot bleiben muss und noch jemanden zum Schnacken habe (ebenfalls sympathisch – was so ein gemeinsamer Tee und eine lange Tuk Tuk-Fahrt doch alles bewirken können 🙂 ).
Auf dem Wasser kann ich während meiner Bootstour nicht nur ordentlich an meiner Körperbräune arbeiten, sondern auch erste Eindrücke von der Stadt erhalten, von der ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel gesehen habe – die Besichtigung der Stadt steht erst für den kommenden Tag auf dem Plan.
Zunächst geht die sonnig-sommerliche Bootsfahrt flussaufwärts. Ich sehe spielende Kinder, die im Wasser herumtoben. Büffel, die der Mittagshitze dadurch entfliehen, dass sie nahezu vollständig in den Fluss eintauchen. Fischer, die im trüben Wasser fischen. Oder zumindest Stöcke in das Wasser halten und so aussehen als würden sie fischen.
Wieder Kinder, die sich gegenseitig mit Wasser vollspritzen und sich in der Strömung von der Nachmittagshitze abkühlen. Menschen an den Ghats, die ihre Kleidung waschen oder auf den Stufen der Ghats irgendwelche Dinge verkaufen, die ich aus der Entfernung nicht erkennen kann.
Zwei große Türme, die mitten im Wasser stehen und mich ein wenig an eine neuzeitliche Burg erinnern, die jedoch die Filteranlage des Flusswassers sind.
Zahlreiche Boote sind an den unterschiedlichsten Ghats festgemacht. Sie warten darauf, ihrem Dasein einen Sinn zu verleihen und Menschen über das Wasser zu transportieren. Auf dem Fluss sind wir jedoch auf unserem Boot an diesem Nachmittag alleine.
Es herrscht eine absolute Stille auf dem Wasser. Fernab jeglicher Kühe, die mir immer wieder den Weg versperren. Fernab jeglicher Kuhscheiße, die mich beim Laufen durch die Straßen aussehen lässt, als wäre ich bereits am Vormittag völlig betrunken. Fernab jeglichen Gehupes, das mir hier noch schlimmer als sonst irgendwo in Indien erscheint (sogar meine Ohropax haben in der vergangenen Nacht gehörig versagt!). Fernab auch jeglichen Gebrülls, das mich heute Nacht ebenfalls vom Schlafen abgehalten hatte, denn ein gellender Schrei, von dem ich den Eindruck hatte, dass er direkt neben meinem Ohr ausgestoßen wurde, ließ mich heute Nacht ordentlich erschaudern.
Das einzige, das ich auf dem Fluss vernehme, ist das Gequake des Bootsmenschen hinter mir, der mir wie ein Roboter unablässig die Namen des Ghats aufsagt, vor dem wir uns gerade befinden. Als könnte ich das nicht selbst lesen. Ich quittiere sein Gequake mit einem netten Nicken dem Bootsmenschen gegenüber und einem frechen Grinsen gegenüber Sunil, der – ebenfalls grinsend – einfach mit den Augen rollt. Dass er mich als ein wenig anders wahrnimmt als die Menschen, mit denen er für gewöhnlich zu tun hat, hat er mir bereits beim Tee in Sarnath offenbart.
Und dann, nach all den Sympathien des Tages, bei all der Entspannung, für die diese Bootsfahrt sorgt, bei den wundervollen Sonnenstrahlen, die meinen Körper erwärmen und mir ein wohlig warmes Gefühl von Geborgenheit vermitteln, bei all der Ruhe, die ich gerade genieße, sehe ich am Ufer plötzlich Rauch aufsteigen.
Völlig unvermittelt drehe ich mich zu Sunil um: „Is this a burning ghat?“ Er nickt schweigend. Die Idylle, die Entspannung, die Ruhe sind von der einen auf die andere Sekunde verflogen.
Burning Ghats in Varanasi
Als wir uns auf dem Boot dem Ghat nähern, sehe ich Feuer, kleinere Rauchschwaden, ein paar Meter daneben größere Rauchschwaden. Menschen, am Ufer festgemachte Boote. Voll beladen mit Holz.
Sunil erklärt mir, dass für eine Verbrennung am Ganges eine Bootsladung voll Holz notwendig sei. Das Holz müsse eine ganze Weile brennen, bevor der Leichnam schließlich daraufgelegt werde. Eine Holzladung koste im Schnitt zwischen 6000 und 8000 Rupies. Viel Geld für einen Inder. Viele könnten sich so viel Holz wie benötigt werde, um ihren Körper vollständig zu verbrennen, gar nicht leisten.
Verbrannt würde der Leichnam für gewöhnlich so lange bis er entweder komplett verbrannt, der Kopf geplatzt oder eben das Holz zuneige gegangen sei. Geschieht Letzteres bevor der Leichnam komplett verbrannt ist, würden die Überreste des Leichnams dem Fluss übergeben. Sadhus und Schwangere würden nicht verbrannt, sondern direkt auf den Fluss geschickt – auch eine schöne Umschreibung für im Fluss versenkt.
Mir wird schlecht. Ich kann den Gestank des Rauches vernehmen. Mein Blick wandert unweigerlich an den Bootsrand, an welchem ich sitze. Das Wasser des Ganges ist so braun, dass man nichts sehen kann. Mir fällt Chris ein, der mir von einer Ganges River Tour erzählte, bei der man sein Geld zurück bekäme, wenn man keine Leiche sieht.
Ich frage Sunil nach einer solchen Tour. Er entgegnet, dass es diese gäbe – jedoch nur außerhalb der Monsunzeit, wenn der Fluss weniger Wasser trage als dies aktuell der Fall sei. Wieder schaue ich über den Bootsrand auf das Wasser. Mein Kopfkino setzt ein…
Snap back to reality & Fragen
Was ist mit all den Menschen, die im Ganges baden oder ihre Kleidung waschen? Mit den Kindern, die im Ganges spielen? Wo keine zweihundert Meter weiter Menschen verbrannt und deren Überreste – im besten Fall in Form von Asche, im schlimmsten Fall die einzelnen Körperteile – in den Fluss geworfen werden, die dann – der Strömung sei Dank – sozusagen direkt an ihnen vorbeischwimmen?
Ist dieser Fluss wirklich heilig oder vielleicht nicht einfach nur eine tödliche Kloake? Dient dieser Fluss als Trinkwasserspender, als Arbeitgeber oder vielleicht nicht einfach nur als Massengrab? Wie viele Leichen kann ein Fluss ertragen, bis er umkippt? Was ist mit den Fäulnisprozessen, die im Inneren eines Körpers nach dessen Tod einsetzen? All den Eiweißen und Giften, die zersetzt und produziert werden? Kann eine solche Kloake Kleidung oder gar einen Körper reinwaschen? Können die installierten Filteranlagen wirklich sämtliche Verunreinigungen beseitigen?
Stellst du einem Inder diese Fragen, wird er deinen fragenden Blick mit einem Schulterzucken quittieren und dir entgegen, dass der Fluss eine Göttin sei und kein Mensch ihn verschmutzen könne.
Paradox, wenn man bedenkt, dass kein Inder mit Straßenschuhen oder ungewaschenen Füßen jemals einen Tempel betreten würde, weil er Angst davor hat, diesen dadurch zu verunreinigen.
Und was ist eigentlich mit meinen Füßen? – Mein Verbrauch an Tiger Balm ist während meines Aufenthaltes in Varanasi enorm angestiegen. Meine Füße jucken und brennen allabendlich dermaßen heftig, dass ich mir am liebsten die Haut herunterkratzen würde. Einmal mehr bin ich froh darüber, dass ich die Straßen mit Flip Flops durchquere, die sich am Abend problemlos mit viel Seife abwaschen. Trekkingschuhe hätte ich bei der Luftfeuchtigkeit über Nacht und bei den Regenfällen, die blitz- und sturzartig geschehen, weder sauber noch in Ansätzen trocken bekommen.
Du willst nun sicher wissen, wie ich darüber denke und wie ich mich nach solch einem Erlebnis fühle?
Problemlos nachvollziehbar ist das für mich nicht. Toleranz in Bezug auf Religionen hin oder her. Zu schaffen macht mir nicht nur die Tatsache, dass Menschen in diesem Fluss baden und ihre Kleidung waschen, Kinder in diesem Fluss spielen und wenige Meter weiter Leichen verbrannt und deren Überreste ins Wasser geworfen werden. Zu schaffen macht mir auch die Tatsache, dass Menschen ganz bewusst einen bestimmten Ort zum Sterben aufsuchen und darin dann ihre Erfüllung sehen. Und, zu denken gibt mir, wie scheinbar entspannt und offen die Menschen hier mit dem Tod umgehen.
Mir ist durchaus bewusst, dass der Tod genauso zum Leben dazu gehört und ich kann von mir selbst sagen, dass ich keine Angst vor selbigem habe. Ich weiß, dass auch dieser irgendwann Teil meines Lebens sein wird. Was ich nicht weiß ist, wann er mich ereilen wird. Und was ich ebenfalls nicht weiß ist, wie ich darauf tatsächlich reagieren werde.
Wirklich wichtig ist mir eigentlich nur, dass ich auf ein freudvolles und vor allem erfülltes Leben zurückblicken kann. Aber auch, dass ich nicht irgendwo an einem Flussdelta ende und schließlich in den Indischen Ozean hinaustreibe oder von den Krokodilen dort aufgefressen werde.
Aber so unterschiedlich die Kulturen, Traditionen, Religionen und Vorstellungen, die uns in unserer Gesellschaft vorgesetzt, vorgelebt oder anerzogen werden, so bleibt mir nur, dieses Erlebnis wie all die anderen Erlebnisse auf meiner bisherigen Reise irgendwie zu verarbeiten.
Denn ein wirklich tiefes Verständnis dafür kann ich nicht aufbringen. Dafür bin ich in einer Kultur aufgewachsen, die konträrer nicht sein könnte und viel zu sehr mit meinen Wurzeln verhaftet, von denen ich mich offensichtlich nicht ganz lösen kann – und das wiederum ist auch gut so.
15 Uhr: Mein Flieger startet einigermaßen pünktlich in Amritsar. Eine erneute Abreise, die mir nicht sonderlich leicht fällt. Der Besitzer meines Hotels hatte sich die vergangenen Tage ganz rührend um mich gekümmert, immer wieder nachgefragt, wie es mir gehe, mir Tipps und kleinere Hilfestellungen gegeben.
Nebenan habe ich ein kleines Restaurant entdeckt, das nicht nur leckeren Masala Chai verkauft, sondern auch super leckere Puris zum Frühstück kredenzt. Die Sikh und ihre Ruhe und Ausgeglichenheit, die sie an den Tag legen, werden mir fehlen.
Ankunft in Varanasi
Es ist kurz nach 19 Uhr als ich in Varanasi lande. Der Besitzer des Olya Guesthouses – nennen wir ihn der Einfachheit halber “Papa Varanasi” – wartet am Eingangsbereich der Arrival Hall auf mich. Er hält ein handgeschriebenes Plakat in seinen Händen, auf welchem mit bunter Schnörkelschrift “Welcome, Manuela” steht. Mehrfach haben wir in den vergangenen Tagen telefoniert. Das letzte Mal vor circa zwei Stunden, als ich in Delhi auf Transit war. Denn es lag ihm sehr viel daran, dass er auch in der Lage war, bei meiner Abholung persönlich anwesend zu sein. Er begleitet mich zum Wagen. Selbst fährt er hier nicht. Er hat einen Fahrer organisiert. Die Fahrt von der Stadt an den Flughafen dauerte über zwei Stunden. Wegen eines Festes in der Stadt waren viele Straßen gesperrt und Umwege notwendig.
Auch auf unserem Weg vom Flughafen in die Stadt realisiere ich, dass der Fahrer des Wagens immer wieder seltsame Routen einschlägt, weil zahlreiche Straßen nach wie vor blockiert sind. Auf den eineinhalb Stunden, die wir in die Stadt brauchen, gibt mir Papa Varanasi Ratschläge, wie ich meine Tage hier planen könnte. Er erzählt mir von Restaurants in meiner näheren Umgebung, von den Ghats am Ganges, gibt mir Tipps für Ausflugsziele und meine Abendgestaltung.
Als wir schließlich auf der Straße nicht mehr weiterkommen, müssen wir die verbleibenden 600 Meter zu seinem Haus zu Fuß zurücklegen. In dem Moment als ich dem Auto entsteige, beginnt es zu schütten wie aus Kübeln. Wir laufen ein paar Meter und suchen schließlich Schutz vor dem Regen. Dieser lässt jedoch kein Stück nach. Ich bin jetzt schon klatschnass. Nach einiger Zeit gibt mir Papa Varanasi zu verstehen, dass wir eh schon komplett nass seien und es nun auch nicht mehr darauf ankäme. Ich nicke. Recht hat er ja. Und hier im Dunkeln herumzustehen und dem Regen zuzuschauen, macht irgendwie auch wenig Sinn. In indischem Fußgängertempo (!) – in Deutschland würde man hierzu „Rückwärtslaufen“ sagen – gehen wir die verbleibenden vierhundert Meter bis zu seinem Haus.
Erst kurz nachdem ich mein Zimmer auf der Dachterrasse bezogen habe, realisiere ich, dass alles – ausnahmslos alles – in meinem Rucksack völlig durchnässt ist. An diesem Abend wird mir nicht langweilig.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, scheint die Sonne. Der Großteil meiner Sachen ist über Nacht aufgrund der Luftfeuchtigkeit nicht trocken geworden. Auf der Dachterrasse in der Sonne trocknen sie nun binnen einer Stunde. Eine Stunde, die ich für die Planung meines Aufenthaltes hier nutze.
Ich suche Papa Varanasi im Wohnzimmer der Familie auf. Mama Varanasi bringt mir kurze Zeit später einen Tee. Dann verliere ich mich in Gesprächen mit der Familie über die Stadt, das Leben, deren Kinder und die ganze Familie. Ich äußere meinen Wunsch, heute noch irgendwie Sarnath zu besuchen und kurzerhand macht Papa Varanasi einen Fahrer klar, der in den nächsten ein bis eineinhalb Stunden hier her kommen würde, um mich abzuholen. Er würde mich sicher nach Sarnath bringen und vor allem wieder an der Haustüre abliefern.
Eine starke Stunde später ruft Papa Varanasi nach mir und bittet mich, herunterzukommen, da der Fahrer da sei. Sunil. Gemeinsam bahnen wir uns unseren Weg durch die kleinen Gassen Varanasis, durch die kein Tuk Tuk passt und machen uns schließlich mit dem Tuk Tuk auf den Weg Richtung Sarnath.
Als wir Varanasi durchfahren, muss ich unweigerlich an Haridwar denken. Für einen Moment auch an Delhi. Ein bisschen erinnert mich die Stadt daran. Ein bisschen. Denn im Unterschied zu Delhi ist Varanasi noch dreckiger und noch lauter. Die Straßenverhältnisse sind absolut furchtbar. Mehrfach dreht sich Sunil während unserer Fahrt zu mir um und fragt, ob alles okay sei. Da ich meine Füße auf die gegenüberliegende Sitzbank gestellt habe, habe ich eine einigermaßen stabile Sitzposition und hebe nicht bei jeder Unebenheit einen halben Meter von meiner Sitzbank ab. Ja, es ist alles okay. Es fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt. Aber ich mag Achterbahnfahrten.
Die Stadt Sarnath
Sarnath liegt circa zehn Kilometer nördlich von Varanasi. Für die scheinbar kurze Strecke benötigen wir aufgrund des starken Verkehrs und der Straßenverhältnisse knapp zwei Stunden! Die Stadt selbst hat ungefähr Null zu bieten. Bekannt ist sie eigentlich nur deswegen, weil sie zu den heiligsten Städten des Buddhismus zählt. Moment?! What?! – Buddhismus? In einem Land voller Hindus? Nein, es ist kein Tippfehler.
Kurz vor dem Park hält Sunil an. Den tour guide, der natürlich noch bevor ich aus dem Tuk Tuk springen kann, am Straßenrand steht, zerlegt er in einem Atemzug: „She may look like a tourist but she isn’t. Leave her alone!“ Ich grinse. So geht’s natürlich auch. Wir verabreden uns für eine indische Stunde später somewhere around here.
Sarnath: ein Hauch von Buddhismus mitten im Hinduismus
Neben Bodhgaya – du hast sicher davon gehört, das ist der Ort, an dem Buddha unter dem Bodhi-Baum saß und die Erleuchtung erlangte –, Kushinagar und Lumbini (Nepal) ist Sarnath die vierte Stadt unter den wichtigsten buddhistischen Wallfahrtsorten.
Buddha kam nach Sarnath, um nach seiner Erleuchtung in Bodhgaya in diesem Park zu meditieren und das erste Mal seine Vier Edlen Weisheiten auf dem achtfachen Pfad zum Nirwana zu predigen. Mit dieser Predigt begründete er den Buddhismus.
Das geschah alles noch im dritten Jahrhundert vor Christus. Krass, oder?! Ich meine, hallo, vor Christus!
Im siebten Jahrhundert nach Christus erst brachte ein Chinese die riesige Stupa nach Sarnath, was schließlich auch dazu führte, dass hier zahlreiche buddhistische Klöster gebaut wurden und lange Zeit dort noch vorzufinden waren.
Im 12. Jahrhundert jedoch kamen die Muslime und sorgten für einen sehr sehr deutlichen Rückgang des Buddhismus und die Zerstörung einiger Klöster. Erst 1835 entdeckten britische Archäologen den Wallfahrtsort wieder.
Noch heute wird Sarnath von buddhistischen Pilgern besucht. Die Stupa ist nach wie vor vorhanden. Auch Überreste der verschiedenen Klostergebäude. Und eine der Säulen des Ashoka kannst du hier finden.
Die Bedeutung dieses Ortes für den Buddhismus ist also nach wie vor in aller Deutlichkeit sichtbar und spürbar.
Und nach einem gemeinsamen Masala Chai mit Sunil, ein wenig Lagebesprechung („Do you want to go back to your place?“ – „No, not really. Actually, I fancy doing a river tour.„) geht die wilde Achterbahnfahrt zurück in die Stadt und an den Ganges…
Der Harmandir Sahib, der Goldene Tempel, ist das allerhöchste Heiligtum der Sikh. Er befindet sich im nördlichsten Bundesstaat Punjab. Der Tempel selbst ist durch und durch mit Blattgold versehen und ist auf einer Insel im See gebaut. Der See wiederum ist umgeben von einer riesigen, quadratisch angelegten Palastanlage mit vier riesigen Toren. Demnach wäre der Tempel zumindest theoretisch von vier Seiten aus zugänglich.
Die vier Zugänge haben symbolischen Charakter: Sie stehen für die Offenheit der Sikh gegenüber Menschen und anderen Religionen.
Mein Tempel run
Praktisch sind die Palastanlage und der Tempel jedoch nur von einer Seite aus zugänglich, denn nur vor einem Eingangstor befinden sich nämlich die Schuhabgabe und das luggage room.
Trotz der Menschenmassen, die diesen Tempel besuchen, ist alles super gut organisiert und mein Zugang läuft reibungslos und sehr schnell: Ich gehe zur Schuhabgabe, gebe meine Flip Flops ab, erhalte ein Märkchen mit einer Zahl. Dann gehe ich weiter zum Tempeleingang. Vor diesem befindet sich ein Korb mit Kopfbedeckungen. Weil ich in den vergangenen Sikh-Tempeln immer orange als Farbe für mein cover hatte, entscheide ich mich auch dieses Mal wieder für orange. Ich bedecke meinen Kopf, wasche meine Hände, gehe ich durch das kleine Becken direkt vor dem Eingang des Tempels und wasche meine Füße. Nur wenige Treppenstufen trennen mich nun vom Goldenen Tempel.
Die Anlage ist riesig. Ich laufe einmal im Uhrzeigersinn um die Anlage herum. Es dauert eine kleine Ewigkeit. Nicht nur wegen der Größe der Anlage. Immer wenn ich für ein Foto stehen bleibe, werde ich angesprochen. Fotoshooting vor dem Goldenen Tempel. Lachen. Gemeinsames Posing vor dem Tempel. Gefaltete Hände, die Dankbarkeit symbolisieren. Ein herzliches „Thank you“. Weiter geht es. Für ein paar Meter. Für ein weiteres Foto. Für ein weiteres Innehalten. Ich merke erneut, wie sehr ich hier auffalle. Ich realisiere aber auch sehr schnell, dass ich tatsächlich nur dann angesprochen werde, wenn ich stehen bleibe, innehalte und ein Foto mache. Und weiß den Respekt, der mir dadurch entgegengebracht wird, zu schätzen.
Essen in der großen Halle
Nachdem ich einmal drumherum bin, frage ich mich nach der Küche durch. Sie liegt im ersten Tor nach dem Eingang. Am Eingang zur großen Halle steht eine Schlange an Menschen. Sie empfangen ihr Besteck. Ich reihe mich ein. Teller. Einen Meter weiter: Schüssel. Einen Meter weiter: Löffel. Ich schiebe mich mit der Schlange hoch in die große Halle. Nehme Platz auf dem ausgebreiteten Teppich auf dem Boden und… warte.
Es vergehen keine dreißig Sekunden bis der erste Sikh kommt und die Chapati verteilt. Ich halte meine Hände hoch, empfange das Brot. Ein weiterer Sikh geht durch. Er trägt einen großen Alu-Eimer und eine Schöpfkelle. Es ist Dal. Kurze Zeit danach kommen die Kichererbsen. Schließlich der Nachtisch: süßlicher Reisbrei. Ich nehme mein Essen zu mir. Es ist Mittagszeit. Die Halle ist voll. Überall klappert das Alu-Geschirr. Menschen stehen vom Boden auf, andere nehmen ihren Platz ein, Sikh gehen durch und verteilen erneut Essen.
Die riesige Küche des Tempels
Ich stehe schließlich auf, bahne mir meinen Weg Richtung Küche. Frage mich durch. Schließlich treffe ich auf einen Sikh, der Englisch versteht und auch spricht. Er fragt mich, ob er mich durch die Küche führen solle. Ich willige ein. Er zeigt mir den Essensvorrat an Kartoffeln. Die riesigen Töpfe und Feuerstellen. Erklärt mir den täglichen Ablauf der Zubereitung.
Zeigt mir die Menschen, die für die jeweiligen Gerichte zuständig sind. Wir erreichen die Halle, in der das Essen vorbereitet wird. Menschen sitzen auf dem Boden. Sie schälen Zwiebeln und Knoblauch. Andere schnippeln Kartoffeln. Ich frage meinen Begleiter, ob ich hier bleiben könne. Er willigt ein, sagt: „You can do whatever you want to do. And you can stay as long as you want to.“ Ich lächle und besorge mir ein Messer.
Essensvorbereitungen
Mit einem kleinen Messerchen bewaffnet setze ich mich auf einen auf dem Boden ausgebreiteten Teppich. Kurze Zeit später sitze ich dort nicht mehr alleine. Rechts, links, gegenüber haben sich Menschen hinzugesellt. Einige Minuten später bringen Helfer eine riesige Ladung an geschälten Kartoffeln. Los geht’s.
Der Sikh, der mir gegenüber sitzt, flüstert dem Mädchen neben ihm etwas zu. Sie schaut mich an. Lacht. Ich bemerke es. Schaue den Sikh an. Schaue das Mädchen an. Beide lachen. Der Sikh nickt mir zu. Sagt: „Good. Good.“ Ich schnipple weiter. Das Häufchen Kartoffelschnitze vor mir wird langsam größer.
Irgendwann gehe ich zum Teamwork mit der älteren Frau neben mir über: Sie schneidet die Kartoffeln in Streifen, ich mache daraus kleine Stücke. Schnell steigen unsere beiden Kartoffelschnitz-Häufchen an und werden zu einem.
Immer wieder beobachte ich während dem Schnippeln die Menschen um mich herum. Immer wieder lächelt mir der Sikh gegenüber zu. Ich bin begeistert von den Menschen, die sich in dieser Halle befinden. Sie opfern ihre Zeit und schneiden unermüdlich Gemüse. Eine Gegenleistung dafür erhalten sie nicht. Sie tun es aus Überzeugung. Sie leisten ihren Beitrag.
Eine Gruppe Touristen läuft durch die Halle. Mit ihrem Guide bleiben sie direkt hinter mir stehen. Ich sehe sie zunächst nicht. Der Sikh macht mich auf sie aufmerksam. Ich blicke mich um. Sie sind bewaffnet mit ihren Kameras. Knipsen was das Zeug hält. Ich schaue den Sikh an. Muss lachen. Der Sikh zeigt mir sein Messer, schaut auf meines, dann auf die Touristen. Wieder muss ich lachen. Ich drehe mich zu den Touris um. Sie bemerken mich. Ich zeige ihnen mein kleines Messerchen und frage: „Shall I give you a knife?“ Sie lehnen ab. Ich drehe mich wieder um. Der Sikh lacht. Er erzählt offensichtlich seinen Nebensitzern von dieser Aktion. Diese schauen mich an. Lachen ebenfalls. Daumen hoch. They like! Ich muss wieder lachen. Die Stimmung ist gelöst. Ich falle auf. Und irgendwie doch nicht. Denn sie geben mir das Gefühl, dass ich nicht anders bin als sie und irgendwie dazu gehöre.
Über eine Stunde später tut mir meine Hand vom Akkord-Schnippeln weh. Meine Füße schmerzen vom Schneidersitz. Trotz diverser Positionsänderungen sind mir mehrmals die Beine eingeschlafen. Ich bin ein bisschen Stolz auf mein Kartoffelhäufchen.
Der Sikh zeigt auf seine Hand, nickt dann in Richtung meiner Hand. Fragende Augen. Ich nicke ihm zu. Verziehe mein Gesicht. Er legt sein Messer vor sich ab. Lächelt mich an. Schließlich steht er auf und kommt auf meine Seite. Auch ich stehe auf. Dann begleitet er mich zum Händewaschen. Wortlos verlassen wir zusammen die große Halle. Bahnen uns unseren Weg zum Ausgang.
Wir durchqueren den Bereich, in welchem das Geschirr gewaschen wird, stehen dann wieder vor dem Tor, dem Zugang zum Tempel.
Er lächelt. Unwillkürlich muss auch ich lächeln. Unsere Augen treffen sich. Nach außen hin scheint der Blickkontakt bedeutungslos: Zwei völlig Fremde stehen sich wie zufällig gegenüber und nehmen sich für den Bruchteil einer Sekunde wahr. Und doch sagt der Blickkontakt alles. Er lächelt erneut. Dann klopft er mir auf die Schulter. „Thank you.“ Schließlich gehen wir unserer Wege…
Sonnenuntergang im Tempel
Am Abend komme ich wieder. Der Besitzer meiner Unterkunft hatte mir dazu geraten, den Tempel um 19 Uhr erneut aufzusuchen. Wegen der Atmosphäre. Ich setze mich an den Teich.
Die Atmosphäre ist verzaubernd. Menschen sitzen am Rand des Wassers. Sie schauen auf den Tempel, der in der untergehenden Sonne seine Farben verändert.
Das Gold des Tempels glänzt in dieser abendlichen Stunde noch krasser. Ich komme ins Gespräch mit zwei Indern, die neben mir sitzen. Sie kommen aus Mumbai. Angeregt unterhalten wir uns über ihren Heimatort.
Sie erzählen mir davon, welche Bedeutung der Tempel für sie hat. Sie bieten mir Tempelwasser zum Trinken an. Ich weiß das Angebot zu schätzen, lehne es jedoch dankend ab. Ein paar kurze Erklärungen. Verständnis.
Ich erzähle von meiner Reise. Über eine Stunde sitzen wir am Teich. Begeistert tauschen wir uns aus über den Anblick des Tempels zu dieser Uhrzeit. Schließlich wird es dunkel. Ein letztes Mal bahne ich mir erneut meinen Weg Richtung Ausgang…
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